„Deutsche Wohnen enteignen!“ – In echt jetzt?

| Knobi

Seit Jahren verschärft sich – mal wieder – die Lage auf dem Wohnungsmarkt und Mieter*innen werden durch existentielle Ängste auf die Straße getrieben. Am 6. April 2019 fand in Berlin eine Großdemo mit bis zu 40.000 Menschen statt, die gegen den Miet-Wahnsinn protestierten. Eine ihrer Hauptforderungen ist die Enteignung der börsennotierten Wohnungsgesellschaft „Deutsche Wohnen“, einer Firmengründung der Deutschen Bank, die durch negative Schlagzeilen immer wieder aufgefallen ist.

Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen, aber wie alles im Kapitalismus unterliegt auch das Wohnen marktwirtschaftlichen Interessen und verkommt zur Ware. In Zeiten niedriger Zinsen sucht das Kapital nach Rendite und dafür bietet sich das „Betongold“ im Moment geradezu an. Und wenn dann noch die Gesetzgebung den Investoren – vor allem in den Großstädten – die Türen weit öffnet, bleibt den betroffenen Mieter*innen nichts anderes mehr übrig, als um ihr Grundbedürfnis zu bangen. Inzwischen sind nicht nur arme Menschen in den Innenstädten von Verdrängung bedroht, sondern auch der Mittelstand; die Gentrifizierung krempelt gewachsene Stadtteile total um.

In diesem Verdrängungskampf macht sich seit Jahren die „Deutsche Wohnen“ einen unrühmlichen Namen. Allein in Berlin besitzt sie über 100.000 Wohnungen (insgesamt ca. 163.000 Wohnungen und ca. 2600 Gewerbeimmobilien), darunter auch zahlreiche Pflegeheime und Einrichtungen. Die Deutsche Wohnen erzielte 2018 einen Umsatz von über 1,1 Milliarden Euro. Die Aktionär*innen können sich die Hände reiben und bleiben weiter hungrig.

Linker Populismus

Die Wut über die permanente Bedrohung des eigenen Wohnraums ist groß und verständlich. Das Maß scheint voll zu sein. Aber wo waren die Demonstrant*innen, als die entsprechenden Gesetze und Vorhaben der Regierenden vollzogen wurden, die uns heute in diese Lage gebracht haben? Wenn sich die Partei Die Linke heute zur Speerspitze einer Enteignungskampagne macht, dann erscheint mir das als Heuchelei. War es doch der rot-rote Senat in Berlin gewesen, der ab 2002 die landeseigenen Wohnungen in rekordverdächtigem Umfang an Großinvestoren verscherbelte. Seinerzeit hieß Die Linke zwar noch PDS, aber wenn sie sich heute zur Verteidigerin von Mieter*innenrechten aufspielt, ist das schlichtweg zum Kotzen – dies gilt im gleichen Umfang für die SPD. Berlin war „arm aber sexy“, was, ehrlich gesagt, weniger lustig ist, als es klingt. Und was die CDU zuvor mit ihrer rigiden neoliberalen Politik begonnen hatte, wurde konsequent und vor allem effizient durch einen rot-roten Senat weitergeführt.

Wenn also heute nach einem Enteignen der Deutschen Wohnen gerufen wird und Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt werden, dann macht es den Menschen unnötige Hoffnung. Es ist nicht die Lösung des aktuellen Problems. Da haben die Gegner*innen ausnahmsweise mal recht: mit einer Enteignung wird kein neuer Wohnraum geschaffen. Auch das eine Sünde, die unter der CDU-Regierung begonnen und von Rot-Rot konsequent weitergeführt wurde, nämlich keine neuen Wohnungen zu errichten, obwohl Berlin pro Jahr um ca. 40.000 Menschen wächst. Aber ein Enteignungsverfahren wird eine jahrelange juristische Auseinandersetzung sein, und bis auf das Enteignen für den Autobahn- oder Braunkohletagebau gibt es keine entsprechenden Vergleichsereignisse seit Gründung der BRD. Eine mögliche Enteignung steht zwar im Grundgesetz, ein damaliger Kompromiss zwischen der CDU und einer noch sozial eingestellten SPD (vor dem Godesberger Programm), wurde aber nie weitreichend angewendet.

Der Kampf um die Begriffe

Aber nehmen wir mal den positiven Fall an, dass die Deutsche Wohnen enteignet würde: In diesem Fall hätte sie ein Anrecht auf „Entschädigung“, die zwischen sechs und 36 Milliarden Euro liegen würde. Wie viele neue Wohnungen könnten dafür gebaut werden? Und die Wohnungen gingen an jene zurück, die sie für einen Appel und ein Ei zuvor verscherbelt hatten. So etwas würde man eigentlich ein schlechtes Geschäft nennen, auf dem Rücken von Steuerzahler*innen.

Jetzt gehen aber hier Begriffe wie „Verstaatlichung“ und „Vergesellschaftung“ durcheinander. Wenn es zu einer Enteignung käme, dann müssten die Wohnungen am sichersten in eine Genossenschaft der Mieter*innen überführt und nicht einer staatlichen, bodenlosen Bürokratie überlassen werden. Hier lohnt sich ein Blick nach Wien, wo recht vorbildlich seit 100 Jahren Wohngenossenschaften arbeiten, oder ein Blick nach Zürich, wo derzeit Genossenschaften wie KraftWerk u.a. die verkrusteten Strukturen der Alt-Genossenschaften aufmischen.

Wenn wir jetzt aber mal statt einer großen Illusion – für mehr halte ich die Enteignungskampagne nicht – eine schnellere Entspannung des Wohnungsmarktes herbeiführen wollen, wäre dies durchaus möglich, indem ein paar Gesetzesänderungen vollzogen werden:

1) Ersatzlose Streichung der Modernisierungsumlage

2.) Verbot von Vermietung ganzer Wohnungen über Airbnb (mit entsprechender Kontrolle)

3.) Keine Umlegung der Grunderwerbssteuer auf die Miete

4) Leerstand von Wohnungen sollte mit Bußgeld belegt und nicht noch steuerlich absetzbar sein usw. usw. Den Fachmenschen würde hier sicher noch einiges mehr einfallen, um Mieten sicher und stabil zu halten.

Schon vor 20 Jahren waren die Renditen in der Immobilienwirtschaft bei rund 8% und es wurden trotzdem energetische Verbesserungen durchgeführt, ohne die Mieter*innen zu belasten. Mit langfristigen Krediten über die KfW-Bank war dies kein Problem. Keine Miete musste erhöht werden. Es muss nur der Wille da sein. Vielleicht hätten die rund 40.000 Demonstrant*innen in Berlin den Reichstag besetzen sollen. Der Kampf um die Begriffe ist auch ein Kampf um die Zukunft, wie wir leben wollen und wem die Stadt gehört. Hier braucht es mehr Fantasie.

Enteignung? Ja bitte!

Um Missverständnissen vorzubeugen, ich persönlich habe nichts gegen Enteignungen, aber bevor eine verhältnismäßig kleine Wohnungsgesellschaft enteignet würde, wären mir Rüstungs- und Medienkonzerne, Energiewirtschaft und andere Schlüsselindustrien lieber. Auch als es Ende der 1960er Jahre eine „Enteignet Springer“-Kampagne gab, verlief die im Sande. Enteignungen sind nur innerhalb einer Revolution machbar – schon wegen der Nachhaltigkeit. Daher wäre vielleicht zuerst die Regierung dran, die der Macht enteignet werden sollte.

Knobi