Im Januar/März 2020 müssen sich unsere langjährigen GWR-Autoren Ralf Dreis und Michael Wilk (FAU-Frankfurt, AKU-Wiesbaden) wegen Beamtenbeleidigung und angeblicher Widerstandshandlungen vor dem Amtsgericht Frankfurt verantworten. Der erste Prozesstermin gegen Ralf Dreis fand am 13.01.2020 unter großer Anteilnahme im voll besetzten Gerichtssaal statt.
Die Prozesse sind ein Beispiel, wie sich die Polizei Straftatbestände selbst erschafft: Am 23. März 2019 fand in Frankfurt die Demo „Solidarität! Gegen den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft!“ statt. Anlass waren wiederholte Drohschreiben gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren. Başay-Yıldız hatte im Prozess gegen den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) Opfer vertreten. In den Drohschreiben, die ihre genaue Wohnadresse enthielten, wurde auch ihre zweijährige Tochter mit dem Tode bedroht. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass ihre Daten an einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt abgefragt worden waren. Außerdem wurde eine rechtsextreme Chatgruppe in der Frankfurter Polizei aufgedeckt. Mehrere Beamte wurden vom Dienst suspendiert, gegen zeitweise 38 hessische Gesetzeshüter wurde wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Umtriebe ermittelt. Nahezu zeitgleich war es seit September 2018 zu insgesamt zehn Brandanschlägen auf linke Zentren und Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet gekommen. Nur durch Zufall hatte es keine Verletzten oder Toten gegeben. Schon im Dezember 2018 hatten Aktivist*innen des autonomen Kulturzentrums Metzgerstraße in Hanau einen 46-jährigen Mann auf frischer Tat ertappt und der Polizei übergeben. Der nach erneuten Brandstiftungen seit Dezember 2019 in U-Haft genommene Mann, war aber nach kurzer Befragung von der Polizei entlassen worden.
Sprecher*innen der betroffenen Projekte hatten auf die Mitverantwortung der „geistigen Brandstifter“ in der Frankfurter Politik hingewiesen. „In Frankfurt macht eine reaktionäre Koalition aus FDP, CDU und AfD seit Monaten mobil gegen linke Zentren und Strukturen. Damit heizen sie bewusst das politische Klima an. In ihren Forderungen nach Räumung und Schließung von Orten wie Au, ExZess und Klapperfeld überbieten sich die Beteiligten beim verbalen Zündeln. Brandanschläge gegen linke Zentren und Wohnprojekte, rechte Netzwerke bei der Polizei und Morddrohungen, die mit `NSU 2.0` unterschrieben sind, stellen nur die Spitze des Eisbergs dar.“
Aber zurück zur Demo „Solidarität! Gegen den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft!“ im März 2019. Die von ca. 3500 Menschen besuchte Demo wurde von einem empörend großen Polizeiaufgebot begleitet. Große Teile der Demonstration waren ständig, zum Teil dreireihig, eingekesselt. Mindestens vier bis fünf Wasserwerfer standen an Kreuzungen drohend bereit. Darüber hinaus wurde die Demonstration ununterbrochen abgefilmt. Dieses Abfilmen ganzer Demonstrationen war in der Vergangenheit schon mehrfach von Gerichten als illegal eingestuft worden, was von der Polizei dreist ignoriert wird.
Trotz dieser Widrigkeiten ging die Demo nach mehreren Stunden ruhig zu Ende. Da es keinerlei Grund für weitere Polizeimaßnahmen gab und diese trotzdem erfolgten, kann das nur als Racheakt aufgrund der vielen polizeikritischen Redebeiträge gewertet werden.
Als kurz nach 17 Uhr müde und erschöpfte Demonstrant*innen auf ihre S-Bahn nach Wiesbaden warteten, stürmte ein Greiftrupp der Polizei den voll besetzten Bahnsteig, um einen aus der Gruppe wegen angeblicher Vermummung festzunehmen. Bei einfahrender S-Bahn und ca. 200 Menschen auf dem Bahnsteig ein unverantwortlicher Einsatz. In seiner Prozesserklärung machte Ralf Dreis deutlich, dass die im ihm zugestellten Strafbefehl gemachten Zeugenaussagen der beteiligten Polizeibeamten, „zu großen Teilen aus Auslassungen, Halbwahrheiten und Unwahrheiten“ bestanden. Die Verhaftung des angeblich vermummten Demonstranten beschrieb Dreis wie folgt: „Gleichzeitig zogen sie Herrn F. weg von uns in Richtung Treppe. Dabei schlug ein (…) Beamter (…) einer Mitdemonstrantin heftig von der Seite an den Kopf. Sie taumelte zurück, hielt sich vor Schmerz das Ohr/die Wange und musste sich hinsetzen. In diesem Moment schrie ich vor Empörung mehrmals: „Dumme Drecksau“ und „Drecksbullen“. (…) Ich habe (…) kein Problem damit, mich für diese auf niedrigstem Niveau angesiedelte Beleidigung, dasas in dem Moment dem Verhalten der Beamten entsprach, zu entschuldigen. Ich lege jedoch Wert darauf, dass dies keineswegs bedeutet, meine Kritik an diesem völlig unnötigen, gefährlichen und gewalttätigen Polizeieinsatz zurückzunehmen. Wenn ich im Nachhinein noch lese, dass in Hannover vermummte Nazis unter Polizeischutz demonstrieren, und die Polizeiführung nach Kritik öffentlich erklärt, dies sei keine Vermummung, die Nazis wollten nur nicht als solche erkannt werden, dann wird der Einsatz in Frankfurt noch fragwürdiger.
Völlig unabhängig davon, dass Herr F. nicht vermummt war, ist bei solchen Aussagen und der immer wieder öffentlich werdenden Zusammenarbeit von Polizeibeamten mit Nazis und Rechtsradikalen, das Verdecken des Gesichts auf antifaschistischen Demos ein legitimer Selbstschutz. Denn um es noch einmal klar zu sagen:. Seit Jahrzehnten bedrohen, schlagen, mordbrennen und morden Nazis. Wir als Antifaschisten und Antifaschistinnen stehen dagegen für ein gleichberechtigtes, solidarisches Leben für alle Menschen. Und dafür werde ich mit aller Kraft weiterhin kämpfen.“
Nach zweistündiger Prozessdauer wurde das Verfahren gegen die Zahlung von 600,- Euro an ein Mädchenzentrum, das sich um unbegleitete geflüchtete Mädchen kümmert, eingestellt.
Der Prozess gegen Michael Wilk ist auf den 23.03.2020 im Amtsgericht Frankfurt terminiert. Es wird nach der Vorarbeit am 13.01. dann darum gehen, die Polizeibeamten der Lüge zu überführen und einen klaren Freispruch zu erkämpfen. Kommt zum Prozess! – Keine*r alleine vor Gericht! – Solidarität ist eine Waffe!
Prozesshilfe Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. – Ortsgruppe Wiesbaden
IBAN: DE39 4306 0967 4007 2383 14
BIC: GENODEM1GLS
Stichwort: NSU 2.0 den Prozess machen!
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.