Wie ein kolumbianischer Ureinwohner-Stamm zum Player im Drogenhandel wurde, zeigt Birds Of Passage, der es sogar auf die Oscar-Shortlist schaffte.
Es wird schnell klar, dass dieser Film kein Film wie andere Spielfilme über den aufblühenden Drogenhandel Lateinamerikas in den 1960-70er Jahren ist. Denn schon die ersten Minuten schildern ausladend eine gänzlich unbekannt anmutende Szene eines Brautwerbetanzes in einem Dorf in einer steppenwüstenartigen Gegend Kolumbiens. Das Dorf ist eine Siedlung des indigenen Stammes der Wayuu, welche relativ isoliert im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet leben. Der Kaffee- und Likörhändler Raphayet umwirbt die ihm nicht abgeneigte Zaida. Nach Ende der Zeremonie legt Ursula, Mutter Zaidas und spirituelle Anführerin des Stammes jedoch einen für Raphayet unerschwinglichen Preis für die Mitgift fest. So zieht Raphayet frustriert und vorerst ohne Zaida ab. Dass der Einstieg in den Drogenhandel mit zahlungskräftigen Nordamerikanern Raphayet’s einzige realistische Chance ist, um zügig an die geforderten Güter und schließlich in die Ehe mit Zaida zu gelangen, wird schnell deutlich. Obwohl einige Szenen der Filmhandlung derart vorhersehbar sind, bleibt die Spannung auf das Gezeigte über die gesamte Länge erhalten.
Birds of Passage ist in erneuter Zusammenarbeit (wie schon beim ethnografischen Drama „der Schamane und die Schlange“) von Cristina Gallego und Ciro Guerra entstanden. So verwundert es nicht, dass ein Hauptmotiv des Werks die Darstellung der Kultur und des sozialen Zusammenlebens der Wayuu ist. Dem Film gelingt es dabei, die Position der Frau als Deuterin von spirituellen Träumen beeindruckend zu zeigen. Die Wayuu leben zudem in einer matrilinearen Familiengesellschaft zusammen. Ursula genießt zwar folglich ein hohes Ansehen, muss sich dennoch im Zweifel mit der Rolle einer kritischen Beraterin für das männliche Familienoberhaupt zufriedengeben.
Trailer zu Birds Of Passage – Quelle: Youtube
Bei den Dreharbeiten wurde bis auf wenige Hauptrollen größtenteils mit Laiendarstellern gearbeitet. Einige Szenen kommen zudem ohne Hintergrundmusik aus, die Geräusche der Drehkulisse entfalten so die volle Wirkung. Diese Effekte werden durch eine besondere Kameraführung bei einigen Dialogen noch verstärkt, sodass zum Teil der Charakter einer Dokumentation über das Leben der Familie entsteht. Zudem empfehle ich die Variante im OmU, da nur so die verschiedenen im Film gesprochenen Sprachen (neben Spanisch noch Dialekte der indigenen Sprachen) zur Geltung kommen. Das Anwenden der eigenen Sprachen der Wayuu im Umgang mit Menschen anderer Ethnien bzw. Volksgruppen wird von ihnen beispielsweise gerne als Abgrenzungsmechanismus eingesetzt.
Birds of Passage zeichnet über Jahre die Entwicklung des Drogenhandels im Geflecht des Stammes nach. Vom ersten Deal mit ein paar Hippies am Strand bis hin zu nordamerikanischen Händlern, die mit Kleinflugzeugen mehrere Tonnen Drogen abnehmen. Parallel dazu werden die Wayuu von einem rasant wachsenden Wohlstand nahezu überschwemmt. Doch es brechen auch Konflikte zwischen den einzelnen, häufig miteinander entfernt verwandten Akteuren auf, sodass sich die einst geradezu familiäre Situation immer mehr zuspitzt. Bei der Bewältigung neuer Herausforderungen im Umgang mit Neid, Gier und verletztem Ehrgefühl haben die Protagonisten große Schwierigkeiten. Die traditionellen Handlungsweisen stehen immer mehr im Widerspruch zu der modernen Lebenswirklichkeit und den Ansprüchen der Mitglieder eines Drogenimperiums. Schließlich erzeugt die sich massiv drehende Gewaltspirale das Gefühl, dass keine Einzelperson als Gewinnerin aus der Situation hervorgehen kann.
Die Erzählung des Films zeigt die Charaktere auf eine möglichst differenzierte Art und Weise. Niemand ist einfach nur gut oder schlecht, es gibt kein schlichtes Schwarz-Weiß-Denken. Stattdessen werden unterschiedliche Motive und komplexe Beziehungsgeflechte im Zusammenleben der Wayuu porträtiert. Birds of Passage gelingt es ansehnlich, eine mir bislang wenig bekannte Geschichte zu erzählen und den Bogen zu anderen Filmen rund um die Thematik zu spannen.
Birds Of Passage - Das grüne Gold der Wayuu - Spielfilm Kolumbien, Dänemark, Mexiko 2018 - Regie: Ciro Guerra, Cristina Gallego - mit Carmiña Martínez, Natalia Reyes, José Acosta - 121 Min. - ab 4. April im Kino
Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Weitere Besprechungen von Büchern, Filmen und Musik finden sich in der Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.