Klimaverhandlungen im Gerichtssaal

Der Strafprozess wegen der Blockade eines RWE-Kohlekraftwerks hat begonnen.

| Kampagne WeDontShutUp

Beitragklimaverhiii
Zeichnung: Oli

Mit dabei: politische Prozessführung, Klimawandelexpert*innen und ganz viel solidarische Unterstützung

 

Reclaim the Pavement” – so lautete die Devise einer Gruppe von Unterstützer*innen, die sich am 30. Oktober 2019 vor dem Gericht in Eschweiler versammelt hatten. Feuer loderte in einer Metallschale, Banner wurden aufgehängt, ein Buffettisch füllte sich immer mehr und die Kinderbetreuung nahm ihre Tätigkeit auf. Im Gerichtssaal wurde der Prozess gegen fünf Aktivist*innen eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, als Teil einer ca. 15-köpfigen Gruppe im November 2017 das Braunkohlekraftwerk Weisweiler blockiert und zu einem fast vollständigen Herunterfahren gezwungen zu haben (nachzulesen in GWR 438). Störung öffentlicher Betriebe, Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sind die zu verhandelnden Straftatbestände. Neben der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat werden die Angeklagten von der Betreiberfirma RWE auf etwa zwei Millionen Euro Schadensersatz verklagt.

Der Gerichts-Marathon hat also erst begonnen.

Auf Antrag folgt Ablehnung

Das Gericht sollte nicht in dem Irrglauben gelassen werden, die Angeklagten stünden auf, um ihren Respekt vor dem Richteramt zum Ausdruck zu bringen. „Aufstehen fürs Klima” stand auf den T-Shirts, die die Anklagten und Zuschauer*innen trugen. Gegen das Sitzenbleiben eines bestimmten Personenkreises im Gerichtssaal wurde allerdings noch vor Beginn des Verfahrens ein Antrag eingebracht. Mitarbeiter*innen von Polizei, Verfassungsschutz und RWE sollten bitte den Saal verlassen, da sie als potentielle Zeug*innen in Betracht kämen und deshalb nicht dem Verfahren beiwohnen dürften, forderte einer der Anwälte. Der Richter reagierte, wie es noch viele Male an diesem Tag passieren sollte, mit einer Ablehnung. Nächster Antrag. Gefordert wurde eine erneute Prüfung der Schöff*innen (1), ob Verbindungen zu RWE bestünden (hier muss man dem Richter zugutehalten, dass er bereits im Vorfeld reagierte, als ein Schöffe sich als pensionierter RWE-Ingenieur herausstellte, und diesen wieder auslud) – auch hier wieder: Ablehnung. Und dann noch einmal – Anwalt: „Das Kopieren der Personalien aller Zuschauer*innen am Eingang des Gerichts schränkt die Öffentlichkeit ein und muss unterlassen werden, da sich viele abgeschreckt fühlen.” – Richter: „Abgelehnt”.

Um der Verfolgung durch Staat und Justiz zu entgehen, wurden bei der Aktion Personalien verweigert. Da einige Personen trotzdem identifiziert werden konnten und viele Monate später zum Gericht beordert wurden, fiel die Entscheidung, die dadurch enstandene Öffentlichkeit zu nutzen und einmal mehr über die Klimakrise und die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit zu sprechen. Das öffentliche Interesse am Prozess war gegeben. Die meisten großen Medien und die lokale Presse waren vertreten.

Klima statt Klauseln

Den vom Gericht vorgesehenen Ablauf wollten die Angeklagten so nicht hinnehmen und stattdessen im Prozess folgende Fragen stellen: „Müssen wirklich diejenigen bestraft werden, die durch ihre Aktion einen kleinen Teil des Schadens verhindert haben, den der fossile Dinosaurier RWE jeden Tag anrichtet?” oder „Ist das Profitinteresse eines Konzerns höher zu werten als das Überleben von Millionen von Menschen, die bereits jetzt und unzähligen mehr, die in der Zukunft vom Klimawandel betroffen sein werden?”

Die Mittel waren dabei nicht frei gewählt, sondern durch das Gericht vorgegeben. Das heißt, die Aktivist*innen mussten und müssen hier mit Gesetzen und Paragraphen arbeiten, auch wenn sie keine Freund*innen davon sind. Im Gegenteil: Für sie sind Justiz und Gesetze Mittel des Staates, um Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Das wird am verhandelten Beispiel besonders deutlich. Obwohl die Klimakrise immer mehr ihr zerstörerisches Potential entfaltet und darüber eine breite, gesellschaftliche Debatte stattfindet, sorgt der Staat weiterhin dafür, dass in Deutschland im großen Stil Kohle verbrannt werden kann. Formiert sich dagegen eine Bewegung, die auf unterschiedliche Aktionsformen zurück greift, ist Polizei und Justiz vor allem daran gelegen, diese zurückzudrängen und mit Repression zu überziehen.

Wohltat statt Straftat?

Für Handlungen, die strafrechtlich relevant sind, jedoch dazu dienen, etwas Schlimmeres zu verhindern existiert (zumindest in der Theorie) der „rechtfertigende Notstand” (§34 StGB). Auch § 32 im Strafgesetzbuch – Notwehr und Nothilfe – wollten die Angeklagten hinzuziehen. Dafür wurde ein großer Aufwand betrieben. Ungefähr hundert Seiten Beweisanträge wurden formuliert.

Es wurde außerdem die Ladung von einem Zeugen und vier Sachverständigen von den Aktivist*innen beantragt und vom Gericht im Vorfeld bewilligt. Seuri Sanare Lukumay wollte über die Auswirkungen des Klimawandels auf seine Familie in Tansania berichten. Tobias Bayr, Klimaforscher beim GEOMAR-Zentrum in Kiel, wollte herleiten, wie der Klimawandel erzeugt wird, welchen Anteil daran das Kraftwerk Weisweiler hat und welche Rolle Kipppunkte im Klimasystem spielen. Rosa Gierens, Meteorologin aus Köln, war beteiligt an einer Studie, die die Absonderung von Stickoxiden und Feinstaub durch Kohlekraft dokumentiert. Durch diese Studie konnte ermittelt werden, dass durchschnittlich alle 31,5 Stunden ein Mensch an den Folgen der Luftverschmutzung allein durch das Kraftwerk Weisweiler stirbt. Christian Dörings’ Fachgebiet, als Kinderarzt aus Köln, ist es wiederum, die Verbindung zwischen dem Schadstoff, der jeden Tag durch die Kohleverstromung ausgestoßen wird, und Atemwegserkrankungen (Bronchitis und Asthma) herzustellen. Auch angereist war der Philosphie-Professor Dieter Birnbacher, Autor von „Klimaethik. Nach uns die Sintflut?“. Ihm ging es darum, aufzuzeigen, dass das Vorantreiben des Klimawandels auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben zukünftiger Generationen verletzt.

Ein großer Erfolg war es zwar, dass viele der vertretenen Argumente bereits in der Einlassung (eine Art Eingangsstatement durch die Angeklagten) verlesen werden konnten, allerdings hat das Gericht dann, mit rechtsfehlerhafter Begründung, die Anhörung der Zeugen und Sachverständigen verhindert.

Richterliche Irrungen und Wirrungen

Gegen die Beweisanträge der Aktivist*innen wirken die Argumentationsmuster, derer sich verschiedene Gerichte in der Vergangenheit bei ähnlichen Aktionen bedient haben, sehr dünn. Vermutlich sind die mit den Verfahren betrauten Richter*innen keine Klimawandelleugner*innen. Umso unverständlicher ist es, wenn von Richter*innen behauptet wird, der Klimawandel sei „keine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit”. Eine andere Strategie besteht darin, sich der eigenen Verantwortung zu entziehen und stattdessen darauf zu verweisen, dass „die Tätigkeit der Betriebe von der Rechtsordnung allgemein oder von bestimmten Planungsgenehmigungsverfahren gedeckt” seien.

Den Vogel abgeschossen hat das Landgericht Aachen. Die Besetzung eines Baggers wurde von diesem als ungeeignetes Mittel abgetan, da die Maschine nur im Vorfeld der Kohleförderung zum Einsatz komme. Schlussfolgernd wäre die direkte Blockade eines Kraftwerks ein viel geeigneteres Mittel. Soll das also bedeuten, dass sich die Angeklagten im Weisweiler-Prozess auf dieses Urteil berufen können? Leider nein, denn das Aachener Gericht verstrickte sich im Anschluss in Widersprüchen und formulierte den Vorwurf, es wäre nicht das mildeste Mittel gewählt worden. (2)

Das Amtsgericht Eschweiler hat sich im Weisweiler-Prozess für eine andere Vorgehensweise entschieden. Die von den Angeklagten eingebrachten Beweisanträge wurden vom Richter mit einer knappen Begründung abgetan und konnten nicht vorgetragen werden. Zu den meisten Sachverhalten, die bewiesen werden sollten, wie z.B. die Existenz von Kipppunkten im Klimasystem, wurde vom Richter nur gesagt, dass diese für das Verfahren unerheblich, da offenkundig seien. Ferner gestand das Gericht ein, dass es durch den Klimawandel zu Todesfällen kommt. Wenn jedoch der Klimawandel offenkundig ist und die Kohleverbrennung diesen massiv vorantreibt, wäre es dann nicht konsequent, die Aktion als Nothilfe, Notwehr oder rechtfertigenden Notstand anzuerkennen? Dieser logische Schritt ist vom Gericht vermutlich leider nicht zu erwarten, die Angeklagten wollen aber an den kommenden Prozesstagen weiter darauf bestehen.

Ein gutes Leben für alle

Ein weiterer Widerspruch tut sich bei genauerer Betrachtung des Vorwurfs der „Störung öffentlicher Betriebe” auf. Die „Versorgung der Bevölkerung mit Kraft” kann ja nur dann gestört werden, wenn sich eindeutig nachweisen lässt, dass das Kraftwerk Weisweiler wirklich den Zweck verfolgt, die Bevölkerung mit Strom zu versorgen. Nun kam es aber am Tag der Blockade, einem düsteren November-Tag, an dem kaum Solar-Energie erzeugt wurde, zu einem fast vollständigen Abschalten eines der größten Kraftwerke Deutschlands.

Trotzdem gingen nirgendwo die Lichter aus. Eine häufige (wenn auch angesichts der bereits dargelegten katastrophalen Folgen inakzeptable, weil lebensverachtende) Rechtfertigung für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken bezieht sich auf deren angebliche Notwendigkeit für die „Versorgungssicherheit der Bevölkerung“. Aber selbst wenn wir ignorieren, dass die Versorgungssicherheit durch ein anderes Produktions- und Konsummodell zustande kommen müsste, um ein gutes Leben für alle schaffen zu können, ist das größte Problem für die Versorgungssicherheit nicht zu wenig, sondern zu viel Kraftwerkskapazität in Deutschland und Europa. Ein Abschalten von mehreren Gigawatt Leistung schon in 2017 hätte keine Engpässe zur Folge gehabt, sondern stattdessen Netzüberlastungen, Stromexporte zu Negativ-Preisen und die massenhafte Abregelung von Windenergie verringert. Die Gründe dafür, dass das notwendige Abschalten nicht erfolgt, liegen im Profitinteresse der Kohlekonzerne wie RWE, und in deren mächtigem Einfluss auf die Bundes-, Landes- und Lokalpolitik.

Koloniale Kontinuität im Gericht

Besonders im Gedächtnis blieb die Ablehnung des Zeugen Seuri Sanare Lukumay. Ohne überhaupt über dessen Hintergrund im Bilde zu sein, ließ der Richter verlauten, dass seine Aussage nicht geeignet sei, um die Verantwortung Deutschlands am Klimawandel darzustellen. Die Ignoranz des Gerichts ist beispielhaft dafür, wessen Stimme gehört wird, wer die Möglichkeit bekommt, seine*ihre Perspektive zu schildern, und wer nicht. Dass die Stimmen von Betroffenen des Klimawandels marginalisiert werden, ist ein Ausdruck des nach wie vor kolonialen Verhältnisses zwischen Globalem Norden und Globalem Süden.

Hätte Seuri Sanare Lukumay an diesem Tag aussagen können, hätte sehr wohl die Relevanz für den Prozess aufgezeigt werden können. Für viele Menschen ist die Klimakatstrophe kein weit entferntes Zukunftsszenario, sondern schon heute Alltag. So auch in Tansania. Seuri Sanare Lukumay hätte berichten können, wie seine Familie und andere Massai aufgrund der zunehmenden Dürre nicht mehr in der Lage waren, in ihrem Heimatort Viehzucht zu betreiben. Wie nach und nach die Rinder und Ziegen nicht mehr versorgt werden konnten und starben. Wie die Familie dann als letzte Konsequenz die Entscheidung treffen musste, ihr Zuhause zu verlassen. Die Geschichte seiner Familie ist die von Klima(Binnen-)migrant*innen. Eine Geschichte, die in ähnlicher Form alltäglich ist. Dass eine direkte Verbindung zwischen diesen Geschichten und der Verbrennung von Braunkohle in Deutschland besteht, ist vor allem eines: offenkundig.

Kampagne WeDontShutUp

 

 

Anmerkungen:

1) Schöff*innen sind „Amateur“-Richter*innen, Menschen aus der lokalen Bevölkerung, die ehrenamtlich dieser Tätigkeit nachgehen.

2) Die hier genannten Fälle sind nachzulesen in: Kritische Justiz (Heft 1 – 2018), Heinrich Commes - „Augen zu und durch? Klimawandel und Ziviljustiz”

Weitere Infos: www.wedontshutup.org

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.