Kommentar
„Weniger Staat, weniger Steuern und mehr Investitionen durch vereinfachte Genehmigungsverfahren für Investoren, zur Schaffung von Arbeitsplätzen.“ Außerdem „mehr Polizei, konsequentes Durchgreifen, Abschaffung des Hochschulasyls, Räumung aller besetzten Häuser und Verbot der anarchistischen Organisation Rouvíkonas“, um so der verbreiteten „Gesetzlosigkeit“ Herr zu werden. Mit solch einfachen Parolen, täglich wiederholt in der ihn unterstützenden Presse, gelang dem konservativen Kyriákos Mitsotákis ein ungefährdeter Sieg bei der griechischen Parlamentswahl am 7. Juli. Der Spross einer mächtigen Politdynastie, der nach dem Studium an einer US-Eliteuniversität als Unternehmensberater und Investmentbanker in London arbeitete, ließ keinen Zweifel daran, dass sein Hauptaugenmerk der ungehinderten Profitmaximierung der Besitzenden gilt.
Bei einer Wahlbeteiligung von gerade noch 57 % wurde Mitsotákis Partei Néa Dimokratía mit 39,8 % der abgegebenen Stimmen zur stärksten Kraft im Parlament. Auf Grund des griechischen Wahlrechts – die stärkste Partei erhält 50 Bonussitze – regiert er nun mit absoluter Mehrheit.
Die seit 2015 unter Aléxis Tsípras regierende Allianz der radikalen Linken (Syriza) erreichte immerhin noch 31,5 %. Somit hat Tsípras nur 4 % gegenüber 2015 verloren und sein Minimalziel erreicht: Syriza dauerhaft als größte politische Kraft links der Mitte zu etablieren. Die aus der ehemaligen Staatspartei Pasok hervorgegangene Bewegung des Wechsels (Kínima Allagís), kam dagegen nur auf 8,1 %.
Die erfolgreiche Sozialdemokratisierung Syrizas soll nun durch „verantwortliche Arbeit in der Opposition“ und einen baldigen Namenswechsel vollendet werden. Um „zum richtigen Zeitpunkt an die Macht zurückzukehren“, wie Tsípras vor der Partei betonte. Auf diesem Weg wird ihn auch im Parlament linke Kritik begleiten. Ausgerechnet seinem einstigen Vertrauten, Ex-Finanzminister Yánis Varoufákis, gelang mit seiner Partei Mera25 (Front des realistischen europäischen Ungehorsams) mit 3,4 % der Sprung über die Dreiprozenthürde.
Varoufákis will „unnachgiebig dafür kämpfen“, dass Griechenland aus dem „Gefängnis der Schulden“ ausbricht. Mera25 beschreibt sich als „europaweite, grenzüberschreitende Bewegung von Demokraten“ und will Grüne, radikale und liberale Linke zusammenbringen, „um die vom Zerfall bedrohte EU zu reparieren“. Ebenfalls im Parlament vertreten sind die Kommunistische Partei (KKE) mit 5,3 % und die christlich-nationalistische Griechische Lösung (Ellinikí Lísi) des Putin-Fans Kyriákos Velópoulos mit 3,7 %.
Als Erfolg der antifaschistischen Bewegung kann der mit 2,9 % knapp verpasste Parlamentseinzug der Neonazi-Partei Chrysí Avgí (Goldene Morgenröte) gewertet werden. Zwar ist sie noch nicht aus dem politischen Diskurs verbannt und es besteht die Gefahr, dass Teile ihrer so genannten Sturmtruppen versuchen werden zum offenen Straßenterror zurückzukehren. Momentan jedoch sind starke Auflösungserscheinungen zu beobachten, was zum baldigen Ende der Partei führen könnte. Zumal im Herbst endlich der lange verzögerte Mammutprozess gegen die Neonazis zu Ende gehen soll. Vielen der 68 Angeklagten und führenden Parteikader drohen hohe Haftstrafen, da sie nun keine parlamentarische Immunität mehr genießen. Angeklagt sind sie unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, politischer Morde, Überfälle auf politische Gegner und schwerer Körperverletzung.
Auch ansonsten sind die Fronten in Griechenland klar. Nicht unwesentliche Teile der anarchistischen und antagonistischen Bewegungen hatten 2015 Verständnis für eine taktische Wahl von Syriza geäußert. Erreicht werden sollte so eine Verschnaufpause im Kampf gegen den kapitalistischen Frontalangriff. Im Sommer 2019 wurde das Land von Alexandroúpolis im äußersten Nordosten bis nach Kreta im Süden mit Wahlboykottkampagnen gegen „parlamentarische Illusionen“ überzogen.
Zeitgleich bereitete sich die Bewegung auf neue Wellen staatlicher Repression und eskalierender Polizeigewalt vor. Während Anarchist*innen in den Tagen nach der Wahl in Exárchia zwei weitere Häuser besetzten, wurde die europaweit bekannteste Flüchtlingsbesetzung, das City Plaza im Zentrum von Athen, am 10. Juli 2019 aus Angst vor einer möglichen Räumung freiwillig verlassen. Einzelne Polizeioffiziere wie Konstantínos Iliópoulos gingen auf Facebook zur niveaulosen Bedrohung politischer Gegner*innen über. So postete Iliópoulos unter Angabe seiner Néa Dimokratía-Mitgliedsnummer: „Ab heute wird Griechenland mit der Macht des Knüppels regiert“. Tsípras beschimpfte er als „Hurensohn“ und Mitsotákis schlug er vor, „gemeinsam mit MAT-Einsatzkommandos nach Exárchia zu gehen“. Diese seien auf seiner Seite und würden „jeden Anarchisten, den sie verhaften, mit dem Knüppel in den Arsch ficken, und zwar ohne Vaseline“. Iliópoulos wurde umgehend aus der Partei ausgeschlossen, seinen Polizeidienst verrichtet er weiter. Zwei ehemalige Polizisten genießen unterdessen ihre Freiheit. Im Revisionsprozess gegen die Mörder des 15-jährigen Aléxandros Grigorópoulos, die Ex-Polizeibeamten Epaminóndas Korkonéas und Vasílis Saraliótis ergingen am 29. Juli die Urteile. Zwar wurde Korkonéas erneut wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt, die Strafe jedoch von Lebenslänglich auf 13 Jahre verkürzt. Da zwei Drittel der Strafe verbüßt sind, wurde er auf freien Fuß gesetzt. Sein im ersten Prozess wegen Beihilfe zu zehn Jahren verurteilter Mittäter Saraliótis wurde freigesprochen. In einer in der linken Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón vom 3. August 2019 veröffentlichten Erklärung, betont der Anarchist Níkos Romanós, in dessen Armen Grigorópoulos am 6. Dezember 2008 starb: „Angesichts der neuen Kreuzzüge, die die Néa Dimokratía-Regierung gegen die antagonistische Bewegung organisiert, ist das Urteil die Patrone im Magazin der bewaffneten Beschützer der herrschenden Klasse.“ Weiter betont Romanós: „Dieses provozierende Urteil (…) für die Mörder-Bullen, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein politisches Urteil. Denn die Entscheidung belohnt mörderische Polizeigewalt sogar noch, wenn sie sich gegen Jugendliche richtet.“
Am Ende der Erklärung erinnert Romanós daran, dass er selbst zu 14 Jahren Haft wegen der Brandstiftung der Privatwagen des Ex-Verteidigungsministers Giánnos Papantoníou verurteilt wurde.
„Offensichtlich erfordern abgebrannte Autos eine härtere Bestrafung als staatliche Morde in dieser magischen Welt bürgerlicher Demokratie mit ihrer grenzenlosen Achtung des menschlichen Lebens.“
Für die parlamentarische und gesellschaftliche Linke in Europa sollte es nach Syrizas Abwahl nun zumindest zu einer ernsthaften Aufarbeitung kommen. Wie soll progressive Politik unter den feindlichen Bedingungen in Europa in Zukunft möglich sein? Denn was nach fünf Jahren massenhafter, oftmals militant geführter, gesellschaftlicher Abwehrkämpfe seit 2010 im Januar 2015 zu Syrizas Wahlsieg führte, und mit großen Hoffnungen und Erwartungen verbunden war – die Interventionistische Linke sprach gar von „Zeitenwende“ – sollte außer Ernüchterung zumindest Lehren für zukünftige Versuche beinhalten. Klar, Syriza hat so gut wie alle Wahlversprechen gebrochen und die zuvor vehement bekämpften Spardiktate der Troika erfolgreicher gegen die griechische Bevölkerung durchgesetzt als alle Vorgängerregierungen.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die politische Niederlage von Syriza eng mit der Unfähigkeit des gesamten Spektrums der europäischen Linken verbunden ist, ein wirksames Gegengewicht zur mächtigen Austeritätsfront in Berlin und Brüssel zu bilden.
Vor allem in Deutschland, im Herzen der Bestie, ist es nicht gelungen Widerstand zu organisieren. Dies betrifft die angeblich etwas anderes wollenden und in politischen Machtpositionen sitzenden Parteien SPD, Grüne und Linkspartei sowie die DGB-Gewerkschaften.
Angesprochen fühlen darf sich jedoch auch die sogenannte radikale Linke, sowie autonome und anarchistische Gruppen, die zumeist als passive Zuschauer verfolgten wie deutsche Politik mit üblen Ressentiments und offener Erpressung dem (deutschen) Kapital den Weg zur erneuten Ausplünderung Griechenlands ebnete. Diese Tatsache und das schreiende Unrecht der von Deutschland noch immer verweigerten Zahlung von Kriegsreparationen in vielfacher Milliardenhöhe, verlangt schon lange nach einer starken Bewegung, um genau diese durchzusetzen.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.