anti-gentech

genetiX snowball

Eine "Kampagne gewaltfreier ziviler Verantwortlichkeit" in Großbritannien

| Andreas Speck

Der Gentechnik-Widerstand braucht neue Aktionsideen. Im Anschluß an einen Kampagnenvorschlag in GWR 231 stellen wir eine neue Kampagne aus Großbritannien vor, die einen ähnlichen Weg beschreiten will: genetiX snowball. Am 4. Juli fand die erste genetiX snowball-Aktion in England statt, mittlerweile folgten zwei weitere. Eine Idee auch für die hiesige Bewegung? (Red.)

„genetiX snowball ist eine Kampagne gewaltfreier ziviler Verantwortlichkeit, die darauf abzielt, aktiven Widerstand gegen diese neue Gentechnologie, die unerwünscht, unnötig, unsicher und irreversibel ist, aufzubauen“, so heißt es im Aktionshandbuch der Kampagne. Zur Legitimation der Kampagne heißt es: „Wenn Biotechnologiefirmen sich weigern, ihre Verantwortung für die Risiken genetischer Modifikationen zu akzeptieren; wenn unser Rechtssystem frei wird von Moral und Ethik – dann müssen wir Verantwortung übernehmen. Wir sind überzeugt, daß ein Weg, Verantwortung zu übernehmen, darin besteht, sicher eine symbolische Anzahl von genetisch manipulierten Pflanzen zu entfernen und dann andere ermutigen, ähnliche Aktionen auszuführen.“ (1)

Damit ist der Kern der Aktionsidee umschrieben: kleine Gruppen – organisiert als Bezugsgruppen – entfernen in einer öffentlich angekündigten Aktion eine symbolische Anzahl gentechnisch manipulierter Pflanzen von Versuchsfeldern. Diese Aktionen werden gegenüber den betroffenen Bauern/Bäuerinnen, Gentechnik-Firmen, der Presse und der Polizei vorher öffentlich angekündigt und begründet. „Offenheit und Verantwortlichkeit sind Grundsteine einer echten Demokratie. Multinationale Firmen und die Mehrheit derjenigen, die an der Biotechnologie-Industrie beteiligt sind, sind überwiegend nicht rechenschaftspflichtig gegenüber dem Rest der Gesellschaft. … Wir zeigen unsere Offenheit, indem wir an den/die Bauern/Bäuerin vor unserer Aktion schreiben – entweder den/die spezielle/n Bauern/Bäuerin, oder an alle Bauern/Bäuerinnen, die in dem Kreis, in dem wir unsere Aktion durchführen wollen, gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen. Wir zeigen unsere Verantwortlichkeit, indem wir persönliche Erklärungen hinterlassen, die erläutern, warum wir zur gewaltfreien Aktion gegriffen haben.“ (2)

Teil der Aktion ist die Bereitschaft, die Konsequenzen als Teil des eigenen Widerstandes zu akzeptieren. Dabei wird gesehen, daß es als Folge der Aktionen zu Verhaftungen und Verfahren kommen kann. Diese Prozesse zu führen wird als eine Möglichkeit angesehen, die notwendige gesellschaftliche Diskussion über die Verantwortbarkeit von Gentechnik (wieder) in Gang zu bringen.

Auch wenn sich regional oder lokal neue, unabhängige Gruppen im Rahmen von genetiX snowball gründen sollen, so gibt es doch eine gemeinsame Basis, genannt „Verpflichtung“, die den gewaltfreien Rahmen der Kampagne umreißt, sowie eine Koordinationsgruppe, organisiert nach dem SprecherInnenratsmodell, die sich für die gesamte Kampagne verantwortlich fühlt (allerdings nicht für Aktionen einzelner Gruppen) und bestehende Gruppen koordinieren soll.

Inspirationen

Die genetiX snowball-Kampagne beruht auf den Erfahrungen dreier verschiedener Traditionen: der gewaltfreien Snowball- Kampagne gegen militärische nukleare Einrichtungen der USA in Großbritannien in den 80er Jahren, der „Schwerter zu Pflugscharen“-Tradition, in deren Rahmen einfache Handwerkszeuge genutzt werden, um Waffen abzurüsten, und den vielen gewaltfreien Aktionen im Rahmen der Umweltbewegung in Großbritannien und weltweit.

Der Name verweist auf die Tradition der Snowball-Kampagne in den 80er Jahren. An dieser Kampagne beteiligten sich nahezu 3 000 Menschen an 42 verschiedenen Orten in Großbritannien. Die erste Aktion dieser Art fand am 1. Oktober 1984 an der US-Air Force-Basis in Sculthorpe statt.

Alle Beteiligten an der Kampagne stimmten der Gewaltfreiheit zu, schrieben eine persönliche Erklärung und kontaktierten die relevanten Behörden, bevor sie – bei Anwesenheit der Polizei – ein einzelnes Stück aus einem Maschendrahtzaun um eine US-Militärbasis herausschnitten.

Diese symbolischen Aktionen führten zu mehr als 2 000 Verhaftungen und Gerichtsverfahren, in denen die AktivistInnen ihre Beweggründe gegenüber dem Gericht, der Presse und der Öffentlichkeit erläuterten. Etwa 1 000 TeilnehmerInnen an der Kampagne weigerten sich, die geringfügigen Geldstrafen zu zahlen und saßen als Teil ihrer Aktion kurze Gefängnisstrafen ab. Nach der Aktion versuchte jede beteiligte Person, zwei oder drei weitere Menschen zu finden, die sich beteiligen könnten, und so wuchs der Schneeball zu einer Größe an, die ausreichte, das Ziel zu erreichen. (3)

Die Tradition der Pflugschar-Bewegung begann in den USA in den 80er Jahren mit einer Aktion, bei der acht AktivistInnen mit einfachen Hämmern Nuklearsprengköpfe abzurüsten versuchten. Seitdem hat es mehr als 60 Pflugscharaktionen gegeben. (4)

Vergleichbar scheint mir der Ansatz von genetiX snowball in Deutschland vor allem mit den Aktionen der EUCOMmunity, da auch hier Traditionen aus der Pflugscharbewegung aufgegriffen werden, der materielle Schaden aber in den Hintergrund rückt gegenüber der möglichen Beteiligung von möglichst vielen Menschen (5).

Doch entstanden ist genetiX snowball zu einem großen Teil aus der britischen „direct action“-Umweltbewegung, die auch hierzulande durch spektakuläre Aktionen von sich reden macht(e), so z.B. den Tunneln und Walkways gegen eine Umgehungsstraße bei Newbury (vgl. GWR 206) oder gegen die Erweiterung des Flughafens von Manchester. Die Bewegung hat mittlerweile erreicht, daß das Straßenbauprogramm in England massiv zusammengestrichen wurde, und ist derzeit auf der Suche nach neuen Aktionsfeldern und -formen. Gentechnik ist dabei derzeit in der Diskussion ein Thema, daß sich für Aktionen anbietet.

Gleichzeitig gibt es jedoch in Ansätzen eine kritische Diskussion zu Aktionsformen, und ein Ergebnis dieser kritischen Reflexion ist die genetiX snowball-Kampagne.

Kampagnenziele

Die formulierten Ziele der genetiX snowball-Kampagne sind eher moderat, was Anlaß für Diskussionen innerhalb der Kampagne, aber auch für heftige Kritik von außerhalb ist. Die Forderungen der Kampagne sind:

  1. Ein fünfjähriges Moratorium für Freisetzungen von gentechnisch veränderten Pflanzen in Großbritannien, mit Ausnahme von staatlich unterstützten umweltverträglichkeits- und -sicherheitsversuchen (in geschlossenen Systemen) und;
  2. die Entfernung aller bisher existierenden genetisch manipulierten Pflanzen durch Regierungsstellen, Bauern/Bäuerinnen oder Biotechnologiefirmen. (6)

Sollten diese Forderungen erfüllt werden, so wird die Kampagne beendet – so zumindest der derzeitige Diskussionsstand.

Die Vorteile dieses moderat formulierten Zieles liegen sicherlich darin, daß es in einem überschaubaren Zeitraum erreicht werden kann und somit als realistisch erscheint. Und bei der derzeitigen Zunahme von Freilandversuchen wäre mit Sicherheit ein fünfjähriges Moratorium zunächst ein wichtiger Zwischenschritt, um ein absolutes Verbot von Freilandsversuchen zu erreichen.

Kritisiert wird jedoch, daß diese Forderungen nicht weitgehend genug sind, daß sie keine grundsätzliche Ablehnung von Gentechnik beinhalten.

Ich bin mir nicht sicher, welche Position hier taktisch sinnvoller ist. Angesichts des fast völligen Fehlens einer gesellschaftlichen Diskussion kann die Forderung nach einem Moratorium vielleicht einiges in Bewegung bringen, gerade wenn sie durch eine breite Kampagne zivilen Ungehorsams erreicht wird. Und dieser Zusammenhang darf bei der Diskussion nicht vergessen werden, denn ein Moratorium wäre nur ein erster Schritt, und zwar würde die jetzige genetiX snowball-Kampagne dann beendet, aber die aufgebauten Strukturen würden mit Sicherheit eine neue, weitergehende Kampagne vorbereiten, um einen endgültigen Stopp von Freilandversuchen und auch von „Novel Food“ zu erreichen.

Die Stärke der Kampagnenidee liegt ja gerade in ihrem potentiell aktivierenden Charakter. Es geht ihr darum, schrittweise eine große Anzahl von Menschen zu aktivieren, gegen gentechnisch modifizierte Pflanzen aktiv zu werden und „sicher Freisetzungstandorte mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu dekontaminieren, bis ein Moratorium gewährleistet ist.“ Gerade in dieser Einladung zur „Teilnahme an gewaltfreien Aktionen, die die Gesellschaft näher an Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Frieden untereinander und mit der Erde heranführen werden“ liegt der Kern der Kampagnenidee. Die „Infragestellung gedankenlosen Gehorsams“ und die Überwindung der Ängste hin zu einer „Position geteilter Macht im Gleichgewicht mit einem starken Gefühl der Verantwortlichkeit“ (7) sollen die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, so daß auch nach dem Ablauf eines Moratoriums eine Rückkehr zu Freisetzungen nicht mehr möglich ist.

Trotzdem bleibt für mich eine offene Frage, ob eine radikalere Formulierung der Kampagnenziele mit eindeutiger Absage an Gentechnik nicht auch politisch sinnvoller wäre.

Was heißt das für Deutschland?

In vielem scheint die Situation in Großbritannien mit der hiesigen vergleichbar zu sein. Auch in Großbritannien sprechen sich ca. 77 % der Bevölkerung gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel aus (8), ähnlich dürften Meinungsumfragen hier aussehen. Diese gesellschaftliche Mehrheit gegen Gentechnik setzt sich aber nicht in eine entsprechende Politik um – auch das gilt für Großbritannien und Deutschland.

Während aber in Großbritannien sich genetiX snowball auf eine gewaltfreie Aktionstradition stützen kann – u.a. die snowball-Kampagne der 80er Jahre und die jüngste direct action-Umweltbewegung – so scheint mir das in Deutschland gerade für eine potentielle Anti-Gentechnik-Bewegung schlechter auszusehen. Die Ökologiebewegung hat sich vielfach von Aktionen Zivilen Ungehorsams entfernt und übt den Schulterschluß mit Staat und Kapital – von ökologischer Steuerreform bis Agenda 21. Doch während als Folge der Anti-Castor-Bewegung von der rot-grünen Koalition ein butterweicher Atomausstieg (immerhin!) beschlossen wurde, kann als Folge des Fehlens einer radikalen Bewegung gegen Gentechnik aus diesem Bereich nichts vergleichbares berichtet werden.

Eine Kampagne ähnlich der genetiX snowball-Kampagne könnte dies ändern und gerade aufgrund ihrer Offenheit und eindeutigen Gewaltfreiheit hier Berührungsängste bei örtlichen Gentechnik-Initiativen und Umweltgruppen abbauen helfen, läßt sie sich doch nicht so einfach der „Unverantwortlichkeit“ ihrer Aktionen bezichtigen. Gerade in ihrer Offenheit zum Dialog mit den betroffenen Bauern/Bäuerinnen und der Öffentlichkeit, mit ihrer Bereitschaft, für die gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams mit der ganzen Person einzustehen, kann sie auf viele Menschen zugehen und sie vielleicht sogar zum Mitmachen bewegen. Bringen wir auch hier den Schneeball ins Rollen!

(1) genetiX snowball: Handbook for Action: A guide to safely removing genetically modified plants from release sites in Britain. Version 1.0, September 1998

(2) ebenda

(3) ebenda, Anhang A 1.2

(4) ebenda, Anhang A 1.2

(5) zu EUCOMmunity vgl. ausführlich: Die EUCOMmunity. Eine Dokumentation. Stuttgart 97

(6) genetiX snowball Faltblatt

(7) genetiX snowball Handbook, 2.1 Aims & Objectives

(8) Personal statement by Rowan Tilly, zitiert nach Handbook for Action, Anhang A 4.1.2

Ein Video der ersten genetiX snowball-Aktion kann angefordert werden bei:
genetiX snowball
c/o One World Centre
6 Mount Street
Manchester M2 5NS
Großbritannien
Tel.: +44 161/8340295
Fax: 834 8187
genetixsnowball@ orangenet.co.uk