Gerald Grüneklee, Clemens Heni, Peter Nowak: Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik. Mit einem Geleitwort von Rebecca Niazi-Shahabi. Edition Critic, Berlin 2020, 190 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-946193-33-3
Die Corona-Maßnahmen der Regierung werden nicht nur von rechts kritisiert. Mit „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ haben Gerald Grüneklee, Clemens Heni und Peter Nowak Mitte Mai streitbare Thesen vorgelegt. Das Geleitwort zum Buch der drei Männer verfasste Rebecca Niazi-Shahabi, die sich gegen den „Gesundheitswahn“ und seine autoritären Folgen positioniert. Die Autoren schreiben an gegen eine „Panikmache“, die sie „für die größte Katastrophe“ seit 1945 halten, „schlimmer noch als der deutsche Herbst 1977“(1). Sie werfen der gesellschaftlichen Linken vor, mitzumachen und damit der extremen Rechten in die Hände zu spielen.
Gerald Grüneklee kritisiert blinden Gehorsam und beschreibt, wie vielen Bevölkerungsgruppen Schaden zugefügt wird, statt sie zu schützen. Viele würden gerne gehorchen und eine „neue Volksgemeinschaft“ fordere Ausgangssperren und Maskenpflicht. Gerade jetzt sei es jedoch wichtig, sich kollektiv „gegen die Zumutungen von Staat und Kapital“ zu wehren.
Als „Schwachsinn und Panikmache“ bezeichnet Clemens Heni Kita- und Schulschließungen. „Überwachen und Strafen, Gesundheit und Wahn“ lägen heute so nah beieinander wie noch nie zuvor. Er kritisiert, dass angesichts Corona sofort panisch gehandelt, jedoch nichts gegen die Klimakatastrophe getan würde. Kritik würde von extremen Rechten und Querfront-Medien okkupiert, und jederzeit könnten die Grundrechte entzogen werden. Die Maskenpflicht und deren Befolgung bezeichnet er als „Selbstfaschisierung“.
Demgegenüber äußert sich Peter Nowak differenzierter. Er kritisiert, dass die Gewerkschaft verdi wegen Corona alle Arbeitskämpfe absagt, und dass Einzelne über ihren Schutz nicht mehr selbst entscheiden dürfen. Es gäbe viele Krankheiten, die Arme und Schwächere treffen, warum wird gerade bei Corona ein Notstand ausgerufen? Die Rechte von Millionen Menschen würden eingeschränkt und die Panik nütze nur den politisch Rechten. Vorschlägen, einen solchen Notstand auch zur ökologischen Umgestaltung zu nutzen, erteilt er eine Abfuhr, denn der Staat sei kein Mittel zur Gesellschaftsveränderung. Die Grundrechte-Demonstrationen, bei denen er soziale Forderungen vermisst, sollten abgesagt werden, wenn sie die Rechten nicht draußen halten können.
Auch nach Monaten sind viele der hier angesprochenen Kritikpunkte nach wie vor wichtig und liefern Denkanstöße, die in den Corona-Debatten viel zu selten zu hören sind. Leider fehlt ein Blick auf die Opfer, die am Corona-Virus schwer erkrankt und gestorben sind. Etwas Mitgefühl mit deren Leiden hätte dem Buch gut getan. Jedoch schmälert dies nicht das Verdienst der Autoren und auch der Verfasserin des Geleitworts einen Beitrag geleistet zu haben für einen Suchprozess des Fragens und Infragestellens. Denn Demokratie bedeutet nicht, endgültige Wahrheit herauszufinden oder auf der (vermeintlich) richtigen Seite zu stehen, sondern sie ist ein Prozess der fortwährenden Abwägung unterschiedlicher Fakten und Meinungen. In diesem Prozess sollten auch die hier vorgelegten Stimmen gehört werden.