Für den 18. bis 20. Oktober 2019 hatte die Bewegungsstiftung zu einer Strategiekonferenz nach Berlin eingeladen.
Der Tagungsort REFO Moabit ist eine selbstverwaltete, politisch engagierte christliche Gemeinschaft unter dem Dach der evangelischen Kirche. Dieses Modellprojekt stellte einen passenden Rahmen dar, um angesichts der ernsthaften Bedrohungen durch Klimawandel, Festung Europa und Rechtsruck zusammen zu kommen. Der Stiftung ging es um „wirksame strategische Ansätze im politischen Handeln und die Bündelung unserer Kräfte“, mit dem Ziel, „soziale Bewegungen zu stärken“. Dabei war es ihr wichtig, „einen möglichst herrschaftsarmen und achtsamen – sowie fehlerfreundlichen Raum während der Konferenz zu schaffen.“ Die Veranstalter*innen hatten unterschiedliche Formate des Austauschs vorbereitet. Die Konferenz begann am Freitagabend mit einem Podium, auf dem vier Aktivist*innen ihre Erfahrungen darlegten.
Abenaa Adomako von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland berichtete, wie wichtig es sei, vor dem Hintergrund einer dominanten kolonialen Geschichtsschreibung die Erforschung in die eigenen Hände zu nehmen und die eigene Geschichte selbst zu erzählen. Im Rahmen des Black History Month würden sie beispielsweise auf die vielen Schwarzen hinweisen, die bedeutende Erfindungen gemacht hätten und trotzdem vollkommen unbekannt seien. Maximilian Reimers von Fridays for Future betonte, dass die Klimakrise alles zerstören würde, dass jede Herrschaft und Ungerechtigkeit schlimmer würde, und dass alle davon betroffen wären. Darum sei es wichtig, die Probleme gemeinsam anzugehen. Ähnlich argumentierte Alassane Dicko aus Mali, von Afrique-Europe-Interact, indem er dazu aufforderte, sich zu engagieren und sich ohne Vorurteile zu begegnen. Er berichtete von Kämpfen um Bewegungsfreiheit und von der Zusammenarbeit mit Landwirt*innen. Maren Kleinfeld vom Hausprojekt Zelle 79 in Cottbus und von der Kampagne #WannWennNichtJetzt, einer Marktplatz-Tour gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland, konnte ermutigend berichten, dass ihnen eine tatsächliche Vernetzung gelungen sei und die immer gleiche Macht der weißen Männer sich aufgelockert habe.
Am Samstag stellten sich vormittags verschiedene politische Gruppen und Initiativen, wie beispielsweise afrique-europe-interact, LobbyControl, Extinction Rebellion und Seebrücke an Tischen vor, die in zwei Runden von Interessierten besucht werden konnten. Den Nachmittag gestaltete überwiegend das neue Netzwerk „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!“, an dem ich auch beteiligt bin. In zwei Runden kamen an jeweils etwa 20 Tischen Aktive aus verschiedenen Bewegungen zusammen, um sich über Verknüpfungen auszutauschen, beispielsweise von Klima und Migration, Grundeinkommen und Degrowth, oder Sozialökologischer Transformation und Gerechtigkeit. In fünf anschließenden größeren Gesprächskreisen oder Fish Bowls wurden umfassendere Themen ausgetauscht.
Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, kollegiale Beratung anzufragen oder anzubieten, sowie eigene Räume für Treffen von FLTI*- und BPoC- Menschen. (FLTI*=Frauen*, Lesben*, Trans*, Inter*-Menschen, BPoC=Black and People of Colour). Aus beiden Gruppen gab es die Rückmeldung, dass es wichtig sei, solche eigenen Räume zu haben, dass dies aber noch lange nicht ausreiche, und dass es eine ständige Herausforderung sei, gesellschaftliche Machtverhältnisse auch in den eigenen Strukturen zu dekonstruieren. Der Sonntagvormittag diente der Vernetzung und möglichst konkreten Verabredungen. Nach einigen kleineren Austauschrunden gab es die Gelegenheit, den Dabeigebliebenen kurz aktuelle Ideen und Projekte vorzustellen, für die Mitstreiter*innen gesucht werden. Neu war für mich zum Beispiel die Umweltgewerkschaft, besonders gefreut habe ich mich über eine Initiative vom Karlahof in Brandenburg zur Stadt-Land-Vernetzung, und selbst eingebracht habe ich unter anderem das Weltsozialforum Transformatorische Ökonomien 2020 in Barcelona und eine ganz neue Initiative von einigen Leuten von Attac, zur Unterstützung bedrohter linker Projekte in einem rechten Umfeld.
Was bleibt?
Mit 200 Teilnehmenden war die Konferenz gut besucht, aber nicht restlos ausgebucht. Ich hatte den Eindruck, dass sich manche*r nur mühsam die Konferenzzeit genommen hatte, viele gingen abends gleich nach dem Ende des Programms, und zum Schluss hin bröckelte die Teilnahme deutlich ab.
Die für Samstagabend geplante Party fand nicht, oder nur sehr reduziert statt. Persönliche Begegnungen gab es eher zwischendrin in den Pausen, die wie oft bei solchen Anlässen gefühlt viel zu kurz waren. Insgesamt hatte ich den Eindruck, immer ein wenig gehetzt zu sein – irgendwer sprach von einem „Speed-Dating-Gefühl“ – von einer Kleingruppe zur nächsten, schnell mal zu zweit oder zu viert austauschen, dann wieder eine größere Runde, aber bevor es in die Tiefe geht, war schon die nächste Frage in neuer Konstellation dran. So gab es viele Begegnungen, die auch durchaus interessant waren, aber eine Strategieentwicklung, die diesen Namen verdienen würde, habe ich in der Kürze der Zeit nicht erlebt.
Trotzdem war es für mich keine verschwendete Zeit, denn es war schön, Leute wieder zu treffen, die ich lange nicht gesehen hatte, und auch neue kennen zu lernen. Gefreut habe ich mich über das neue Buch zu fünf Jahre Alarm Phone, und dass Azizou Chehou und Moctar Dan Yaye vom Alarme Phone Sahara berichtet haben. Die Atmosphäre der Konferenz habe ich insgesamt als sehr freundlich und von gegenseitigem Wohlwollen getragen erlebt, was ja nicht selbstverständlich ist. Dazu beigetragen hat sicher auch die leckere Verpflegung durch die Aktionsküche Fläming Kitchen, ein ausdrücklich nicht-kollektives, aber engagiertes Kochprojekt um den Gründer Wam Kat.
Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, und die ich auch in die Vorbereitung der Utopiekonferenz mitnehme, die das Leipziger Konzeptwerk Neue Ökonomie als eine Art Fortsetzung für den Herbst 2020 plant: Reicht es aus, sich darauf zu verständigen, dass wir gemeinsam gegen die großen Bedrohungen Klimawandel, Festung Europa und Rechtsruck vorgehen möchten? Wer genau ist dieses „wir“? Ist eher Vertrauen nötig, dass es sich beim gemeinsamen Gehen herauskristallisieren wird, oder empfiehlt es sich, das zu Beginn der Zusammenarbeit genauer zu fassen? Wie können „wir“ gleichzeitig die Offenheit bewahren, alle mitzunehmen und uns um einen möglichst inklusiven Umgang untereinander bemühen, und trotzdem nicht in Beliebigkeit verfallen? Brauchen „wir“ einen breiten inhaltlichen Konsens über das Gemeinsame, und zu dessen Verdeutlichung auch rote Linien, die ausdrücken, was nicht dazu gehört, oder wird sich das schon finden?
Eine klare politische Positionierung gab es am Schluss der Konferenz, als wir mit einer kleinen, filmisch dokumentierten Geste der Solidarität unsere Verbundenheit mit den Menschen in Rojava zum Ausdruck brachten, die unter den Angriffen der Türkei zu leiden haben.
Ob die Idee der Bewegungsstiftung aufgeht, wie viele Anregungen in den verschiedenen Initiativen wirksam werden, und ob sich infolge der Konferenz wirklich unterschiedliche Stränge sozialer Bewegungen zusammenfinden und sich gegenseitig unterstützen, das lässt sich jetzt noch nicht einschätzen. Auf jeden Fall war es interessant und inspirierend, in so verdichteter Form einer Vielzahl von Aktivist*innen aus unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen zu begegnen.
Elisabeth Voß