libertäre buchseiten

Mythos nationale Befreiung

Eine Demontage von der "Gruppe Demontage"

| Harold the Barrel

Gruppe Demontage: Postfordistische Guerrilla. Vom Mythos nationaler Befreiung. Unrast-Verlag, Muenster 1998, 288 S., 29,80 DM

Die Solidarität mit Guerrillagruppen und nationalen Befreiungsbewegungen, und auch letztere selbst, befinden sich in der Krise. Bezogen sich nationale Befreiungsbewegungen in den 60er und 70er Jahren noch mehrheitlich auf sozialistische Zielvorstellungen und war dabei nur die Frage, ob sich diese durch nationale Befreiung via Eroberung der Staatsmacht verwirklichen ließen, so muß man/frau sozialistische Guerrillas heute weltweit mit der Lupe suchen. Die aus der Gruppe K, dem antinationalen Flügel des früheren KB (Kommunistischer Bund), herrührende „Gruppe Demontage“ hat ein bemerkenswertes Buch zur Auseinandersetzung mit der Krise internationaler Solidarität vorgelegt: es ist dies eine in großen Teilen grundsätzliche Kritik des Konzepts nationaler Befreiung in der sogenannten „Dritten Welt“ unter Zuhilfenahme des Fordismus/Postfordismus-Theorems von Joachim Hirsch. Bemerkenswert ist das Buch schon deshalb, weil sich die Autoren/Autorinnen (?) des Buches freimütig dazu bekennen, noch selbst bis vor kurzem dem Mythos nationaler Befreiung etwa in Form der Unterstützung der PKK aufgesessen zu sein (S.253).

Das Buch hat zwei relativ unabhängig voneinander zu lesende Teile: die ersten drei Kapitel beschäftigen sich mit der Darstellung des Ansatzes von Joachim Hirsch, nämlich wie sich beim Übergang von der fordistischen, auf Massenproduktion und sozialstaatlicher Abfederung in den Metropolen basierender Gesellschaftsformation des Kapitalismus zur postfordistischen, durch Globalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung gekennzeichneten Formation des Kapitalismus die Regulationsweise des Staates zum nationalen Wettbewerbsstaat wandelt. Am Beispiel Mexiko wird dieser Übergang für ein Land der „Dritten Welt“ verdeutlicht: Mexikos Weg begann historisch bei einer nationalstaatlichen Eroberung der Macht und dem Versuch der Teilhabe am Fordismus via importsubstituierender Industrialisierung und endet heute vorläufig bei neoliberalistischer Deregulierung und dem Freihandelsvertrag NAFTA.

Die Kapitel vier bis elf befassen sich dann mit der Geschichte nationaler Befreiungsbewegungen unter den Bedingungen dieses Übergangs zum Postfordismus: nacheinander behandelt werden dabei die Politik des FLN an der Macht in Algerien, des FLNC auf Korsika, der EZLN und EPR in den Bundesstaaten Chiapas und Guerrero in Mexiko, der irisch- nationalistische Befreiungskampf, der baskische Nationalismus, die kurdische PKK und schließlich die Konsequenzen für die Solidaritätsarbeit in der BRD. Bei ihrer Bewertung geht die Gruppe von einem sehr libertären Verständnis kommunistischer Vergesellschaftung als Zielvorstellung aus: von der freien Assoziation, von der AnarchistInnen schon glaubten, es würde weltweit kaum noch KommunistInnen geben, die diese Zielvorstellung aus den Werken von Marx und Engels herausinterpretieren. Und tatsächlich geht es der „Gruppe Demontage“ nicht mehr um die Eroberung der Staatsmacht als revolutionärer Perspektive, sondern Revolution macht sich endlich daran fest, daß „auch die Nationalstaaten aufgelöst werden“ (S.256). Willkommen im libertären Lager! Überraschenderweise legt die Gruppe auch nicht nur ökonomistische Kriterien an die verschiedenen Konzepte nationaler Befreiung an, also die Frage, ob die Guerillabewegungen adäquat auf die sich verändernden ökonomischen Rahmenbedingungen reagieren, sondern die Form der kritischen Solidarität umfaßt auch die Hinterfragung patriarchaler, rassistischer, antisemitischer oder in Ansätzen sogar militaristischer Tendenzen in den postfordistischen Guerrillas unserer Tage.

Es wird also ein umfassendes Konzept von Herrschaftskritik zugrundegelegt, wobei drei unterschiedliche Tendenzen nationaler Befreiung von ihrer emanzipatorischen Qualität her unterschieden werden: die völkische Variante, für die inzwischen eindeutig die PKK steht und die nach Ansicht der AutorInnen nicht mehr solidarisch unterstützt werden kann; die republikanische Variante, bei welcher ursprünglich sozialistische Inhalte bis hin zur Befürwortung kapitalistischer Freihandelszonen im Sinne des nationalen Wettbewerbsstaates aufgegeben worden sind, wofür modellhaft die IRA und die korsische FLNC stehen und die als nur noch bedingt und beschränkt unterstützungswürdig angesehen werden. Als wirklich sozialistisch wird von der Gruppe nur noch die EZLN qualifiziert, die von allen analysierten Guerrillas mit Abstand am emanzipativsten abschneidet, auch was ihre antirassistische Qualität und ihre Auseinandersetzung mit dem Patriarchat betrifft. Die EZLN versteht sich eindeutig nicht mehr als militärische Avantgarde zur Eroberung der Staatsmacht, sondern als Schutz der KleinbäuerInnen und einer gleichberechtigten Landbesetzungsbewegung mit dem gesellschaftlichen Ziel der Selbstorganisation. Die AutorInnengruppe kritisiert die EZLN dahingehend, im Zuge ihrer breiten Bündnispolitik zu sehr auf die Kritik des „Neoliberalismus“ zu orientieren, wodurch unausgesprochen ein fordistischer (und damit anachronistischer!), sozialstaatlicher Kapitalismus als immer mehr akzeptabel erscheint. Auch die Unterscheidung zwischen „gewinnsüchtigen“ und „ehrlichen mexikanischen Unternehmern“ (S.162) kritisiert die Gruppe Demontage. Es scheint, als bewege sich die einzig wirklich sozialistische Guerrilla hin zu einer Art bewaffnetem Reformismus. Zwar ist die nationale Rhetorik bei der EZLN der sozialen noch eindeutig untergeordnet, gleichwohl ist sie vorhanden und wird von der Gruppe Demontage m.E. sehr zaghaft und zurückhaltend als strategisch bzw. taktisch bewertet (S.150), während bei der Kritik anderer Guerrillas völlig konsequent und auch richtig gesagt wird: „Nationalismus ist aber generell kein neutrales Werkzeug, das benutzt werden kann, um nach gewonnenem Krieg wieder beiseite gelegt werden zu können.“ (S.234) Auch wird mit keinem Wort darauf hingewiesen, daß die EZLN eine wirkliche Armee mit Befehlskette von oben nach unten ist und früheren sozialrevolutionären Guerrilla- Praxen einer demokratischen Armee mit gewählten BefehlshaberInnen eine eindeutige Absage erteilt hat. Trotz dieser wohl der Sympathie geschuldeten Zurückhaltung der Kritik hebt sich die EZLN tatsächlich wohltuend von allen anderen hier analysierten Guerillas ab und noch kann die Hoffnung ausgedrückt werden, daß die militärische Komponente die sozialrevolutionäre nicht dominiert.

Die zwei inhaltlichen Blöcke des Buches, die ökonomischen Rahmenbedingungen und die Bewertungen der Guerillas, stehen etwas unvermittelt nebeneinander und man/frau fragt sich, wieso die EZLN am adäquatesten auf den Postfordismus reagiert, wenn sie doch andererseits gerade Illusionen in die aktuellen Möglichkeiten fordistisch- sozialstaatlicher Teilhabe aufsitzen soll. Etwas ketzerisch könnte ich vermuten, daß der ökonomische Teil den Positionswandel der AutorInnen besser absichern helfen soll: im Fordismus muß die nationale Ebene sozialer Emanzipation eben noch ihren Sinn gehabt haben, im Postfordismus hat sie das anscheinend nicht mehr. Wie dem auch sei: am Ende des Buches sollte jeder AktivistIn klar geworden sein, daß transnationale Solidarität keineswegs an nationale bewaffnete Befreiungsbewegungen geknüpft werden muß, daß etwa die entstehende türkisch-kurdische libertäre Kriegsdienstverweigerungsbewegung, die sich sowohl vom türkischen Militär und Nationalismus als auch von der PKK abgrenzt, mehr Solidarität verdient hat als die türkische oder kurdische orthodoxe Linke. Solche Alternativen benennen die AutorInnen noch nicht, doch sie räumen den befreiungsnationalistischen Müll weg, der solchen Entdeckungen immer noch im Wege steht.