Rezension

Schlechte Auflösungen vermeiden

| Gaston Kirsche

Andreas Blechschmidt: „Gewalt. Macht. Widerstand.“ G20 – Streitschrift um die Mittel zum Zweck, rat - reihe antifaschistische texte, Band 31. Unrast, Münster 2019, 160 Seiten, 12,80 Euro, ISBN 978-3-89771-829-6

In seiner „G20 – Streitschrift um die Mittel zum Zweck“ kritisiert Andreas Blechschmidt die Aufstands- oder Riot-Romantik nach den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg unter radikalen Linken. In „Gewalt. Macht. Widerstand“, so der Haupttitel seines Buches, verortet er die militanten Aktivitäten nicht nur theoretisch, sondern auch in der lokalen Widerstandsgeschichte.

Der Autor Andreas Blechschmidt ist als Aktivist im autonomen Zentrum Rote Flora und Anmelder zahlreicher Demonstrationen der radikalen Linken Hamburgs stadtbekannt und exponiert. Er war Sprecher des „Welcome-To-Hell“-Bündnisses, welches für den Vorabend des G20-Gipfels eine Demo der autonomen Szene organisiert und angemeldet hatte, die schon bei der Aufstellung mit gnadenloser Brutalität von der hochgerüsteten Polizei auseinander gehauen wurde.

Andreas Blechschmidt erklärte Medienvertreter*innen in der angespannten Situation vor Ort geduldig, warum dies eine massive Verletzung des Demonstrationsrechtes war. Der „schwarze Block“ an der Spitze der Demo von 12.000 Leuten hatte zuvor die Vermummung abgelegt, weil die Polizei dies mit der Demoleitung vereinbart hatte. Es nützte nichts. Nur der Standhaftigkeit der Demospitze, die sich von Hundertschaften in Kampfmontur zusammenschlagen ließ, ist es zu verdanken, dass die meisten Teilnehmenden weglaufen konnten, ohne an der Flutschutzmauer zum Fluss Elbe hin eingequetscht zu werden. Blechschmidt schildert im Kapitel „Polizeistaatsgewalt – die Welcome-To-Hell-Demonstration“ kenntnisreich, wie es dazu kam.

Am nächsten Morgen zogen drei kleine Spontandemos durch Einkaufstraßen im noblen Othmarschen, in Eimsbüttel und über die Elbchaussee. Am Rande wurden zahlreiche Schaufensterscheiben eingeworfen. Nur am Rande der dritten Demo auf der Elbchaussee wurden 19 Autos in Brand gesetzt, Feuer in einem Maklerbüro in einem Wohnhaus gelegt – und offensichtlich eine Scheibe von einem Linienbus eingeworfen.

Der Autor hinterfragt differenziert die militanten Aktionen, hierzu schreibt er etwa: „Aber offensichtlich kam es dann doch zu einem einzelnen Wurf, der eine Scheibe des Busses zerstörte. Diese unbedachte Aktion zeigt, dass die Bestimmung und Praxis militanter Aktionsformen keinen Fehler verzeiht, denn damit wurde der Denunziation der Proteste unfreiwillig Stoff gegeben.“

Obwohl die allein auf Eskalation, Unterdrückung und Stärke setzende Polizeiführung über 31.000 Einsatzkräfte und 40 Wasserwerfer unter ihrem Kommando hatte, forderte sie wegen der Demo auf der Elbchaussee auch noch die bundesweite Polizeireserve an. Blechschmidt analysiert in zwei Kapiteln die Strategie der Polizeiführung faktenreich als „Chronik einer angekündigten Eskalation“.

Statt Dialog gab es in den fünf Tagen davor bestenfalls Ansagen, wenn nicht gleich Pfefferspray, Tonfas und Wasserwerfer. Am folgenden Abend konzentrierte sich die Polizei auf die Abschottung des Festaktes für die G20-Gipfel-Teilnehmenden in der Elbphilharmonie. Im Schanzenviertel kam es zu einer „dreistündigen polizeifreien Zone“, wie Andreas Blechschmidt es nennt: Süddeutsche Polizeieinheiten gingen nicht in das Viertel hinein: Sie waren irritiert, weil die Menschen dort auf der Straße nicht – wie sie es gewohnt sind – vor ihnen weg liefen, sondern stehen blieben und sich teilweise wehrten.

In zwei detaillierten Kapiteln analysiert Andreas Blechschmidt die Ereignisse am Freitag, den 7. Juli, tagsüber und in der Nacht. Er verliert sich dabei nicht in einer langatmigen Chronik, sondern gibt einen guten, kompakten Überblick, den er mit wenigen aussagekräftigen Details unterfüttert. In einigen Fußnoten werden knapp wichtige Hintergrundinformationen erwähnt. Mit dem Wissen um die Auseinandersetzungen im Schanzenviertel seit der Besetzung der Roten Flora 1989 kritisiert Blechschmidt, dass die Militanz in der polizeifreien Zone alles andere als herrschaftsfrei war und es keinen gewaltfreien Umgang untereinander gab: Die hohen Feuer der Barrikaden drohten auf Wohnhäuser überzugreifen, Anwohnende, die löschten, wurden zum Teil angegriffen. Blechschmidt beschreibt dies als „für die zu Statist*innen degradierten Bewohner*innen des Stadtteils“ Erfahrung einer „doppelten Ausgrenzung“: „So wie in den Tagen unmittelbar vor dem Gipfel die sich als Besatzermacht gerierenden Polizeihundertschaften die Interessen der dort lebenden Menschen nicht interessiert haben, so wenig haben solche Interessenlagen für die Riots der militanten Linken einen Belang. Und das in einem Quartier, in dem die Bewohner*innen im Vorfeld mehrheitlich mit der Haltung der radikalen Linken übereinstimmten, dass niemand diesen Gipfel haben will und es keinerlei Sympathie für diesen Event gab.“ Durch die Gemengelage einer Militanz verschiedenster Akteur*innen, nicht nur aktiver Linker, wurde die Gewaltförmigkeit kapitalistischer, in der Männerdominanz auch ungebrochen patriarchaler Verhältnisse eher reproduziert als durchbrochen: „Der ironisch-abfällige Hinweis des Autor*innen Kollektivs Komitee 17, dass es im Schanzenviertel Linke gäbe, die die Riots ‚sogar an der Verträglichkeit für Kinder messen wollen‘, entspricht der Herablassung gegenüber der Bevölkerung“, so Andreas Blechschmidt.

Im zweiten Teil des Buches entwickelt der Autor einen theoretischen Brückenschlag „Von der Gewaltfrage … zur Machtfrage“. Sein Militanzbegriff ist dabei aus der klassischen autonomen Bewegung heraus entwickelt, aber mit einem klaren Vorbehalt gegenüber Gewalt gegen Menschen. Wobei sich Andreas Blechschmidt hier nicht festlegt. Aus Sicht einer radikal linken Gewaltfreiheit fehlt dem Buch leider eine Bezugnahme auf die fundierte Kritik, die ausführlich in der Graswurzelrevolution Nr. 421 vom September 2017 dargelegt wurde. Aber die Streitschrift von Andreas Blechschmidt ist ein Angebot zur Diskussion um linke, antistaatliche Radikalität im Deutschland der Gegenwart, ein guter Anknüpfungspunkt für eine Debatte auf Augenhöhe um Militanz, die auch selbstkritisch ist und ohne Mackerattitüde auskommt. Nötig wäre, so Blechschmidt, ein Eingeständnis der eigenen Schwäche, ohne deshalb aufzugeben: „Es stellt sich daher die Frage, ob nicht die authentischste revolutionäre Haltung darin besteht, durch eine souveräne Abschätzung der Ohnmacht und der Verstricktheit in das neoliberale Regime sich vom Hintergrund der gegenwärtigen Verblendung zu lösen. Das Eingeständnis einer solchen Ohnmacht bedeutet nicht, den Verhältnissen handlungsunfähig ausgeliefert zu sein. Sie wäre in ihrer politischen Artikulation ‚souverän‘, weil sich damit ein Bewusstsein über die aktuellen Kräfteverhältnisse ausdrücken würde.“ Der Autor argumentiert mit Hannah Ahrendt dafür, dass sich eine Revolution nicht durch Gewalt erzwingen lässt, Geschichte unberechenbar ist. Es komme darauf an, vorbereitet zu sein, damit eine Rebellion sich nicht schlecht auflöst, sondern sich in eine emanzipatorische Perspektive entwickelt.

Blechschmidt bewertet zwar gut begründet den G20-Protest insgesamt als „bedeutende und ermutigende Erfahrung“, aber die Riots hätten nichts vorangebracht. Er endet mit einem Zitat des von ihm sehr geschätzten Jean Améry: „revolutionäre Gewaltausübung ist das schwierigste und riskanteste Unternehmen“. Aber sie kann sowohl als Katastrophe als auch als glückliche Ankunft enden. Und Brandstiftungen in bewohnten Häusern gehen für Andreas Blechschmidt eindeutig in Richtung Katastrophe. Auch wenn das Riot-Romantiker*innen bagatellisieren.

Gaston Kirsche