Filmreview

Eine Matratze hinter dem Vorhang

Neu im Kino: Ayka

| Moppel Wehnemann

Beitragayka
Foto: © Neue Visionen Filmverleih
Kinoplakat Ayka

Die Handlung beginnt in einem russischen Krankenhaus, in der Entbindungsstation. Der Ton der Krankenschwestern ist militaristisch-rau, die Krankenzimmer spärlich eingerichtet, die kürzlich gewordenen Mütter sind sichtlich entkräftet. Babygeschrei. Die junge Mutter Ayka (Samal Yeslyamova) wird angewiesen, ihr Neugeborenes zu stillen. Zuvor begibt sie sich ins Bad, um sich vermeintlich frisch zu machen, bevor sie ihr Kind versorgen wird. Doch stattdessen sucht sie verzweifelt nach einem Fluchtweg, den sie auch findet, und entschwindet durch ein Fenster in das verschneite Moskau. Für die winterlichen Temperaturen ist die durch die Geburt geschwächte junge Frau unzureichend gekleidet. Die Kamera folgt ihr durch die Stadt und den Verkehr zu ihrem schmuddeligen Arbeitsplatz in einem Hinterhof.

Nachdem sie die Nachblutungen  provisorisch  auf der Toilette versorgt hat, sehen wir  sie schwitzend und bekittelt, offensichtlich unter Schmerzen leidend, ihre Arbeit antreten: Hühner rupfen und waschen. Am Ende des Arbeitstages sollen sie und die anderen Arbeiterinnen sich ein paar Hühner für zuhause einpacken, weist sie ihr Arbeitgeber an, der, so verspricht er, nur kurz die Ware verladen wolle und dann zurückkehren und ihnen ihren Lohn auszahlen würde. Letzteres geschieht natürlich nicht und so tritt Ayka, um ihren Lohn geprellt, den Heimweg an. Ihr Zuhause ist eine spärliche Unterkunft, die sie sich mit vielen, offensichtlich illegalen Arbeitern teilt und die im Wesentlichen aus einer Matratze hinter einem Vorhang besteht. Es ist stickig, laut und ohne jegliche Privatsphäre. Während wir Ayka durch ihr Leben begleiten, klingelt unermüdlich ihr Handy. Nimmt sie einen der Anrufe entgegen, erfahren wir, dass sie jemandem Geld schuldet und mit der Zahlung in Verzug ist. Sie verspricht, das Geld so schnell als möglich beizubringen.

Dieser rote Faden zieht sich durch den gesamten einhundert minütigen Film, der eine Koproduktion aus Deutschland, Polen, Russland, Kasachstan und China ist. Einfühlsam erzählt Regisseur Sergei Dworzewoi darin nicht nur die traurige Geschichte der jungen Mutter, die stets einen Überlebenskampf am Rande der Legalität führt und sich mit zwielichtigen Gestalten eingelassen hat, sondern auch ein Gesellschaftsdrama. Im Mittelpunkt steht die junge Frau, die bemüht ist, ihre Schulden abzutragen und dabei ihre Familie nicht in Gefahr zu bringen. Wie viele andere lebt sie am Rande der Gesellschaft mehr schlecht als recht. Die Dramatik und der Druck, dem sie ausgesetzt ist, wird durch das stetige Klingeln ihres Handys formschön untermalt. Die kalten Farben passen nicht nur sehr gut zum winterlichen Moskau, sondern auch zur traurigen Geschichte selbst. Das meiste, was wir über Ayka erfahren, reimen wir uns selbst zusammen, denn es wird vergleichsweise wenig gesprochen. Das Ende bleibt offen, was der Geschichte gut tut.

Ayka - Spielfilm Russland/Deutschland/Polen/Kasachstan/China 2018 - Regie: Sergey Dvortsevoy - mit Samal Yeslyamova, Aleksandr Zlatopolskiy - 110 Minuten - seit 18. April im Kino

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Weitere Besprechungen von Büchern, Filmen und Musik finden sich in der Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.