von hütten und palästen

Ein Wunder in der Berliner Innenstadt

Das selbstverwaltete Wohn- und Künstler*innenprojekt KuMi*13

| Elisabeth Voß

Der Berliner Bezirk Schöneberg gehört zu den Gegenden, in denen viele von Mietpreissteigerungen und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen betroffen sind. Und doch ist es einer Gruppe gelungen, ein großes Haus zu kaufen und dafür zu sorgen, dass es nie wieder als Ware am Immobilienmarkt gehandelt werden kann. Der schöne Altbau in der Kurmärkischen Straße 13 wurde 1875 erbaut und hat fast 1.900 Quadratmeter Wohn- und Gewerbefläche.

Der Eigentümer war gestorben, und im Februar 2019 hieß es, seine Erbinnen würden das Haus verkaufen wollen. Einige Wohnungen im Haus standen leer, und es fanden sich schnell Interessierte, die sich mit einem Teil der Mieter*innen zusammentaten, um das Haus zu erwerben. Oft brauchen Gruppen sehr lange für Gruppenbildungsprozesse, bis sie solche schwerwiegenden Entscheidungen wie einen Hauskauf treffen und umsetzen können. In diesem Fall ging es erstaunlich schnell.

Mitte März gab es ein erstes Treffen von Interessierten, dem viele weitere folgten. Im Mai wurde ein Hausverein gegründet, der kurz darauf eine brachliegende GmbH übernahm. Diese GLIK GmbH (GLIK = Gemeinsam Leben im Kiez) unterschrieb Mitte Juni den Kaufvertrag – im Vertrauen darauf, dass sie das Geld schon zusammenbekommen würde. Denn dieses Haus in dieser Lage war eine einmalige Gelegenheit für ein gemeinschaftliches Projekt mitten in der Stadt. Am 1. Oktober übernahm die Gruppe das Haus und begann sogleich mit der Sanierung der denkmalgeschützten Fassade. Auch im Innenbereich ist einiges zu tun, bevor die Neuen einziehen können. Wer sich nicht am Projekt beteiligen möchte, kann trotzdem wohnen bleiben.

Die Mieter*innen verwalten sich selbst. Viele von ihnen sind im Kunst- und Kulturbereich tätig, nun möchten sie – neben dem Wohnraum – auch Platz für kreative Projekte schaffen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Nachbarschaft. Es gibt viele Ideen für das „Künstler*innenhaus KuMi*13“, vor allem jedoch soll das Konzept immer im Werden bleiben und sich mit denen, die es nutzen, verändern können, als „ein Ort, an dem individuelle und soziale Handlungsspielräume neu gedacht und erweitert werden können“.

Die fünf geheimen Zutaten für das Wunder

 Der „Tag der Offenen Tür“ am 7.  Dezember war sehr gut besucht. Die Leute von der KuMi*13 berichteten darüber, wie das Wunder gelingen konnte, und verrieten ihre „fünf geheimen Zutaten“ für dieses bemerkenswerte Projekt:

  1. Das Mietshäuser Syndikat

Schon frühzeitig entschied sich die Projektgruppe dafür, sich dem Mietshäuser Syndikat anzuschließen. Dieser bundesweite Hausprojekte-Verbund entstand aus Diskussionen in den 80er Jahren um die Grether Baukooperative in Freiburg und wurde 1992 offiziell gegründet. Mittlerweile gehören dem Syndikat mehr als 150 selbstverwaltete Hausprojekte an, davon fast 20 in Berlin. Mit einer geschickten Rechtsformenkonstruktion aus Verein und GmbH wird sichergestellt, dass ein Haus des Verbundes nicht mehr verkauft werden kann. Alle Häuser zahlen monatlich in einen gemeinsamen Solifonds ein, damit immer wieder neue Projekte gegründet werden können.

Während die Mitglieder von Genossenschaften eine finanzielle Einlage leisten müssen, gibt es beim Mietshäuser Syndikat keine finanziellen Anforderungen an einzelne Personen. Das Wohnen soll unabhängig vom Geldbeutel möglich sein. Das erforderliche Geld für den Hauskauf muss die Gruppe jedoch gemeinsam organisieren. Dafür, sowie für den ganzen Gründungsprozess, gibt es aus dem Syndikats-Verbund kostenlose Beratung und Unterstützung.

Jedes Projekt muss eigenverantwortlich das Eigenkapital aufbringen, das nötig ist, um einen Bankkredit zu bekommen. Die Gruppenmitglieder, denen dies möglich ist, vor allem jedoch Freund*innen und Leute aus ihrem sozialen Umfeld, geben auf Vertrauensbasis sogenannte Direktkredite. Viele Leute geben kleine Beträge, und es ist viel Arbeit, mit allen Gespräche zu führen, über Laufzeiten und vielleicht auch über geringe Verzinsungen zu verhandeln.

Diese Direktkredite sind Nachrangdarlehen, die nicht zurückverlangt werden können, wenn das Projekt dadurch in eine finanzielle Schieflage geraten würde. Sollte das Projekt finanziell scheitern, dann können diese Darlehen erst zurückgezahlt werden, wenn alle anderen Gläubiger bedient wurden, und immer noch Geld vorhanden ist. Jedoch musste in der ganzen Geschichte des Mietshäuser Syndikats erst einmal ein Hausprojekt Insolvenz anmelden – der Eilhardshof in Neustadt/Weinstraße (siehe GWR 441 „Hierarchiefrei leben, ohne Chef und Staat? Teil 2“).

  1. Der Milieuschutz

Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet Schöneberger Norden.
In solchen Gebieten soll die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geschützt werden – nicht die einzelnen Mieter*innen, denen der Schutz jedoch auch zugute kommt. Zu diesem Zweck werden Umwandlungen in Eigentumswohnungen, Umbauten oder Modernisierungen nicht, oder nur eingeschränkt genehmigt. Beim Verkauf eines Hauses hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, kann also anstelle des Erwerbers in dessen Kaufvertrag eintreten. Meist kaufen Bezirke nicht für sich selbst, sondern zugunsten einer städtischen Wohnungsgesellschaft, manchmal auch einer Genossenschaft.

Die Erwerber*innen können die Ausübung des Vorkaufsrechts abwenden, wenn sie sich mit einer Abwendungserklärung verpflichten, strengere Regelungen einzuhalten, als sie im Milieuschutz ohnehin gefordert sind. Die Abschreckungswirkung auf Investoren hält sich in Grenzen, aber der privatwirtschaftliche Konkurrent, der sich anfangs neben der Syndikats-Gruppe für das Haus in der Kurmärkischen Straße interessiert hatte, ist abgesprungen. Die Hausprojektgruppe hat diese Abwendungserklärung gerne unterschrieben, denn ihr geht es ja nicht um Gewinnerzielung.

  1. Die Stiftung Edith Maryon

Bis zum August hatte die Gruppe  für 415.000 Euro Direktkredite gesammelt, aber das reichte nicht. Da kam die Stiftung Edith Maryon zu Hilfe. Diese anthroposophische Schweizer Stiftung hat schon mehrere Hausprojekte in Berlin mitfinanziert. Üblicherweise kauft sie das Grundstück und vergibt es im Erbbaurecht an das Hausprojekt, wofür dann dauerhaft ein Erbbauzins gezahlt werden muss. Die Gruppe entschied sich dagegen, und so ließ sich in diesem Fall die Stiftung darauf ein, dem Projekt ein Darlehen in Höhe von 450.000 Euro zu geben. Dieses Darlehen soll nach und nach durch weitere Direktkredite abgelöst werden. Daraufhin war die Bank bereit, einen Kredit zu geben.

  1. Verkäuferinnen mit Maß

Oft scheitern Hausprojekte an den Immobilienpreisen, denn mit renditeorientierten Investoren kann kaum eine selbstorganisierte Gruppe mithalten. Die KuMi*13 hatte das große Glück, dass den Erbinnen nicht daran gelegen war, beim Verkauf des Hauses einen maximalen Profit herauszuschlagen. Für vier Millionen Euro verkauften sie das Haus an die Gruppe. Das ist immer noch ein stolzer Preis. Jedoch zeigt dieses Beispiel, dass es in Einzelfällen möglich sein kann, sich mit Verkäufer*innen auf faire Konditionen zu einigen, jedenfalls wenn sie persönlich ansprechbar und keine anonymen Finanzinvestoren sind. Hier gaben die Verkäuferinnen dem Projekt sogar einen größeren Direktkredit.

Zur Refinanzierung des Kaufpreises und der Sanierung, die mit 1,7 Millionen Euro kalkuliert ist, wird es auf eine Nettokaltmiete von rund 10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche hinauslaufen. Preiswert ist das nicht, aber immerhin ist sichergestellt, dass diese Miete stabil bleibt, denn es reicht aus, die Kosten zu decken, die sich vor allem aus der Finanzierung ergeben. Zusätzliche Profite für Investoren müssen nicht erwirtschaftet werden.

  1. Eine schnelle und gut organisierte Gruppe

Diese Zutat ist vielleicht die entscheidendste, denn die KuMi*13 wäre ohne diejenigen, die sich mit Zeit und Energie einbringen, nicht möglich gewesen. Die Gruppe ist von anfangs 12 auf 17 Erwachsene und acht Kinder angewachsen. Sie strebt „ein offenes, solidarisches Miteinander mehrerer Generationen an“ und möchte „der kleinfamiliären Vereinzelung entgegenwirken und durchlässige Strukturen für diverse und sich verändernde Lebensentwürfe entwickeln“. Also kein „separatistisches, privates ‚Schöner Wohnen‘“, sondern Offenheit und Hineinwirken in den Kiez. Als ein erster Schritt wird das „Familien- und Nachbarschaftszentrum Kurmark“ für drei Jahre in der KuMi*13 unterkommen, während die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag an deren jetzigem Standort gleich nebenan baut.

Eine Insel im Meer kapitalistischer Verwertungen

 Dank dieser „fünf geheimen Zutaten“ ist etwas gelungen, wovon sicher viele träumen. Und auch wenn sich das nicht so einfach wiederholen lässt, zeigt das Beispiel der KuMi*13 doch, dass es möglich ist. Das macht Mut. Jedoch ist allen Beteiligten klar, dass das Projekt umgeben ist von fortschreitender Gentrifizierung.

So wird beispielsweise das fast direkt um die Ecke befindliche ehemalige Commerzbank-Gebäude an der Potsdamer Straße für hochpreisiges Gewerbe umgebaut. Es ist das Haus, vor dem am 22. September 1981 Klaus-Jürgen Rattay getötet wurde, mitgeschleift von einem Bus, als die Polizei bei einer großen Räumungsaktion die Hausbesetzer*innen auf die Straße jagte. Einziehen sollen Sony Music, und der weltweit viertgrößte Hersteller von
– auch gentechnisch verändertem – Saatgut, KWS. Noch scheint der Bau sich wie ein Ufo in einen gewachsenen, jedoch bedrohten Kiez zu setzen.

Von der anderen Seite der Potsdamer Straße werden die ältesten autonomen Jugendzentren Berlins, Drugstore und Potse, vertrieben. Der Drugstore zog schon vor über einem Jahr aus, die Potse ist noch (Mitte Februar 2020) besetzt und räumungsbedroht. Nahezu jedes freie Grundstück im Schöneberger Norden wird bebaut – ebenso wie anderenorts in der Berliner Innenstadt. Dabei entsteht alles Mögliche, nur kein bezahlbarer Wohnraum. So schauen von der Kurfürstenstraße die Eigentümer*innen neu errichteter Penthäuser direkt auf die KuMi*13.

Am „Tag der Offenen Tür“ weihte Pastor Leumund das Hausprojekt mit einer Reizwortmeditation, bei der die Gemeinde der Feiernden auf Begriffe wie „Gerechten“ im Chor mit „da können wir dir ein Lied von singen“ oder auf „Beschäftigung“ mit „es war einmal“ antwortete. Seine Predigt führte ein ins Thema „Scheiß-Kapitalismus“, dem der Notausgang fehle. Der Pastor rief darum die außerplanetare Opposition an: „Wir stecken fest, wir kommen hier nicht mehr klar, könnt ihr uns helfen?“ Dann besprengte er die Gemeinde ausgiebig mit Weihwasser. Begleitet wurde die Weihung durch demonstrativ gezeigte Parolen wie „Wunder ohne Wirtschaft“, „Liebe deinen Nächsten wie dein Auto“ und „Wachstum als Holzweg“.

Der Tag klang aus mit dem Spinnen von Ideen für eine große Halle hinter dem Wohngebäude, mit Glühwein am Feuer auf dem kleinen, mediterran anmutenden Hof, und mit selbstgemachter Musik im Wohnzimmer des Hausvereins.

Weitere Informationen:

www.kumi13.org

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.