Martin Balluch: Im Untergrund. Ein Tierrechtsroman nach wahren Begebenheiten, ProMedia Verlag, Wien 2018, 439 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-85371-445-4
In den Libertären Buchseiten vom Oktober 2010 hatte ich Martin Balluchs Buch „Widerstand in der Demokratie“ besprochen und dabei Stellungnahmen kritisiert wie: „Das Gewaltmonopol (des Staates) ist grundsätzlich zu bejahen“, oder: „Genauso wie die AktivistInnen demokratiepolitisch zu Gewaltfreiheit verpflichtet sind, muss das auch die Exekutive sein.“ Letzteres aber ist eine demokratiepolitische Illusion, denn die Exekutive ist nie gewaltfrei.
Wenn man dieses Buch kennt, ist der vorliegende Tierrechtsroman über Balluchs aktive Zeit in der englischen Tierrechtsbewegung von 1989 bis 1997 zunächst überraschend, er erklärt aber die Genese des staatskonformen Verständnisses des zivilen Ungehorsams als Folge der Sackgassen, in die er sich in England treiben ließ, so dass er England klandestin verlassen und zurück in seine Heimat Österreich gehen musste, wo er nach wie vor im „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) aktiv ist.
In diesem spannend zu lesenden, in großen Teilen autobiografischen Tierrechtsroman „Im Untergrund“ – Balluch tritt als Protagonist „Paul“ auf – erinnert er sich an seine „wilde Zeit“. Wichtig für das Verständnis des Romans ist das Vorwort: „Die öffentliche Meinung, die Medien und die Justiz wurden ignoriert. (…) Man begann in einer abgeschlossenen Blase zu leben, die sich verselbständigte“ (S. 7). Balluch zeichnet seinen eigenen Weg des Tierbefreiers in der englischen ALF (Animal Liberation Front) nach. Er bietet Einblicke in die damalige Bewegung, die in England von Polizei und Staat mit den Mitteln der Terrorbekämpfung und harten Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren verfolgt wurde, im Falle von Barry Horne gar von 18 Jahren infolge von Brandstiftungen in Pelzgeschäften, bevor er nach 68-tägigem Hungerstreik verstarb. Die Aktionen der englischen Tierbefreier*innen richteten sich gegen Tierfabriken, die Fuchsjagden eines arroganten Adels und ihrer Schläger, gegen Abschüsse von Moorhühnern und Fasanen, Hetzjagden auf Mink-Pelztiere, Versuchstieranlagen von Beagle-Hunden, Katzen und Kaninchen.
„Paul“ bekommt anfangs in Cambridge an der Uni eine interessante Forschungsstelle zum Ozonloch, nimmt Kontakte zur Gruppe ARC (Animal Rights Cambridge) auf. Er schlittert in immer gewaltsamere Aktionszusammenhänge hinein, ein Prozess, den er als Radikalisierung beschreibt, den ich aber als Fanatisierung bezeichnen würde. Begriffe wie Gewaltfreiheit, „Friedlichkeit“, Legalität, Pazifismus werden dabei wahllos durcheinander geworfen, gleichzeitig herabgesetzt, weil die freie Abschussfahrt in die Gegengewalt dies notwendig macht, um die Abgrenzung zu rechtfertigen. Schließlich wird zu jeder von Jägern, Wildtierzirkusleuten, Versuchstierzüchtern und der Polizei erlittenen Gewalt gesagt, das wäre auch nicht vermieden worden, „wenn wir immer friedlich und unterwürfig geblieben wären“ (S. 429). Typisch für diese militante Perspektive ist diese Gleichsetzung von gewaltfreien Aktionen mit Friedlichkeit oder gar Unterwürfigkeit, wogegen dann generell Gegengewalt mit „Widerstand“ an sich gleichgesetzt und Gewaltfreiheit nicht mal mehr als Widerstandsform anerkannt, sondern nur mit legalen Demos identifiziert wird. Es ist leider die Anlage des Romans als Abschussfahrt in immer gewaltsamere Aktionen, die solch eine Perspektive auf gewaltfreie Aktion zustandekommen läßt – womöglich gegen den Willen des Autors.
Die brutalen Tierquälereien werden im Roman detailgetreu dargestellt und die Aktionsabläufe in kursiv gesetzter Schrifttype quasi in Echtzeit beschrieben. Man muss den Roman jedoch gegen den Strich dieser Abschussfahrt lesen, dann kommen die Probleme zum Vorschein, die „Paul“ andeutet, aber nie reflektiert: Deutlich wird, dass die ALF eine individualistische Trademark war, keine Organisation – wer die Aktionen macht, gibt sich selbst ohne basisdemokratische Absprache mit irgendeinem ALF-Kollektiv durch Sprayen oder Presseerklärung als Teil von ALF aus: „ALF was here!“ Ursprünglich hatte ALF eine gewaltfrei-anarchistische Programmatik, doch wenn die Aktiven nach einer Befreiungsaktion einen Aufruf zum „Rache nehmen“ (S. 352) ans Tierversuchslabor sprühen, wird die Ablehnung von Gewalt gegen Menschen unglaubwürdig. Die Aktionen wurden meist privat unter vier, fünf Freunden ausbaldowert, oft kannten sich die Aktivist*innen nicht, machten die Aktion mit schwarzen Sturmhauben anonym und trennten sich sofort wieder. Sonderkommissionen der Polizei infiltrierten die Szene leicht mit Spitzeln. Übrig blieb ein individualistischer Aktivismus, der dem sportlich durchtrainierten Hünen „Paul“ entgegenkam. Er überließ die anderen Aktivist*innen oft unsolidarisch der Polizeirepression, während er den Jägern oder Polizisten mit seiner Ausdauer davonrannte. „Paul“ merkt dabei vor lauter Beschreibung der Polizeibrutalität gar nicht mehr, dass die englische Polizei ihm bei seinem erfolgreichen Davonlaufen nie in den Rücken schoss, wie es die französische Polizei jederzeit mit Kautschuk-Granaten und die US-Polizei mit Schusswaffen tun würde.
Während „Paul“ seine Empathie mit Eddy, einem verletzten Fuchs, den die Jagdgesellschaft sogar noch aus dem Wildtierspital entführt und tötet, ausführlich beschreibt, lässt er solche Empathie bei Menschen, die er in physischen Schlachten, etwa bei einer Mink-Jagdgesellschaft, angreift, zunehmend vermissen: „Ich hole aus und schlage ihm (einem Jäger) mit großer Wucht den Stein auf den Hinterkopf. Er stürzt nach vorn wie bewusstlos um“ (S. 239). Außer der Rechtfertigung, das sei Notwehr gewesen, fragt sich Paul im Verlauf des Romans nie mehr, was denn aus dem Getroffenen nun geworden ist, ob er überlebt hat oder nicht – ganz anders aber bei verletzten oder gequälten Tieren, wo die Folgen der Käfighaltung über Seiten mit emotionaler Hingabe beschrieben werden.
In Tierbefreiungszusammenhängen gibt es einen militanten Teil, der sich gegen Gewalt gegen Tiere mit großen Risiken engagiert, dabei aber jederzeit Rechtfertigungen für Gewalt gegen Menschen findet. Es findet da eine unreflektierte ethische Verkehrung statt. Eine Folge davon, die im Roman angesprochen wird, ist der hohe Durchlauf der Aktivist*innen und ihre schnelle Fanatisierung. Im Schnitt hielten es die meist sehr jungen Aktivist*innen bei ALF gerade mal ein Jahr lang aus (S. 289), dann waren sie schon wieder weg (oder tot oder im Knast). Balluch/„Paul“ mit seinen acht aktiven Jahren war da die Ausnahme.
In den erzählten Aktionen wiederholen sich Szenen, in denen „Paul“ immer nur rennt. Sein sportliches Gehabe nimmt patriarchalische und bodyistische Züge an, wenn er sich ständig über zu dicke oder nicht austrainierte Aktivist*innen aufregt, die nicht so schnell rennen können wie er. Besonders übel das explizite Sizeism nach so einem Gerenne: „‚Ich sage ja’, meine ich, ‚man muss fit sein für die Jagdsabotage. Leider geht niemand mit mir trainieren.’ (…) Molly schaut in die andere Richtung. Offenbar will sie sich nicht angesprochen fühlen. (Sie) rennt praktisch nie. Sie ist auch etwas wohlbeleibt.“ Und sie heißt auch noch „Molly“ (S. 200)! Es wird ein physisch-elitärer Habitus verherrlicht, wie ich ihn von autonomen Schlachtenritualen mit der Polizei kennen und ablehnen gelernt habe.
Es ehrt Balluch, dass er im Roman an einigen wenigen Stellen Kritik an diesem Habitus referiert. Mitaktivist Tony schreit ihn bei einer Aktion an: „Paul, du wirst jetzt nicht abhauen und uns alleine lassen, du Arschloch! (S. 384)“ Und an einer anderen Stelle, als die Hochzeit einer Tierrechtsaktivistin in eine peinliche Schlägerei mit Fleischessern ausartet: „Durch diese ständige Gewalt, die wir bei unseren Jagdsabotageaktionen erlebten, war ich schneller bereit, zuzuschlagen, als ich das sonst gewesen wäre. Meine Persönlichkeit hatte sich verändert“ (S. 321).
Der Roman bringt viele Facetten des englischen Tierbefreiungsaktivismus dieser Jahre zum Ausdruck, das ist seine Stärke. Doch die gewaltfreie Aktion geht mit ihrem radikalen Potential dabei unter. Immer wieder wird sie als nicht effizient dargestellt und basisdemokratische, kollektive Prozesse nach innen bleiben umso mehr auf der Strecke, als der anonymisierte, einzelkämpferische Militanzfetischismus sich durchsetzt. Nur Molly thematisiert kurz das Konzept der „Affinity groups“ (S. 196), Paul interessiert es nicht.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen muss dann die spätere Verbandsobmann-Tätigkeit Balluchs beim VGT nach seiner Rückkehr nach Österreich gesehen werden. Das schlägt nun um in eine falsche, staatsrechtskonforme Pseudo-Gewaltfreiheit und den erschreckend – vor allem vor dem Hintergrund seiner Erfahrung in England – naiven Versuch, die staatliche Exekutive auf Gewaltfreiheit festlegen zu wollen.