11.000 Wissenschaftler*innen aus 153 Ländern warnen vor „unsäglichem Leid“, das der Menschheit droht. (1) Es geht ums Ganze, denn wir sind die vielleicht letzte Generation, die noch etwas gegen die Katastrophe unternehmen kann.
An die Veröffentlichungen des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums wird man sich noch erinnern, an die Ölkrise und die Bestrebungen Fahrzeuge zu produzieren, die weniger Treibstoff verbrauchen. All dies ignorierend kündigte nun der VW-Konzern an, dass bis 2025 jeder zweite weltweit verkaufte Volkswagen ein SUV sein soll. Ein Fahrzeug also, das sich weder an den Anforderungen des Stadtverkehrs, noch denen der Wildnis orientiert, dafür aber einen größeren Beitrag zur Klimakatastrophe leistet. Dass die Autokonzerne auch an der Entwicklung angeblich „grüner“ Fahrzeuge arbeiten, dient in erster Linie der Kosmetik ihres ramponierten Images. Dieser Absicht dient auch der ideologische Überbau, die Negation aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, der Klimaskeptizismus genannte Glaubenskrieg. Der CO2-Fußabdruck eines batteriebetriebenen Autos ist nicht besser als der Autos mit einem Verbrennungsmotor. Zwar stoßen E-Autos keine Abgase im Betrieb aus, doch verursacht ihre Herstellung einen gewaltigen Ausstoß von Kohlendioxid. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik erfordert der Bau eines E-Autos doppelt so viel Energie wie der eines konventionellen Autos. Hauptgrund ist der Akku: Die Forscher schätzen, dass für jede Kilowattstunde (kWh) Batteriekapazität 125 Kilogramm Kohlendioxid ausgestoßen werden. Für eine 22-kWh-Batterie eines BMW i3 wären das dann fast drei Tonnen CO2.
Da in Elektroautos fast nur Lithium-Ionen- oder Lithium-Polymer-Akkumulator eingesetzt werden, gilt Lithium als weißes Gold. Fünf multinationale Konzerne kontrollieren die Weltproduktion. Besonders aktiv agiert China, das sich mit mehr als 500.000 verkauften Elektro- und Hybridwagen zum größten Absatzmarkt entwickelt hat. Peking will aber nicht nur Weltmarktführer in der E-Mobilität sein, sondern auch die Produktion von Batterien dominieren. Es verbraucht schon jetzt über 40 Prozent des weltweit gewonnenen Lithiums und streckt seine Fühler nach den Ressourcen in Südamerika und Australien aus. Der chinesische Autohersteller Great Wall Motors kaufte sich kürzlich beim australischen Konzern Pilbara Minerals ein, der über große Lithium-Minen verfügt und die chinesische Investmentfirma GSR Capital will sich an SQM in Chile, einem der weltgrößten Konzerne beteiligen.
Nach Schätzungen der Deutschen Rohstoffagentur wird sich der globale Bedarf von derzeit etwa 33.000 Tonnen bis 2025 mindestens verdoppeln. Die Reserven liegen geschätzt weltweit bei 40 Millionen Tonnen, etwa 80 Prozent davon befinden sich in Salzseen im Dreieck zwischen Südbolivien und dem Norden von Chile und Argentinien. In einem der trockensten und regenärmsten Gebiete der Erde leben Menschen, die durch einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Wasser Quinoa, Mais, Kartoffeln und Bohnen anpflanzen und Obstbäume bewässern können. Nun wird lithiumhaltiges Wasser aus den Salzseen gepumpt und in Verdunstungsbecken geleitet. Da der Lithiumanteil unter einem Prozent liegt, müssen für eine Tonne Lithium zwei Millionen Liter Wasser verdunsten. Durch diesen Eingriff sinkt der Grundwasserspiegel, wegen des geringen Niederschlags und der hohen Verdunstung trocknen Lagunen und Flussebenen aus. Zudem werden Chemieabfälle umweltschädlich entsorgt.
Von den Profiten bei bolivianischem Gas und Erdöl kassierten die internationalen Konzerne 82 Prozent, 18 Prozent gelangten in die Staatskasse, bis die Regierung unter Morales das Verhältnis umdrehte und Gewinne in Sozialprogramme steckte. Nach dem Staatsstreich der rechten Oligarchie ist eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen zu erwarten, zum Nachteil der verachteten indigenen Völker. Die Konzernpropaganda will Glauben machen, der Abbau geschehe mit dem Einverständnis der indigenen Gemeinschaften und werde ihnen zu einem besseren Leben verhelfen.
Portugal soll der erste Lithiumproduzent Europas werden, weil man dort überwiegend im Tagebau an das „weiße Gold“ gelangen kann. Aus Protest gegen die Pläne der Regierung boykottierten die Einwohner*innen der vom Tagebau bedrohten Gemeinde Morgade in nordportugiesischen Kreis Montalegre die Europawahlen. Nur vier der 328 registrierten Wähler*innen stimmten ab (2). Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2019 wiederholten sie ihren Boykott.
„Wir sind in diesem ganzen Prozess noch nie angehört worden und wir akzeptieren nicht, dass man eine Mine neben unsere Häusern bauen will, die unsere Lebensweise völlig verändern wird. Wir akzeptieren nicht, dass man in Lissabon beschließt, einen Teil unserer Dörfer und Berge und unserer Lebensqualität zu zerstören“, sagte Armando Pinto, Sprecher der Associação Montalegre Com Vida.
„Wir treten in eine neue Ära des Kapitalismus ein, die ‚grüne‘ Phase“, sagte der spanische Anarchist Miguel Amorós im Frühjahr 2019 bei einem Vortrag in Alicante, „in der mit neuen Technologien versucht wird, die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Territorium und den darin enthaltenen Ressourcen in Einklang zu bringen, um so ‚nachhaltiges‘ Wachstum zu ermöglichen und die gegenwärtige an Motorisierung und Konsum orientierte Lebensweise mit der natürlichen Umwelt oder besser noch mit dem, was von ihr übrig ist, in Einklang zu bringen. Der ‚Prozess der Energiewende‘ ist nur ein Aspekt des ‚wirtschaftlichen Übergangs‘ zum Ökokapitalismus, der von der wilden (neoliberalen) Integration der Natur in den Markt bis zu einer Phase reicht, in der die Vermarktung durch unternehmerische und staatliche Mechanismen geregelt wird. Es handelt sich um eine industrielle, finanzielle und politische Operation von großer Bedeutung, die alles verändern wird, damit sich nichts ändert und alles beim Alten bleibt.“ (3)
Nach seiner Analyse schlägt „in einer politisch und sozial blockierten Situation die internationale herrschende Klasse den Weg zu einer profitablen ‚Nachhaltigkeit‘ ein, auf dem die Zerstörung weitergeht und sogar zunimmt, aber es geht sicherlich darum, den Kapitalismus zu retten, nicht den Planeten. In dieser Phase ist es die Aufgabe des Staats, die Proteste zu kanalisieren, die Bildung einer pragmatischen Umweltelite zu fördern und den Weg für den neuen grünen Kapitalismus zu ebnen, während die Umweltbewegung von Agenten multinationaler Konzerne infiltriert und mit Geldern unterschiedlicher Herkunft aufgekauft wird. Um Extremismus entgegenzutreten, ist die grüne Partei in ein Instrument der herrschenden Ordnung zu verwandeln und sind systemfeindliche ‚Fundamentalisten‘ nicht so schnell wie möglich zu isolieren.“
Auch mit den Klimaaktivisten setzte er sich auseinander:
„Die Bewegung gegen die Klimaveränderung hat mit Extinction Rebellion eine ‚Marke‘ entstehen lassen, die für das Krisenmanagement durch den Staat argumentiert. Appelliert man an den Staat, ist man kein ‚Radikaler‘, da man gegen das ‚Aussterben‘, aber nicht gegen das Kapital eintritt. Das Ziel beschränkt sich darauf, die Regierungen zu zwingen, ‚den Bürgern die Wahrheit zu sagen‘ und den CO2-Bilanz zu verbessern.“
Die Schachzüge der Herrschenden der jüngsten Vergangenheit bestätigen die Richtigkeit von Amorós Einschätzung, dass es keinen „klimaneutralen“ Kapitalismus gibt. Nach einigen Wahlerfolgen beeilen sich die Grünen nun zu verkünden, fürderhin nicht „allzu radikal“ auftreten zu wollen. Das Klimaschutzgesetz bleibt selbst hinter bescheidenen Erwartungen zurück. Die Wirtschaftsexperten malen wieder den Teufel der Rezession an die Wand, weswegen wohl der Handel mit zukünftigen Hightech-Götzen durch bedingungslose Prämienzahlungen an die Käufer angekurbelt werden muss. Schließlich zeigt der große Jubel über die Ankündigung, eine Monsterautofabrik in Brandenburg zu bauen, dass man die Warnung der elftausend Wissenschaftler*innen vor dem bevorstehenden Kollaps und die Proteste der Aktivist*innen einfach negieren will.
zinkhund
Anmerkungen:
1) https://academic.oup.com/bioscience/advance-article/doi/10.1093/biosci/biz088/5610806
2) Jornal MAPA, www.jornalmapa.pt/2019/09/12/nao-as-minas-sim-a-vida/
3) Öffentliche Vorträge im Mai 2019 auf Buchmessen in Alicante und Valencia, englische Übersetzung: http://autonomies.org/2019/06/ article/doi/10.1093/biosci/biz088/5610806 Öffentliche Vorträge im Mai 2019 in Alicante, englischer Text: http://autonomies.org/2019/06/miguel-amoros-the-new-clothes-of-capitalist-developmentalism/