Auch wenn die Zustimmung des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und anderer großer Umweltschutz-Verbände zu dem „Kompromiss“ der Kohlekommission eine herbe Enttäuschung darstellt – es sollte nicht vergessen werden, dass gerade der BUND in der Sinfonie der Aktionsformen der Klimagerechtigkeitsbewegung im letzten Jahr eine wichtige konstruktive Rolle gespielt hat.
Letzten Endes war es eine Kombination aus drei Faktoren, die 2018 zur einstweiligen Rettung des Hambacher Waldes führten.
Erstens der langjährige Widerstand und die bewundernswerte herrschaftsfreie Disziplin der Waldbewohner*innen, die den Hambi vor den Kettensägen schützten und sich trotz einer üblen Eskalationsstrategie des Landesinnenministers Herbert Reul (CDU) nicht vom Prinzip des gewaltfreien zivilen Ungehorsams abbringen ließen – von ganz geringfügigen Ausnahmen abgesehen, die aber dieses Labor der Anarchie nicht zu diskreditieren vermochten.
Zweitens die enorm wachsende „bürgerliche“ Solidaritätsbewegung, die im September 2018 Sonntag für Sonntag mit stets wachsenden Zahlen zum Wald pilgerte, am Ende mit über zehntausend Menschen, die einfach an der Polizei vorbei in den Wald strömten und sich von den Waldschützer*innen über deren alternatives Lebensmodell aufklären ließen.
Drittens die juristische Bühne, die der BUND bespielt hat, indem er die Rechtmäßigkeit der Zerstörung des Waldes insbesondere mit Hinweis auf den Arten- und den Habitatschutz anzweifelte. Am Ende war es ein Entscheid des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster zugunsten des BUND, der Reuls Bürgerkriegstruppe und die RWE-Kettensägen stoppte. Irgendwer innerhalb des politischen Systems musste ja das Ergebnis des Konflikts – letztlich den Sieg der Aktivisti im Wald – offiziell verkünden, und diesmal war es eben das Gericht, dank BUND.
Am 12. März 2019 wurde eine erneute juristische Runde zwischen dem BUND und der unseligen Allianz aus dem RWE-Konzern und der NRW-Landesregierung ausgetragen. Das Verwaltungsgericht Köln urteilte, wie schon bei früheren Gelegenheiten, zugunsten der Mächtigeren und produzierte erwartungsgemäß einen weiteren Justizskandal. Drei Klagen des BUND (gegen den Hauptbetriebsplan des Braunkohle-Tagebaus Hambach, sowie gegen die Enteignung einer Wiese nahe beim Hambi, die dem BUND gehört) wurden zurückgewiesen. Sie werden nun im Berufungsverfahren vor dem OVG Münster verhandelt werden. Dieses hat zuletzt ja die Anliegen des Naturschutzes nicht mehr ganz so brüsk vom Tisch gewischt wie die Kölner Kolleg*innen. Wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung bis zum Herbst 2019 wieder so viel Druck entfaltet wie im Vorjahr (die Chancen dafür stehen, auch dank „Fridays for Future“, nicht schlecht), wird das seinen Eindruck auf die Rechtsprechung sicher wieder nicht verfehlen.
Doch ich möchte noch kurz auf die Argumentation der Vorinstanz eingehen. Die ist nämlich ein Lehrstück auf den Normalzustand der Justiz im kapitalistischen Staat. Also ein Skandal. Abbau und Verfeuerung des Klimakillers Braunkohle, so argumentieren die Kölner Richter*innen, verfolgten „ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel, die Sicherung der Energieversorgung“. Dabei komme es „rechtlich nicht darauf an, ob die Energieversorgung auch ohne Braunkohle möglich sei.“ Ein solches Argument möchte man sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn dieselbe nicht vom Braunkohlestaub zu pelzig dafür geworden wäre! Lassen wir die Klimafrage für einen Moment beiseite. Dann sagt das Gericht: Auch wenn es problemlos möglich wäre, den Strom auf eine unbedenklichere Weise herzustellen, entspricht es dem „Gemeinwohl“, dass in Köln die Kinder durch Quecksilber und Feinstaub aus dem Braunkohlesystem krank gemacht werden. Auch wenn der Strombedarf bald von Sonne und Wind gedeckt werden kann, ist es gerechtfertigt, tausend Jahre alte Dorfgemeinschaften zu zerschlagen und lebende wie tote Menschen zu deportieren, weil die schmutzigste Energiegewinnungsart, nämlich Braunkohle, dem „Gemeinwohl“ dient. – So gewinnt man dem Rechtsstaat Freund*innen!
Eigentlich müssten die Richter*innen verschiedene Rechte gegeneinander abwägen, hier: den Investitionsschutz des Konzerns RWE mit dem Recht auf Gesundheit zehntausender Anwohner*innen. Das verweigern die Kölner Rechtsgelehrten. Aber es kommt noch toller: „Auch die Klimaschutzziele, die völkerrechtlich vereinbart oder im nationalen Recht (etwa im Klimaschutzgesetz NRW) geregelt seien, stünden der Braunkohlenverstromung gegenwärtig nicht entgegen“, verlautbart das Verwaltungsgericht. (1) Das heißt also, ein Ziel kann völkerrechtlich verbindlich sein, muss aber gleichwohl nicht umgesetzt werden. Nicht nur die Grundrechte der Einwohner*innen unseres Landes müssen hinter das Profitinteresse von RWE zurücktreten, sondern auch das Völkerrecht.
Denn wie sollte der deutsche Beitrag zur Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens ohne einen schnellen Braunkohleausstieg denn möglich sein? Laut Umweltbundesamt hat die Braunkohle im Jahr 2016 einen Anteil von 23,1% an der Stromerzeugung gehabt, aber einen Anteil von 50% an den CO2-Emissionen dieses Sektors: jährlich über 150 Millionen Tonnen. (2) Man muss dies ganz heftig verdrängen, wenn man die Erfüllung des Pariser Klimaübereinkommens und den Weiterbetrieb der Braunkohlewirtschaft für vereinbar erklärt. Was bedeutet den Herrschaften am Kölner Verwaltungsgericht also die Verbindlichkeit jenes völkerrechtlich bindenden Vertragswerks von Paris?
Dieser Gerichtsentscheid ist ein veritabler Skandal, ein ungeniertes Stück Klassenjustiz, das erneut belegt: Für die Fortexistenz menschlicher Zivilisation auf dem Planeten Erde können wir uns auf keinen Teil unseres politischen Institutionensystems, auch nicht auf die Justiz, verlassen – wir müssen dieses System dazu zwingen! Der Widerstand muss weitergehen, und er muss stärker werden! An der Klimagerechtigkeitsbewegung im Rheinland (und anderswo!) wird es nicht scheitern.
What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!
Rüdiger Haude
Anmerkungen
1) Alle Gerichts-Zitate: http://www.vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/06_190312_2/index.php
2) Umweltbundesamt: Hintergrund / Daten und Fakten zu Braun- und Steinkohlen, Dezember 2017. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/171207_uba_hg_braunsteinkohle_bf.pdf
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.