Der neue Film von Quentin Dupieux fiel als Kinofilm dem Corona-Lockdown zum Opfer. Jetzt erscheint er als Stream und ab 24. September auch als DVD und Blu-Ray.
Als Joaquin Phoenix 2000 in Ridley Scotts “Gladiator” den Kaiser Commodus spielen sollte, wehrte er sich dagegen, Echtleder in seinem Kostüm verarbeitet zu wissen. Auch in “Walk the Line” spielte er den Wildleder-Fan Johnny Cash in einem Kostüm aus Kunstleder. Johnny Cash zuckte mit den Schultern und ließ ihn gewähren. Man muss kein überzeugter Tierschützer wie Phoenix sein, um zu verstehen, dass manche Menschen nichts mit Tierprodukten anfangen können.
Ganz anders ergeht es George (Jean Dujardin), dem Protagonisten in Quentin Dupieux’ neuestem Film “Monsieur Killerstyle”, als er die titelstiftende1 Hirschlederjacke zum ersten Mal in den Händen hält.
Ähnlich wie in Dupieux’ wohl bekanntesten Film “Rubber” von 2010, ist die Hauptfigur des Films ein Gegenstand. Doch im Gegensatz zum mörderischen Autoreifen, der sich eigenständig durch die Wüstenlandschaft mordet, nimmt die Lederjacke in “Monsieur Killerstyle” wie ein mächtiger Talisman von George Besitz und verleiht dem orientierungslosen Mann neue Kraft und Lebensfreude, pflanzt jedoch auch einen mörderischen Gedanken in seinen Geist: es kann nur eine (Jacke) geben.
Wer die Filme von Quentin Dupieux kennt, wird wissen, was die Folge dieser Outline ist: Beliebigkeit von Handlungselementen, eine krankhafte Neigung, den Zuschauer*innen ihre Neurosen vorzubeten und Experimente mit Sehgewohnheiten.
Der Film ist, wie Dupieux’ Vorgängerfilme, recht eklektisch.
Er beginnt bedächtig und legt kurz vorm dritten Akt mächtig los und dann ist man eigentlich schon mittendrin in einem atemlosen Slasherfilm, der kurzfristig an die ultrabrutale Phase des belgisch-französischen Horrorfilms der frühen 2000er erinnern lässt, bevor sich Dupieux, der sich nie allzu sicher in einem einzigen Genre zu fühlen scheint, zur, an Comics erinnernden, Gewalt umschwenkt.
Diese Art der Gewaltdarstellung, die am ehesten mit der in der großartigen, absurden Horrorkomödie “The Greasy Strangler” (Jim Hosking, 2016) oder Mr. Oizos (Quentin Dupieux’ Künstlername) Musikvideo “HAM” (Regie: Hardcore-Absurdist Eric Wareheim) vergleichbar ist, oder einem breiteren Publikum wahrscheinlich durch Quentin Tarantino bekannt sein wird, mag nicht jedermanns Geschmack treffen. Unter anderem wird einer gesichtslosen Leiche der Ring vom Finger gelutscht. Das muss man nicht mögen, überrumpelt aber in jedem Fall.
Dennoch: “Monsieur Killerstyle” (ein schlechter Witz von einem Verleihtitel) ist kein Film, der um jeden Preis schockieren will. Die Handlungsmuster kennt man mittlerweile aus den entsetzlichen Meldungen aus Christchurch, Halle und Hanau:
wir beobachten den Weg eines desillusionierten, weißen Mittvierzigers, der sich als Opfer der Gesellschaft sieht und als Gesetzloser Jagd auf Menschen macht, um die Welt vom vermeintlichen Makel (der Kunstfaser) zu befreien und eine alte Ordnung herzustellen, eine Welt, in der es Vogelfreie gibt, die man straffrei abschlachten kann (wir sehen trotz eines beachtlichen Killcounts keinen einzigen Polizisten). Das geschieht in der Tat weniger durch stichhaltige Kritik als vielmehr durch lustvollen Massenmord. George stellt eine faschistische Welt her, in der Ungehorsam mit dem Tod bestraft wird, die Schuld wird mit dem Verrat an der Welt des alten Westens gemessen. Die Wildlederjacke stellt dabei Emblem und Fetisch dar.
Die erbeuteten, den Ermordeten buchstäblich von der Haut abgezogenen, Jacken verschwinden in einem improvisierten Massengrab. Die erstellten Snuff-Videos schneidet die faszinierte Gehilfin zu einem Propagandavideo zusammen.
Jean Dujardin, den wir als Beau aus der Werbersatire “39,90” (Jan Kounen, 2007) kennen, spielt den George (und die Wildlederjacke) unvergleichlich wandelbar und Adèle Haenel (“Portrait einer jungen Frau in Flammen”) hat man wahrscheinlich noch nie so abgründig gesehen.
“Monsieur Killerstyle” ist, trotz seiner Ausflüge ins Komische, vielleicht Quentin Dupieux’ erster ernstgemeinter Film.
1 Der Originaltitel des Films lautet “Le daim”(frz. für “Damhirsch), der internationale Titel “Deerskin”
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