Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hg.): Eure Heimat ist unser Albtraum. Beiträge von Sasha Marianna Salzmann, Sharon Dodua Otoo, Max Czollek, Mithu Sanyal, Margarete Stokowski, Olga Grjasnowa, Reyhan Şahin, Deniz Utlu, Simone Dede Ayivi, Enrico Ippolito, Nadia Shehadeh, Vina Yun u.a.. Ullstein, München 2019, 208 S., 20 Euro
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zu den aktuellen Debatten über kulturelle Identität in Deutschland. Der von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah herausgegebene Sammelband enthält Texte von 14 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren – deutlich mehr Frauen als Männer – die unter verschiedenen Aspekten über ein gemeinsames Unbehagen schreiben, das sie verspüren, wenn heutzutage affirmativ von „Heimat“ gesprochen wird. Denn sie sind bei diesem Heimatgefühl nicht mit gemeint, jedenfalls nicht bedingungslos.
Die meisten der Autor*innen haben eine gewisse Prominenz als Kulturschaffende in Deutschland, zum Beispiel die Spiegelkolumnistin Margarete Stokowski, die Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann, die Rapperin Reyhan Şahin, die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo oder die Publizistin Mithu Sanjal. Das Wertvolle an ihren Beiträgen ist, dass sie persönliche Erlebnisse zur Verfügung stellen, um vermitteln zu können, worin die Ausschlüsse und Mikroaggressionen bestehen, denen Menschen alltäglich ausgesetzt sind, die nicht als „hundertprozentig deutsch“ gelten.
Der Anlass kann ganz unterschiedlich sein: Bei den einen ist es der Name, bei anderen das Aussehen, bei dritten eine als unvereinbar behauptete Zugehörigkeit wie die zum Judentum. Anhand von Begebenheiten aus ihrer Kindheit und Jugend in deutschen Schulen, von Begegnungen und Dialogen, reflektieren die Autor*innen über die Strukturen und Ursachen und Erscheinungsformen dieses Rassismus, der die andere Seite der Medaille „Heimat“ ist.
Anders als bei Sammelbänden oft üblich, wirken die Texte nicht wie ein Sammelsurium aus lose unter einer Überschrift zusammengefassten Beiträgen, sondern ergeben tatsächlich eine gemeinsame Erzählung. Im Zentrum steht das erlebte „Othering“. Also die Erfahrung, dass das das eigene Selbstverständnis, Teil der deutschen Gesellschaft zu sein, immer wieder unterbrochen wird durch die Markierung als „Fremde“. Die permanente (oder jedenfalls permanent drohende) Erfahrung, dass die eigene Zugehörigkeit zur Gesellschaft, in der man lebt und aufgewachsen ist, prekär und unsicher ist.
Dabei erzählen die Autor*innen auch davon, wie sie von ihren Eltern auf die rassistischen Umstände vorbereitet wurden – oder eben auch nicht vorbereitet wurden. Und sie erklären, warum Rassismus nicht in erster Linie eine moralische Schuld Einzelner ist, sondern ein strukturelles Phänomen, dem letzten Endes niemand vollständig entgehen kann. Auch nicht die Betroffenen selbst.
Dabei sind die Erfahrungen auch unterschiedlich. Unterschiedlich ist etwa, welche Möglichkeiten die Einzelnen haben, mit dem Problem umzugehen. Manche haben gar keine andere Wahl als sich dem zu stellen, denn sie werden rein aufgrund ihres Aussehens als „fremd“ wahrgenommen. Andere hingegen können als „Einheimische“ durchgehen, solange sie nicht ihren Namen sagen oder von ihrer Familiengeschichte erzählen, oder solange nicht „herauskommt“, dass sie jüdisch sind.
Eine solche Zwischenstellung kann sowohl ein Privileg als auch eine Last sein. Denn die Markierung als „Fremde“ ist umso enttäuschender, wenn man sich zuvor in der Hoffnung wiegen konnte, dazuzugehören. Es kann andererseits auch anstrengend sein, Erwartungshaltungen abzuwehren, wenn man etwa für ein „deutsches“ Gemeinschaftsgefühl vereinnahmt werden soll, das man selbst gar nicht teilt. Oder wenn das Othering subtil daher kommt, etwa in Form von Lob. Das Problem ist, dass auch dann die Anerkennung als „dazugehörig“ nicht bedingungslos geschieht, nicht selbstverständlich ist, sondern an ein bestimmtes (Wohl)-Verhalten geknüpft bleibt. Und das löst natürlich besonders bei kritischen Geistern Widerspruch aus und ist vermutlich einer der Gründe, warum viele jüngere Deutsche mit migrantischer Familiengeschichte entscheiden, diese Differenz deutlich sichtbar zu markieren, etwa durch Kleidung, Sprache, Verhalten.
Die Autor*innen dieses Bandes geben sich jedenfalls nicht mehr mit dem Versprechen zufrieden, dazugehören zu dürfen, sobald man ihnen ihr Anderssein nicht mehr anmerkt. Sondern sie erheben den Anspruch, so wie sie sind dazuzugehören. Oder, mehr noch: Sie bestehen darauf, dass sie überhaupt nicht anders sind, sondern normal, egal welche Phantasmen deutscher Leitkultur andere entwerfen.
Insofern ist der Band trotz seiner deutlichen Kritik an den gegenwärtigen kulturellen Debatten über „Deutschtum“ und „Migrationshintergründe“ auch optimistisch und letztlich ein Beweis dafür, dass eine Integration real bereits stattgefunden hat, sich aber bloß noch nicht in der symbolischen Ordnung nachvollzogen hat. Dafür, dass das noch nachgeholt werden kann, ist dieses Buch eine Hilfe.
Antje Schrupp
Zum Thema auch interessant: Das Kapitel „Zugehörigkeit“ im ABC des guten Lebens: https://abcdesgutenlebens.wordpress.com/category/zugehorigkeit/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.