Mitglieder einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft gründen eine Frauengruppe: 2017 in der FAU (Freie Arbeiter*innen-Union) die fem*fau (Feminismus-AG der FAU) – aber auch schon fast 100 Jahre früher passierte dies in der Vorläuferorganisation FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschlands). Diese Gruppe trug allerdings nicht das Wort „Feminismus“ im Namen, da dies zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur mit der bürgerlichen Frauenbewegung und dem Kampf für das Frauenwahlrecht konnotiert war – also nichts, wofür Anarchosyndikalistinnen kämpften. Sie nannten ihre Organisation stattdessen „Syndikalistischer Frauenbund“ (SFB).(1)
Unter den Gründerinnen des SFB waren Aimée Köster (geb. 1869, Todesdatum unbekannt) in Dresden sowie Milly Witkop-Rocker (1877–1955) und Hertha Barwich (Lebensdaten unbekannt) in Berlin. Der dritte regionale Schwerpunkt des SFB war das Rhein-Ruhr-Gebiet, wo Franziska Krischer (Lebensdaten unbekannt) und Traudchen Caspers (Lebensdaten unbekannt) aktiv waren.(2) Aimée Köster gab bereits seit 1919 eine sozialistische Frauenzeitschrift heraus: „Die Schaffende Frau“.(3) Milly Witkop-Rocker und Hertha Barwich waren an der Gründung der FAUD beteiligt, ebenso wie an derjenigen der Berliner Ortsgruppen des SFB, und Franziska Krischer kämpfte im FAUD-Organ „Der Syndikalist“ gegen sexistische Vorwürfe von Genossen, die die Auflösung des SFB forderten.(4)
In Milly Witkop-Rockers Schrift „Was will der Syndikalistische Frauenbund?“ und der Satzung des SFB Groß-Berlin werden als Ziele der Organisation genannt: „Überwindung der kapitalistischen Staats- und Wirtschaftsordnung“ und die Abschaffung von Militarismus und Krieg, also Ziele, die die Frauengruppe mit der FAUD teilte. Darüber hinaus forderte der SFB „(n)icht Frauenrechte (…), sondern Menschenrechte“.(5) Die Gruppe wollte sowohl Frauen für den Anarchosyndikalismus gewinnen als auch dafür sorgen, dass deren Interessen in der FAUD vertreten wurden.
Hausfrauen, Dienstbotinnen und andere im Haushalt Beschäftigte konnten sich an ihrem isolierten Arbeitsplatz weder gewerkschaftlich vernetzen noch politisch austauschen, aber auch kein Selbstbewusstsein als AkteurInnen entwickeln. Dies wollte der SFB als deren erste Interessenvertretung ändern, stand aber auch bereits organisierten Arbeiterinnen offen.
Mit der Methode der direkten Aktion wurde unmittelbar gegen Missstände gekämpft, durch Veranstaltungen zur Geburtenkontrolle mit Vorstellung empfängnisverhütender Mittel, Demonstrationen, Gegenseitige Hilfe im Alltag und gemeinsamer Bildung.(6)
Vera Bianchi ist Historikerin; schreibt ihre Doktorarbeit über den Syndikalistischen Frauenbund und die Mujeres Libres (Freie Frauen);
bianchi@arcor.de