Nach der vorläufigen Abwendung eines Militärschlages in buchstäblich letzter Stunde stehen die Zeichen noch lange nicht auf Entspannung. Nach einem Bericht der Washington Post „rechnete das US- Verteidigungsministerium mit 10 000 Toten beim ersten Angriff. Der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter kritisierte, Washington habe eine historische Gelegenheit verpaßt, Bagdad in die Knie zu zwingen“ (zit. nach FR, 17.11.98).
Der irakische UN-Botschafter Nisar Hamdoon verknüpfte die – formal bedingungslose – Rückkehr der UNSCOM-Inspekteure an ihre Arbeit mit einer „Wunschliste“ seines Landes: Erstens soll innerhalb von acht Tagen das gegen Irak verhängte Embargo überprüft werden, zweitens soll der UN-Sicherheitsrat den Einsatz des bisherigen UNSCOM-Leiters, Richard Butler, sowie die Struktur der UNSCOM insgesamt überdenken.
Ob sich allen voran die USA innerhalb einer Woche darauf einlassen werden, darf derzeit bezweifelt werden.
Umgekehrt fordert die UNSCOM die Herausgabe eines irakischen Dokumentes aus der Zeit des iranisch-irakischen Krieges im Zusammenhang mit der Suche nach chemischen Waffen. Dies lehnt Bagdad ab, da es nichts mit dem Auftrag der UNSCOM tun habe. Lediglich zu technischen Angaben sei man bereit, nicht aber zu Details, die Geheimdienste interessieren könnten.
Bei diesem Dokument handelt es sich vermutlich um das Papier, das die deutsche Teamleiterin Gabriele Kraatz-Wadsack schon im Juni 1998 gefunden hatte. Der „SPIEGEL“ vom 24.8.98 befragte dazu Richard Butler, den Leiter der UNSCOM: „Butler: Sie fand das Papier im Luftwaffenhauptquartier, aber die Iraker nahmen es ihr sofort wieder ab. Schon das ist illegal. Ich telefonierte daraufhin mit einem General und vereinbarte, daß dieses Dokument erst einmal versiegelt und mir dann bei meinem nächsten Besuch in Bagdad ausgehändigt würde. SPIEGEL: Haben Sie es nun? Butler: Nein. Tarik Asis sagte, das kriegen Sie nie. Die Iraker brachen den Vertrag, als sie uns das Dokument abnahmen, sie verstießen gegen unsere telefonische Absprache, und nun wollen sie es gar nicht mehr rausrücken. SPIEGEL: Warum ist dieses Papier so wichtig? Butler: Nach unserer ersten Einschätzung könnten wir mit Hilfe dieses Dokuments etliche der C-Waffen aufspüren, die wir noch immer suchen. Es ist ja möglich, daß dieses Giftzeug vernichtet oder anderweitig unschädlich gemacht wurde. Vielleicht ist es auch einfach chemisch verrottet und unbrauchbar. Wir wissen es nicht, wir sind nur die Buchhalter, die Belege brauchen“.
Wenn die Iraker das Papier tatsächlich sofort wieder abnahmen, ohne daß die UNSCOM Einblick nehmen konnte, sind die Vermutungen Butlers reine Spekulationen. Als eine Rechtfertigung für 10 000 Tote bei einem ersten Angriff – sollte es doch noch zum Militärschlag kommen – wäre diese Basis recht dünn.
Nach der Golfkrise vom Frühjahr 1998 schrieb Eric Rouleau, bis 1992 französischer Botschafter in der Türkei, unter der Überschrift „Zwei Feinde – ein Interesse“ einen bemerkenswerten Beitrag in der Le Monde Diplomatique (März 98):
„Daß es den Amerikanern nicht gelingen will, Saddam Hussein zu stürzen, hat überdies die Öffentlichkeit in der Überzeugung gestärkt, daß der irakische Diktator den Vereinten Staaten als Schreckgespenst gelegen kommt und sie ihn darum an der Macht halten. Auf diese Weise können sie ihre militärische Präsenz am Golf ebenso rechtfertigen wie ihre umfangreichen Waffenverkäufe in der Region. Auch die Fortsetzung des Embargos auf unbestimmte Zeit findet damit ihre Rechtfertigung, was wiederum erhebliche zusätzliche Einkünfte für die Länder bedeutet, die nun anstelle des Irak das Geschäft machen und die zu den traditionellen Geschäftspartnern der amerikanischen Industrie gehören: die Ölmonarchien am Golf, allen voran Saudi-Arabien. Man muß es etwas genauer beschreiben. Es ist unbestreitbar, daß die Vereinigten Staaten mehr als einmal dazu beigetragen haben, das politische Überleben des Regimes von Saddam Hussein zu gewährleisten. (…) Wahr ist aber auch, daß bei einer Reihe von Verschwörungen in Bagdad, die blutig scheiterten, die CIA die Hand im Spiel hatte. Das Weiße Haus befürchtete, daß die schwer vorhersehbare und unkontrollierte Politik einer demokratisch gewählten Regierung zu ‚Anarchie‘ und zur Auflösung des heterogenen irakischen Staatsgebildes führen würde, und machte deshalb kaum ein Hehl daraus, daß es diesem Schreckensszenario ein Militärregime vorzog“.
Umgekehrt haben die Sanktionen Saddam Hussein nicht geschwächt, sondern gestärkt. Als Feindbild eignen sich die USA für das leidende irakische Volk hervorragend, die eigenen Macht-Reihen in Bagdad geschlossen zu halten.
Die Dreistigkeit an Lügen, Desinformationen und Meinungsmanipulationen beider Seiten zur Fortführung dieses seit sieben Jahren andauernden Dramas füllt inzwischen Bände. Daß dabei die irakische Diktatur zuweilen noch von westlichen Demokratien übertroffen wird, stimmt nachdenklich.
Die Frage der Massenvernichtungswaffen
Im Streit um die Gefährlichkeit der noch vorhandenen irakischen Kampfstoffe überboten sich westliche Politiker in der Februar-Krise gegenseitig: Während William Cohen, amerikanischer Verteidigungsminister, behauptete, Irak könne seine Raketen bis nach Paris schießen, verkündete der britische Premier Tony Blair: „Dieser Mann (Saddam Hussein) hat bereits genügend chemische und biologische Waffen angesammelt, um die gesamte Menschheit zu vernichten – daran muß man ihn hindern“ (Vgl. International Herald Tribune, 30.1.98 und Washington Post, 8.2.98).
Der ehemalige französische Botschafter Rouleau kommt zu der erstaunlich deutlichen Aussage: „Eine aufmerksame Lektüre der Flut von Meldungen zu diesem Thema ist erbaulich. Denn daraus geht vor allem hervor, daß die meisten dieser ‚Informationen‘, die weltweit verbreitet wurden, aus einer einzigen Quelle stammen: dem amerikanischen Geheimdienst“ (Le Monde Diplomatique, März 98).
Im Kontrast zu den Horrorbildern westlicher Politiker stehen die offiziellen Berichte der UNSCOM. Darin ist nachzulesen, daß nach den mehrjährigen Sprengarbeiten „das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering sei“ (Le Monde Diplomatique, Dez. 97). Weil dem US-Außenministerium diese Aussagen zu weit gingen, wurde der Wortlaut dieser offiziellen UN-Berichte auf Drängen der USA nachträglich verändert (ebd.).
Nachdem die mit der UNSCOM zusammenarbeitende Internationale Atomenergieorganisation in Wien offiziell verkündet hatte, daß der Irak weder Atomwaffen besitzt noch über Möglichkeiten verfügt, sie zu bauen, hätte zumindest dieser Bereich mittels eines Berichtes abgeschlossen werden können. Weil wiederum die USA ihre Zustimmung zum Abschlußbericht verweigerten, setzen Inspektoren bis heute ihre offenbar abgeschlossene Arbeit fort – auf Kosten des Irak, der diese Tätigkeit aus dem Erlös des „Erdöl- für-Lebensmittel-Programms“ bezahlen muß.
Ölkonflikte
Gravierender als die weitgehend gelöste Frage der Zerstörung der Massenvernichtungswaffen sind wirtschaftliche Konflikte um die Zukunft Iraks, besonders um dessen billig zu förderndes Öl.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb bereits am 7.7.95 zum Embargo: „Die Vereinigten Staaten haben keine andere ebenso wirksame Methode zur Zurückbindung des Iraks; diese dient auch ihren vitalen Erdölinteressen im Golf. Deshalb dürften sie die Lockerung der Sanktionsschlinge so lange wie überhaupt möglich hinauszögern“.
Vor allem russische, französische und chinesische Ölkonzerne haben bereits milliardenschwere Verträge über die Ausbeutung irakischer Öl- und Gasfelder unterzeichnet. Insgesamt mehr als 60 ausländische Ölunternehmen aus rund 30 Ländern der Erde zeigen derzeit ein großes wirtschaftliches Interesse an einer Aufhebung des Embargos. Die irakische Regierung möchte den Gewinn aus 25 neu zu erschließenden Ölfeldern mit Unternehmen aus jenen Staaten teilen, die öffentlich für die Aufhebung von Sanktionen eintreten. Auf der Länderliste der Vertragspartner mit Irak fehlen: die USA und Großbritannien.
Aus Deutschland, das als Irak gegenüber „feindselig“ eingestellt gilt, soll zumindest die Firma „Preussag“ im Juni ’97 – trotz Embargo – einen Vertrag über technische Arbeiten am Al-Ahdab-Ölfeld in Bagdad unterzeichnet haben (nachzulesen in: „Milliardenaufträge aus Bagdad“, F.A.Z.,13.1.98).
Viele Indizien sprechen dafür, daß auf dem Rücken der irakischen Bevölkerung weiterhin ein brutaler Wirtschaftskrieg ausgetragen wird.
Die Krisen vom Februar & November 1998 in der Zusammenschau
Irak
Henry Kissinger brachte bereits im November ’97 in der „Los Angeles Times“ die Sache auf den Punkt: „Zwar wird Saddam Hussein oft als Verrückter beschrieben. Aber seine Strategie zur Lockerung und schließlichen Aufhebung jener Einschränkungen, die ihm durch die UNO-Inspektionen auferlegt werden, ist bemerkenswert rational“.
Mit der im Februar ausgehandelten UN-Resolution, nach der das Land statt für 2,14 Milliarden $ Erdöl für 5,2 Milliarden $ ausführen konnte, hatte Saddam Hussein einen Teilsieg errungen.
Rund 30 Milliarden Dollar sind immer noch notwendig, um die im 2. Golfkrieg zerstörten Anlagen wieder aufzubauen, bevor diese Menge überhaupt rein technisch erreicht werden kann. Mit einem humanitären Hilfspaket über 20 Millionen DM Soforthilfe beruhigte im Frühjahr die EU-Kommission in Brüssel vorerst ihr schlechtes Gewissen, seit 1990 am Hungertod von rund 800 000 Menschen in Irak mitschuldig zu sein.
Laut Februarvertrag sollten nicht mehr nur UNSCOM-Mitarbeiter, sondern auch Diplomaten die Paläste Saddam Husseins durchsuchen. Die irakische Führung erhoffte sich davon, daß die Rückmeldung an den UN- Sicherheitsrat darüber, daß das Land „sauber“ von Massenvernichtungswaffen sei und das Embargo aufgehoben werden kann, nicht mehr so leicht von den US-dominierten Inspektoren-Teams verzögert wird. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, was wesentlich zur neuen November-Krise beitrug.
Daß Saddam Hussein seine acht Privatresidenzen inklusive der islamischen Tabuzonen im Februar auch feindlich eingestellten Ausländern zeigen mußte, war für ihn kulturpsychologisch ein erheblicher Imageverlust in der arabischen Welt. Angesichts seines taktischen Geschickes, die entscheidenden Mächte des Weltsicherheitsrates gegeneinander ausgespielt und sich selbst ins Bild eines honorigen Staatsmannes gerückt zu haben, schien dieser Verlust allerdings verschmerzbar.
USA
Die Widersprüchlichkeit der US-Politik gegenüber Irak faßte Henry Kissinger im bereits erwähnten Beitrag folgendermaßen zusammen: „1996 ließ Saddam die Führung der in einem autonomen Gebiet im Norden lebenden Kurden umbringen, denen die USA Schutz zugesagt hatte. Washington reagierte völlig inkonsequent mit Angriffen auf Radarstellungen im tiefen Süden Iraks – rund tausend Kilometer entfernt vom Ort der Provokation. Derart überzeugt, daß er von amerikanischen Militäraktionen wenig zu befürchten habe, sah Saddam eine politische Chance, dem Inspektionsprogramm der UNO die Zähne zu ziehen“.
Einen Tag nur nach dem Verhandlungserfolg Annans im Februar wurde in den USA eine US-Heeres-Studie veröffentlicht, die die gleichzeitige Eindämmung von Irak und Iran wegen der zu hohen Kosten und Risiken als falsch bezeichnet.
„Clintons ’nationale Interessen‘ in Irak buchstabieren sich wie Öl“, titelte damals die FR am 15.2.98 und führte aus: „Ein Land mit zerstörter Infrastruktur und neu herbeigebombter Feindschaft gegenüber den USA dient weder einer sicheren Energieversorgung noch den Geschäften der ebenfalls mächtigen amerikanischen Ölgesellschaften. Also ist eine vertretbare diplomatische Lösung, die vielleicht in überschaubarer Zeit die Wirtschaftssanktionen überflüssig machen und US-Firmen zurück ins Irak-Geschäft bringen könnte, eher im nationalen Interesse der USA“.
UNSCOM
Die UNSCOM spielt seit längerem eine mehr als merkwürdige Rolle.
„War es wirklich nötig, daß ihr Chef, der Australier Richard Butler, fast wie ein offizieller Vertreter der amerikanischen Position auftrat statt wie der zu Diskretion verpflichtete Vertreter einer internationalen Organisation? Mußte er in der Öffentlichkeit und in den Medien immer neue Schreckensmeldungen verbreiten, die dann in seinen Berichten an den UN-Sicherheitsrat doch keine Erwähnung fanden“, fragte sich der französische Ex- Botschafter Eric Rouleau im Frühjahr 1998. Richard Butler ist trotz dieses zweifelhaften Verhaltens seiner Linie bis November 98 treu geblieben, weshalb der irakische Wunsch nach Ablösung seiner Person durchaus in der Sache begründet scheint. Daß Richard Butler im Gegensatz zu seinem Vorgänger Rolf Ekeus auf der Öffnung der Privat-Paläste Saddam Hussein bestand, nahm Bagdad als instrumentalisierte Provokation durch Washington wahr.
Im Juni 1998 legte Butler als Leiter der UN-Sonderkommission dem Sicherheitsrat eine Studie vor, die den Nachweis von VX-Giftspuren an irakischen Gefechtsköpfen zum Inhalt hatte. Die untersuchten Raketen allerdings stammten aus der Zeit vor dem Golfkrieg. Die FR meinte dazu am 25.6.98: „Die jüngsten ‚Enthüllungen‘ über eventuelle Betrugsmanöver der Iraker sind Bestandteil des Nervenkriegs zwischen Washington und Bagdad. Die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind zunehmend darüber verärgert, wie die USA Stimmung machen“.
Butler vereinbarte im Sommer mit dem irakischen Vizepremier Tarik Asis einen Plan zur Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen innerhalb von zwei Monaten. „Bevor aber Butler dem UN-Sicherheitsrat Bericht erstatten konnte, führten gezielte Indiskretionen zu neuen Anschuldigungen gegen Bagdad“ (FR, 25.6.98).
Die Schwäche und Gefahren der in sich gespaltenen UNSCOM-Delegationen ist überdeutlich. Die USA gingen im Frühjahr sogar so weit, den russischen Inspektoren vorzuwerfen, irakische Stellen vor Inspektionen zu warnen. UN-Inspektoren – laut „The Independent“, 12.2.98, häufig ehemalige Geheimdienstagenten – stehen im Verdacht, ihr Wissen nicht nur an die UN, sondern auch an die jeweiligen nationalen Verteidigungsministerien weiterzugeben.
Wie kritisch dies werden kann, zeigte ein F.A.Z.-Beitrag am 6.2.98 über das Ausmessen der Präsidentenpaläste: „Landvermessen im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper“. Sollten die USA und Großbritannien sich in den nächsten Tagen doch noch zu einem Militärschlag entscheiden, der die Präsidentenpaläste umfassen würde, hätten UN-Mitarbeiter auf Kosten des Irak die dafür notwendige Vorarbeit geleistet.
Warum der Irak die Arbeit der UNSCOM neu überdacht haben möchte, wird am Beispiel des Amerikaners Scott Ritter deutlich, der die UNSCOM vor kurzem verlassen hat. „Scott Ritter ist kein Mann diplomatischer Floskeln. Erst trat er in Bagdad auf wie ein Cowboy, dann erklärte er unverblümt, er habe sein dort gewonnenes Wissen Israels Geheimdienst zur Verfügung gestellt. Jetzt empfahl der Golfkriegsveteran einen ‚Enthauptungsschlag‘ gegen Saddam Hussein (…)“, so Thomas Dreger in seinem „Taz-Kommentar“ vom 12.11.98.
Frankreich und Rußland
Für die Europapolitik in der Irak-Krise, sofern man von einer solchen überhaupt sprechen kann, ist die eigentliche Frage: Setzt sich die an die USA anlehnende britische oder die auf mehr europäische Eigenständigkeit und UN-Zuständigkeit hinarbeitende französische Haltung durch. In den entscheidenden Telefonaten zwischen Chirac und Clinton war es bereits in der Frühjahrskrise „stürmisch“ (laut „Liberation“) zugegangen. Inzwischen steht Frankreich fast völlig isoliert den übrigen Nato-Staaten gegenüber, insbesondere auch in den derzeitigen Planungen zum neuen Nato-Grundsatzdokument, das Einsätze wie im Golf ohne UN-oder OSZE-Legitimation, die als Behinderungen empfunden werden, als Regelfall vorsieht.
Die Drohung Jelzins im Frühjahr vor einem Weltkrieg zeigte die militärische Hilflosigkeit der einstigen Weltmacht, die allerdings auf diplomatischer Ebene Frankreich sehr gut zuarbeitete. Nur wenige Monate danach ist der Einfluß Rußlands heute weiter gesunken. Wie ernst Clinton die in Absprache mit China vorgebrachten Einwände Jelzins gegen einen Militärschlag nahm, zeigt die Aussage des amerikanischen Präsidenten: „In Amerika versteht man ’njet‘ nicht als Nein …“ (Le Monde Diplomatique, März 98).
Frankreich und Rußland haben erhebliche Milliarden-Kredite an Irak vergeben, wünschen deren baldige Rückzahlung, was bei einem neuerlichen Militärschlag unmöglich würde – und erhoffen sich über ihre bereits im Land tätigen Ölgesellschaften entsprechende wirtschaftliche Vorteile.
Israel
Daß der israelische Ministerpräsident im Frühjahr 1998 erstmals seit 1973 wieder die israelischen Atomraketensilos öffnen wollte und nur mit viel Mühe davon abgebracht werden konnte, weist ihn als erhebliches Sicherheitsrisiko für die gesamte Region aus. Die israelische Bevölkerung konnte sich auch im November 98 in den Depots Gasmasken besorgen. Dabei gab Präsident Clinton schon im Frühjahr zu, daß Israel nicht von Saddam Husseins Raketen bedroht ist (FR, 31.1.98).
Vor diesem Hintergrund diente das Schüren massiver Ängste wohl mehr innenpolitischen Gründen sowie der Legitimation eines Militärschlages.
Der engagierte Einsatz Clintons in den Verhandlungen der letzten Monate um ein paar Prozentpunkte mehr Land für die Palästinenser zeigt, daß auch den USA sehr bewußt ist, daß sie die Ungleichbehandlung von UN-Resolutionen im Falle Israels und Iraks gegenüber der arabischen Welt nicht mehr weiter überstrapazieren können.
Arabische Welt
Am gleichen Tag, als die amerikanische Außenministerin im Frühjahr in Kairo um Unterstützung für die USA warb, die arabische Welt angeblich vor den Waffen Saddam Husseins zu schützen, machte der Sprecher der arabischen Liga ebenfalls in Kairo deutlich, daß diese Art von Schutz die eigentliche Bedrohung darstelle. „Bedrohlicher als die Bedrohung empfinden die Bedrohten offensichtlich den angedrohten Schutz vor der Bedrohung“ (FR, 25.2.98).
In der arabischen Welt neigt sich die Geduld gegenüber dem Westen langsam dem Ende zu.
„Laut Gerüchten aus Saudiarabien soll der amerikanische Verteidigungsminister Cohen bei seinem Besuch in Riad auch schon einen Kostenvoranschlag für den Truppenaufmarsch in zweistelliger Milliardenhöhe vorgelegt haben. Der saudische Kronprinz Abdallah soll darauf geantwortet haben, der Schutz vor möglichen Schäden durch den Irak komme sein Land bald ebenso teuer zu stehen wie diese selbst“ (Neue Zürcher Zeitung, 24.2.98).
Interessanterweise behauptete im November das US-Verteidigungsministerium, Saudiarabien habe Unterstützung zugesagt. Kurz darauf korrigierte ein saudiarabischer Regierungssprecher, sein Land werde kein Sprungbrett für US- Angriffe sein (Vgl. FR, 5.11.98). Einen Militärschlag gegen Irak lehnten die arabischen Staaten einmütig ab (vgl. Taz, 12.11.98).
Da sie Saddam Hussein nicht loswerden, haben viele arabische Nachbarn inzwischen wieder diplomatische Beziehungen mit Bagdad aufgenommen.
Deutschland
Am kürzesten brachte es im Frühjahr 98 der Politologe Jochen Hippler auf den Punkt: „Die USA rasen am Golf mit Volldampf in die Sackgasse. Kinkel steht mit entschlossener Fassungslosigkeit treu zur hilflosen Politik der Amerikaner“ (Freitag, 6.2.98).
Sein Nachfolger Joschka Fischer stellte sich im November in die Kontinuität deutscher Außenpolitik. „Wenn es einen US-Militärschlag gegen Irak gebe, sei das ‚allein die Schuld der irakischen Regierung und eines verbrecherischen Regimes‘, sagte Fischer“ (FR, 14.11.98). Der neue Außenminister hatte allerdings auch bei seinem Antrittsbesuch in Washington vor schnellen Militärschlägen gegen Irak gewarnt.
Trotzdem scheint die Erosion politischer Grundsätze der UNO (Militäreinsätze nur mit UN-Mandat) und Pfeiler der Demokratie wie des Grundgesetzes (Artikel 26) auch unter der neuen rot-grünen Regierung mit einer Geschwindigkeit voranzuschreiten, die allen demokratisch Gesinnten dieser Republik größte Sorge machen müßte.
Ausblick
„Die Generäle der Wall Street lieben den Krieg“, schrieb Daniel Kadlec in der „Time“ unter Anspielung auf den 20%-Kursanstieg des Dow-Jones-Aktienindex während des 2. Golfkrieges aufgrund der Wertsteigerungen der US- Rüstungspapiere (zit. nach FR, 25.2.98). Ob sich die Generäle der Wall Street oder der UN- Generalsekretär in der Irak-Krise durchsetzen können, scheint derzeit offen.
Im Überlebensinteresse der notleidenden irakischen Bevölkerung muß endlich das Ende der UNSCOM- Arbeit von der Aufhebung des Embargos entkoppelt werden. „Jeden Monat stürben aufgrund der Sanktionen 4 000 bis 5 000 Kinder, sagte Holliday“ (FR, 1.10.98), der als UN-Koordinator des „Erdöl-für-Lebensmittel- Programms“ im September 98 mit vehementer Kritik am Embargo und an der UNO von seinem Posten zurücktrat. Das Leiden der irakischen Bevölkerung muß ein Ende haben.
Was derzeit fehlt, ist ein schlüssiges Nahost-Konzept für die Zukunft, wie es der Friedensforscher Johan Galtung bereits nach dem 2. Golfkrieg eingefordert hat. Dies wäre umso dringlicher, als eine ganze Reihe von Staaten des Nahen und Mittleren Ostens in den nächsten Jahren wegen Überalterung ihrer teilweise schon Jahrzehnte an der Macht befindlichen Regierungen einen Wechsel erleben werden. Sollte der Übergang nicht organisch und vor allem demokratisch verlaufen, sind schwerwiegende Konsequenzen für die internationalen Beziehungen schon jetzt vorhersehbar.
Sicherheit und Frieden wird es für alle Staaten des Nahen und Mittleren Ostens nicht gegeneinander geben können. Daher wäre eine Konferenz über eine ABC-Waffenfreie-Zone überfällig.