Am 10. August 2019 hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg den Hambacher Wald besucht und anschließend die Notwendigkeit von Protestformen des zivilen Ungehorsams betont. Das ist wenig überraschend, denn die von Thunberg initiierte Bewegung der Schulstreiks stellt ja nichts anderes dar als eine bewusste Regelübertretung mit friedlichen Mitteln, also: zivilen Ungehorsam.
Die „Junge Union“ Rhein-Erft, Organisation der Nachwuchskarrierist*innen der CDU, äußerte sich über Thunbergs Besuch „fassungslos“. Die jungen Konservativen hatten die Schwedin zuvor erfolglos zu etwas eingeladen, was sie wohl „Dialog“ genannt hätten. Dass Thunberg sich lieber mit Klimaschützer*innen vernetzt als mit den Business-as-usual-Jugendlichen, passt nicht in deren Weltbild. Und dass unter den Gesprächspartner*innen der Nobelpreis-Aspirantin im Hambi auch eine vermummte Person war, hat bei den Jungunionist*innen vollends Schnappatmung hervorgerufen. Merkwürdigerweise wurde dieser Punkt auch in der Klimabewegung selbst kontrovers diskutiert. Allen ist klar, dass es für Menschen, die sich durch eine Baumbesetzung mit dem Kohlekonzern RWE anlegen, sehr gute Gründe gibt, ihre Identität nicht preiszugeben. Aber die Symbolik der Bilder, bei denen Teile der Bewegung ebenso unerkannt bleiben, wie es die Polizei bei ihren gewaltsamen Einsätzen prinzipiell ist, stößt Manchen unangenehm auf.
Mir geht es da anders. Auch ich erkenne gerne das Gesicht meines Gegenübers, die in der Mimik ablesbaren Gefühle und Interaktionen. Aber ich weiß, dass der Klimakampf kein Ponyhof ist. Und solange auch nur ein Staatsbüttel anonym agieren darf, müssen wir moralisch über die Vermummung beim Protest nicht diskutieren. Die Facebook-Threads, in denen das bewegungsintern diskutiert wurde, zeichnen sich übrigens durch eine bemerkenswert konstruktive Diskussionskultur aus. Anders die Trollosphäre. Selbst die ziemlich RWE-nahen Aachener Lokalzeitungen mussten ein „erschreckendes Ausmaß an Hass“ konstatieren, das sich in ihrem Internet-Auftritt über Thunberg nach deren Hambi-Besuch ergoss. Diese wütenden Menschen, die ihre Gewaltphantasien übrigens ihrerseits überwiegend im Schutz der digitalen Anonymität ausgießen, sind offenbar besonders in Rage wegen der manifesten Einheit der bürgerlichen und der radikalen Klimaschutzbewegung. Thunberg hatte im März 2019 die „Goldene Kamera“ des Funke-Medienkonzerns verliehen bekommen und diesen Preis den Aktivisti im Hambacher Wald gewidmet. Es ist dieser Brückenschlag zwischen bürgerlich und radikal, der die Klimaschutzbewegung im Rheinland schon im letztjährigen Kampf gegen die Rodung des Hambi so interessant und so erfolgreich machte und der zugleich nicht nur die Online-Trolle, sondern auch die Lokalpresse und den Aachener Polizeipräsidenten jede Contenance verlieren lässt.
Damit erst einmal genug zu Greta. Man muss sie bewundern, weil sie die Bewegung der Schüler*innen angestoßen hat, und weil das allermeiste, was sie in die ihr reichlich dargebotenen Mikrophone spricht, von Weisheit geprägt ist – nicht zuletzt das Bekenntnis zum zivilen Ungehorsam. Noch wertvoller ist aber, dass die Fridays-for-Future-Bewegung keinen Personenkult um Thunberg betreibt. Sie braucht keine individuellen Held*innen, um Freitag für Freitag massenhaft auf den Straßen präsent zu sein und ihren Anspruch auf Zukunft zu manifestieren. Es ist eine großartige, dezentrale Bewegung, die sich von den ganzen Politprofis weder einschüchtern noch einlullen lässt.
Die Aachener Polizei hatte im Vorfeld der internationalen Fridays-for-Future-Demonstration in Aachen am 21. Juni 2019 einen mit Falschinformationen gespickten Brief an Schüler*innen, Studierende und Eltern veröffentlicht. Darin versuchten die Ordnungshüter*innen mal wieder, einen Keil in die Klimabewegung zu treiben. Die jungen Leute von „Fridays for Future“ sollten, hieß es, nicht in die „Strafbarkeitsfalle“ tappen, indem sie sich an Aktionen von „Ende Gelände“ beteiligten, die zur selben Zeit im Tagebaugebiet Garzweiler stattfanden. „Fridays for Future“ Aachen distanzierte sich von diesem Polizeischreiben und forderte eine Entschuldigung.
Die Schüler*innen solidarisierten sich ausdrücklich mit „Ende Gelände“ und mit der ebenfalls Taktiken des zivilen Ungehorsams praktizierenden „Extinction Rebellion“ [siehe Artikel in dieser GWR-Aktionszeitung]. Von den 36.000 Teilneh-mer*innen der Aachener Demo sah man am darauffolgenden Tag viele Tausende an der Grubenkante des Garzweiler Loches die Ende-Gelände-Aktivisti unterstützen, und nicht wenige von den älteren Schüler*innen wagten auch den Weg in die Grube. Wie sollte es denn auch anders sein? Die jungen Leute haben erkannt, dass das bestehende Wirtschaftssystem ihre Zukunft zerstört. Sie blieben freitags dem Unterricht fern und riskierten damit Disziplinarmaßnahmen. „Warum sollen wir für eine Zukunft lernen, die wir vielleicht gar nicht haben?“, lautet eine wichtige Devise. Die lässt sich verallgemeinern: Warum sollten wir uns an Gesetze halten, die ganz eindeutig dazu beitragen, unsere Zukunft zu zerstören?
Die Vernetzung von „Ende Gelände“, „Extinction Rebellion“ und „Fridays for Future“ stellt eine Entwicklung dar, die Hoffnung schöpfen lässt. Vielleicht haben wir hier ein Samenkorn der systemsprengenden Rebellion, die nötig ist, um die Katastrophe des globalen Klimas wenigstens noch in Grenzen zu halten. Dass die offiziellen politischen Verantwortungsträger*innen dazu nicht imstande sind, haben sie im laufenden Jahr erneut bewiesen.
Das Klimathema eroberte dank der Schüler*innen-Proteste die TV-Talkshows und Zeitungs-Schlagzeilen, und das bewirkte bei unseren Berufspolitiker*innen … sehr viele Lippenbekenntnisse, und sehr wenig Entscheidungen angesichts des lichterloh brennenden gemeinsamen Hauses. Der Landtag von NRW beschloss im Juli 2019 mal eben einen neuen „Landesentwicklungsplan“, der außer einer hemmungslosen Bodenversiegelung ein massives Ausbremsen des Ausbaus der sauberen Windenergie beinhaltet. Die Einflüsterungen der Kohle-Lobby klingen in den Staatskanzleien, Ministerien und Fraktionen eben noch immer lauter als der existenzielle Problemdruck, und lauter als das bisherige Ausmaß an zivilem Ungehorsam. Letzteres können wir steigern! Vor ein paar Tagen konstatierten die Aachener Tageszeitungen in besorgtem Ton: „Das Bundesamt vom Verfassungsschutz spricht bei Ende Gelände von einer linksextremistisch beeinflussten Kampagne.“ Ja freilich! Was denn sonst? Der Kapitalismus hat uns an den Rand der Zerstörung des menschlichen Lebens auf der Erde gebracht.
Das Haus brennt!
Welchen Politikansatz sollten wir denn da verfolgen, wenn keinen linksradikalen? Und was ist so schlecht an radikaler Demokratie, an der Gleichheit der Chancen, und – ja, am Überleben? Jedes menschliche Wesen kämpfe gewaltfrei mit dem Mut, den es jeweils hat – auf angemeldeten Demos, mit Leser*innenbriefen und Petitionen, mit Flyern, Transparenten, Swarmings und Die-ins, mit Straßen- und Flughafenblockaden oder mit Baggerbesetzungen im Tagebau; wenn’s geht, mit offenem Visier, wenn’s sein muss, vermummt – alles zusammen ergibt die notwendige Bewegung, und am wichtigsten ist, diese Bewegung nicht spalten zu lassen. Dass die Spaltungsversuche der Polizei, der bürgerlichen Presse und der Berufspolitiker*innen bisher alle ins Leere liefen, das ist eine der Mut machenden Beobachtungen der letzten zwölf Monate.
Rüdiger Haude
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.