Rolf Cantzen, Bodo Dringenberg: Biere, Tiere, Anarchie. Jaroslav Hašek – mehr als Schwejk, Launenweber Verlag, Köln 2018, 176 S., 22 Euro, ISBN 978-3-9817920-9-6
Jaroslav Hašek (1883-1923), der Autor des bekannten „braven (in der neuen deutschen Übersetzung wörtlich, aber ironisch: „guten“) Soldaten Schwejk“, gilt heute als tschechischer Nationalschriftsteller. Doch das ist eine posthume Erscheinung. Tatsächlich war er lange Zeit in seinem Land ein Außenseiter, verfemt, weil er sich über alles lustig machte und besonders die satirische Technik der Überzeichnung meisterhaft beherrschte, um noch jeden Bürokraten oder jeden Vorgesetzten lächerlich zu machen und damit dessen Autorität bloßzustellen. Selbst ernst gemeinte Stellengesuche nach seinem Rauswurf aus dem Gymnasium – einem Rauswurf von vielen – schrieb er in solch satirischer Überzeichnung: „In tiefem Respekt erlaubt sich Unterzeichneter hiermit, die löbliche Direktion um die Erteilung einer Stelle bei der löblichen Bank zu ersuchen“ (S. 30). Lang blieb er auch dort nicht.
Schon beim Jugendlichen hörte man oft das „Melde gehorsamst…“ seines Spätwerks, dem „Schwejk“ heraus, den er ab 1920 zu schreiben begann und der aufgrund seines frühen Todes Anfang 1923 unvollendet blieb. Er schrieb Humoresken, Satiren, Kurzgeschichten gegen Kirche, Bürokratie und die Regierung des österreichischen Kaiserreiches, zu dem Prag damals gehörte.
Viele Jahre seines Jugend- und auch noch Erwachsenenlebens verbrachte er als Vagabund. Er war oft verwahrlost, wurde mehrfach verhaftet und hielt sich mit kleinen Honoraren aus seinen satirischen Texten, die er an alle Prager Zeitungen schickte, mehr schlecht als recht über Wasser. Ständig bat er seine Mutter um Geld. Auch in der anarchistischen Szene Prags trieb er sich herum und schrieb für anarchistische Zeitschriften.
Mit viel Witz und Ironie begleiten die Autoren Cantzen und Dringenberg Jaroslav Hašek durch sein turbulentes Leben, das viel zu früh endete. Eine von mehreren möglichen Todesursachen war notorischer Alkoholismus, Hašek schluckte zeitlebens zuviel Bier. Den Schwejk schreibend, dann – schreibunfähig geworden – diktierte er am Ende seines Lebens „abseits von Prag im tschechischen Dorf Lipnice, wobei wie immer, wenn er schrieb“, so die Autoren, „viel Bier floss. Zuletzt floss nichts mehr aus seiner Feder, nur noch Bier in ihn hinein“ (S. 117).
Diese Biografie Hašeks ist immer amüsant zu lesen, dabei äußerst materialreich. Gekonnt springen Cantzen/Dringenberg zwischen realem Lebensweg und literarischer Analyse hin und her. Besonders spannend fand ich das Kapitel über Hašeks gleichaltrigen libertären Weggefährten Franz Kafka, der ebenfalls 1883 in Prag geboren wurde und kurz nach Hašek, 1924, starb. Kafka schrieb in Deutsch, Hašek in Tschechisch; Kafka beschrieb den psychischen Horror und die Verstrickung in rechtlichen und institutionellen Verhältnissen, Hašek überzeichnete sie und machte sich über sie lustig; Kafka war als höherer Verwaltungsangestellter immer eine gepflegte Erscheinung und Antialkoholiker, Hašek wirkte heruntergekommen und versoffen – aber es gab auch viele Gemeinsamkeiten: Beide bewegten sich in der Prager anarchistischen Szene, verkehrten in denselben Kneipen und hatten in dem Anarchisten Michal Mareš einen gemeinsamen Freund – ein direkter Austausch zwischen Kafka und Hašek ist jedoch nicht belegt (S. 83f.).
Cantzen und Dringenberg weisen jedoch auf die ideologische Unzuverlässigkeit Hašeks hin. Für seine erste Geliebte Jarmila folgte er ohne Widerspruch der Weisung deren Vaters, für dessen Zustimmung zur Heirat das anarchistische Milieu nicht mehr zu frequentieren. Nur der Satire blieb Hašek für immer treu. Jarmila ließ an einer Stelle in die seelischen Abgründe Hašeks blicken, als sie meinte, die Satire Hašeks habe übertönt, „was in ihm weinte und stöhnte“ (S. 61).
Auch seine unhinterfragte Kriegsbeteiligung im Ersten Weltkrieg wirkt auf mich verstörend. Er wechselte schnell die Fronten von nationalistisch-tschechischen Truppen hin zur 5. Roten Armee der Bolschewiki. Er wird im Krieg zweimal wegen Tapferkeit ausgezeichnet – und das ist kein Witz (S. 91ff.)! An reale Kriegsdienstverweigerung schien er nicht gedacht zu haben. 1920 kehrte er als politisch Resignierter nach Prag in die nunmehr tschechoslowakische Republik zurück. Doch noch 1921 verteidigte er mit seiner typischen satirischen Überzeichnung Lenin gegen Vorwürfe, in der Sowjetunion werde viel gemordet. Hašeks Antwort: „Natürlich. Dort wird jeder, der noch lebt, umgebracht. Der letzte Bolschewik, der dies alles leitet, Lenin, wird in dem Augenblick, als er in Russland ganz allein dastehen wird, in den Gully springen und den Kanaldeckel hinter sich zuklappen“ (S. 110). So konnte sich auch die Satire à la Hašek am Ausgang des Ersten Weltkriegs opportunistisch und durch Überzeichnung in den Dienst einer autoritären Herrschaft stellen.