Das Konzept der 'temporären autonomen Zone' - kurz T.A.Z. - geistert seit einiger Zeit durch die Bewegung und liegt - oft unausgesprochen - Aktionen wie z.B. 'Reclaim the Streets' zugrunde. Doch was sich hinter T.A.Z. eigentlich verbirgt, ist wenig bekannt, Ein Überblick. (Red.)
Fast acht Jahre ist es her, daß Bey’s erstes Buch mit dem wunderlichen Titel „T.A.Z.: Die temporäre autonome Zone und Ontologischer Anarchismus“ als neuer Underground-Klassiker Kultstatus erreichte. Die „Pflichtlektüre für Anarcho-Dandys“ mit Manifestcharakter stillt seitdem das Legitimationsbedürfnis einer neuen Widerstandskultur, die eher auf Diskontinuität und Direktheit, auf Spontaneität und Spaß setzt, als auf großangelegte Strategien und Kulturkritik. Die erlebnisorientierten Protestler haben scheinbar ihren Theoretiker gefunden, für den „langweilig“ ein fürchterliches Schimpfwort ist, und der auf schwarzroten Flaggen das Motto: „Fight for your Right to Party“ postuliert. Mit einem Programm, dessen Kernpunkte eine erneute Vermittlung von Widerstand und Kunst, schrankenlose Selbstverwirklichung und individuellem Spriritualismus sind, begeistert er die LeserInnen – oder schockiert. Im Kontrast zur ‚moralisierenden‘ Linken („Those bitchy Leftists !“ H.B.), ruft er nach Immoralität (juristisch, sexuell oder sonstwie), die keineswegs menschenfeindlich ist, aber durchaus obzön sein kann: Pornographie statt Political Correctness. Seine anhaltende (und wachsende) Popularität verdankt Bey zu einem großen Teil dem Internet, wo praktisch alle seine Texte umgehend veröffentlicht werden, vermutlich, weil er das Netz nicht ausschließlich als kommerzielle Werbefläche und Spielwiese für ältere Kinder betrachtet, sondern als potentielle Waffe für die libertäre Sache.
Seine Essays sind gelehrt & poetisch, clever & kindisch, philosophisch & unterhaltsam und schweifen oft ins religiöse, manchmal auch kitschige ab. So wirr wie es klingt, liest es sich dann auch, so daß die Texte weniger argumentativ überzeugen, als durch ihre poetische Vitalität faszinieren. Doch die Frage ist, welche Perspektiven er wirklich entwirft, und welche Strategien politischen Handelns er vorschlägt. Darum soll es hier gehen.
Die TAZ
„Die temporäre autonomen Zone ist […] ein Palimpsest aller utopischen Theorien und Begierden. Sie schafft die Matrix einer anti-autoritären Bewegung, in der es möglich ist das ganze Durcheinander anarchistischer, libertärer, syndicalistischer, anarcho-kommunistischer, post-situationistischer Tendenzen zusammenzuklumpen. Diese Vereinigung des nicht Einheitlichen wird nicht von Idiologie getrieben, sondern von einer Art aufständischen Krachs oder Chaos der Revolte, der Verneinung und der Offenbarung. Hundert, tausend Blumen des Widerstands, der Verschiedenheit, des nicht-ordinären Bewußtseins werden blühen – der Wille zur Macht als Andersartigkeit.“
Die TAZ ist Widerstand ohne „lanweilige“ basispolitische Arbeit oder das Warten auf die Revolution, sondern als spontaner Aufstand, als plötzliche Insurrektion. Sie kann die verschiedensten Formen annehmen, von der Party zur Hausbesetzung oder Kommune beschreibt sie jede Form der zeitweiligen Autonomie, des miteinander-(er)lebens außerhalb des gesellschaftlichen Konsens. Bey will sie nicht als neues politisches Konzept verstanden wissen, denn „zu jeder Zeit gab es temporäre autonome Zonen, und es wird sie immer geben“, doch gerade in einer Zeit des „omnipräsenten Staates“ sieht er sie als wichtigste Manifestation des Widerstands an. Statt einem „geistigen Festhalten am Idealen“ oder der bloßen „Empörung über unser Opferdasein“ will er die Revolte direkt, wenn auch nur für kurze Zeit, verwirklicht sehen. „Also – die Revolution ist zuende, der Aufstand allerdings möglich. Wir konzentrieren unsere Kraft auf temporäre Machtwellen und vermeiden jegliche Verwicklung in permanente Lösungen.“ Er schlägt vor, der Gewalt des Staates auszuweichen, sich auf keine Konfrontation und damit sinnloses Märtyrertum einzulassen. Die größte Stärke der TAZ soll ihre Unsichtbarkeit sein, sie soll nicht zu fassen und nicht zu definieren sein, „irgendwo in den Spalten und Rissen des Monolithen aufflammen“, nur um wieder zu verschwinden, wenn sie die Aufmerksamkeit der Medien oder Repressionen des Staates auf sich zieht. Statt sich auf einen ungleichen Kampf einzulassen, schlägt er eine Taktik des Verschwindens vor, die „virtuelle Unsichtbarkeit“.
Auf der Suche nach einem erfüllteren und intensiverem Leben, strebt er die perfekte Symbiose von Protest und Selbstverwirklichung an, „das Festival als Wider- und Aufstand, beides in Einem, als die wirkliche Bedeutung und innere Struktur der Autonomie“. Anarchie als ekstatische Philosophie, als „Steigerung des Lebens“, statt Verfolgung realpolitischer Ziele. Bey steht ganz in Individual-anarchistischer Tradition, knüpft an Stirner und Nietzsche an, sucht aber gleichzeitig die Gemeinschaft, die Vereinigung mit Gleichgesinnten. „Die Autonomie des Individuums erscheint komplementiert und vergrößert in der Bewegung der Gruppe; während die Effektivität der Gruppe von der Autonomie der Individuen abhängt.“
Trotz seiner Erlebnisorientiertheit wäre es falsch, Bey als reinen Party-Anarchisten zu outen und aus der Diskussion zu werfen. Sein Konzept der temporären autonomen Zone umfaßt mehr als eine verbotene (oder erlaubte) Fete auf der nächsten Kreuzung oder illegale Drogen-Orgien in dunklen Kellern. Neben der angestrebten psychologischen Befreiung mit dem gefährlichen Slogan ENTDECKE DEINE WAHREN BEDÜRFNISSE! (und lebe sie aus!!), die ohne Zweifel wenigstens zu einem Teil nur hedonistisches Geschwätz ist, gibt er auch einige Anregungen, die wenigstens zu diskutieren wären.
Die Neue Unmittelbarkeit
Bey vertritt die Meinung, daß jede politische Tat mit dem Ziel identisch sein sollte und zumindest teilweise das anvisierte Ziel realisieren muß, um erfolgreich zu sein. Das entscheidende und wirkungsvolle ist die direkte Aktion und nicht deren Rezeption in den Medien, die, wenn irgend möglich sogar ganz zu vermeiden ist. Er kritisiert die alte Taktik der Konfrontation & bestmöglichen Vermarktung in den Massenmedien und weißt darauf hin, daß mediale Präsenz keine Wirksamkeit garantiert, sondern eher kontraproduktiv ist. „Wenn etwas repräsentiert wird, verwandelt es sich in ein Bild von sich selbst, semiotisch reicher, aber existentiell verarmt, verfremdet, aus sich selbst herausgezogen und abgeschwächt – eine potentielle Ware.“ Politische Aktionen müssen an empirischen Zielen orientiert sein, um wirklichen Erfolg zu haben. Presse und Fernsehen würden nur einen schiefen Schatten der Wirklichkeit liefern und in illusionärer Objektivität Widerstand vermarkten, Widerstand, der zur Ware und zum Bild erstarrt ist wenn er den Nachrichtenkonsumenten erreicht hat. Statt zu überzeugen wird dieses „verzerrte Bild des Rebellen“ nur auf Mißverständnis und Ablehnung stoßen, ob es sich um einzelne kleinere Aktionen oder Demonstrationen handelt. „Ich persönlich denke, das der einzige Effekt einer Demonstation die Befriedigung ist rauszugehen und ein bißchen zu schreien. Ich denke nicht, daß es irgendetwas bewegt, und ein perfektes Beispiel wie nichts erreicht wird, ist der letzte Golf-Krieg. Früher dachte jeder, daß wenn die Demo in den Abendnachrichten war, dann war sie erfolgreich. Vielleicht war das einmal richtig; ist es jetzt aber sicherlich nicht mehr. Das beste was passieren kann, ist das sie sagen werden: Und jetzt hören wir den Standpunkt der anderen Seite. Was bist du dann? Die andere Seite. Wir sollten die Seite sein. […] Wenn wir all die Anstrengung, die die Linken in Demos investiert haben, in eine Untergrund- Ökonomie gesteckt hätten, dann hätten wir „die Revolution“ schon lange verwirklicht.“ Bey stellt die These in den Raum, das es wichtiger sei, sich heimlich, unmittelbar, und direkt zu vernetzen, als eine sinnlose Medienpräsenz zu waren und sich bestenfalls, wenn es nicht „physisch“ möglich ist, mit intimen Medien z.B. Post, Telefon, oder Internet zu verständigen.
Das Netz und das Internet
Natürlich zielt eine Vernetzung darauf ab, sich gegenseitig zu informieren, gleichgesinnte kennenzulernen, gemeinsam Projekte zu planen. Aber letztendlich ist die TAZ wirklich und physisch, sie verlangt Unmittelbarkeit und Körperlichkeit. Das Netz kann nur ein Werkzeug sein, um das Potential für das Entstehen echter Autonomie, echtem Miteinander-leben zu maximieren. Die Hauptaufgabe eines funktionierenden Netzes sollte es sein, gegenseitige Hilfe, besonders in materieller Hinsicht, zu ermöglichen. Es ist die Suche nach einer alternativen Ökonomie, die eine (wenigstens zeitweilige) Abkoppelung von der Warenwelt ermöglicht. Bey schlägt vor, bestehende Gütertauschsysteme (z.B. Barter, Tauschringe …) auszuweiten und besser zu vernetzen, z.B. durch das Internet. „Was wir brauchen, ist eine Verbindung zwischen dem Internet und der wirklichen Welt. Wenn ich irgendetwas anbaue und es tauschen möchte, z.B. Schinken, warum kann ich das immer noch nicht durch das Internet?“ Das Internet ist nur als Chance zu begreifen, als Werkzeug die Autonomie einzelner Gruppen oder Lebensgemeinschaften voranzutreiben. Es sollte benutzt werden, weil es nunmal existiert, und solange genutzt werden, wie es sich als wirksam erweist ein selbstbestimmtes und freieres Leben zu ermöglichen. Die Frage, die immer wieder gestellt werden muß, und nicht ideologisch einseitig beantwortet werden darf ist: Inwieweit dient das Internet unserer „Selbstermächtigung“ und fördert unsere Unabhängigkeit vom kommerziellen Moloch?
Als Grund dafür, warum das Internet genau diese Funktion im Moment noch nicht erfüllt, meint Bey die „falsche Transzendenz“ des Internets ausgemacht zu haben. „Als am beunruhigensten empfinden wir die gnostische Qualität des Internets, seine Tendenz den Körper auszuschließen, sein Versprechen der technologischen Transzendenz des Fleisches. Auch wenn einige Leute sich durch das Netz getroffen haben, geht die generelle Bewegung eher in Richtung Atomisierung – zusammengesunken, allein vor der Scheibe zu sitzen.“ Es ist die Trennung von Körper und Geist, von Intellekt und körperlicher Begierde, die Bey als Grund für das bisherige Versagen des Internets (mit)verantwortlich macht. Sollte es allerdings möglich sein die anarchische und egalitäre Struktur des Netzes aufrechtzuerhalten oder zu vergrößern, so könnte es dennoch potentielle Waffe im Kampf für ein emanzipiertes, freieres Leben sein. „Ich denke das Internet ist immernoch in eiem sehr chaotischen Zustand, und wert darum zu kämpfen.“
Religion und Revolution
Eine nicht zu überschätzende Rolle in Beys Denken spielt die Religion. Er sieht sich selbst in der Tradition islamischer Häretiker, und hat auch eine Studie über dieses Thema verfaßt (unter seinem bürgerlichen Namen: Peter Lamborn Wilson: Ketzerei im Islam). Immer wieder berühren seine Essays theologische oder philosophische Fragen, die seinen politischen Anschauungen als lebensanschauliches Fundament dienen. Es sind die befreienden Potentiale verschiedener religiöser Traditionen die seine Essays auf die verschiedensten Arten inspirieren.
„Jede Idee (oder Ideologie) die nicht unter das kapitalistische ‚Ende der Geschichte‘ subsumiert werden kann ist dem Untergang geweiht. … Mit ziemlicher Sicherheit gilt das auch für für die Wieder-verbindung (Religio) des Bewußtseins mit dem Geist als nicht vermittelte Selbstbestimmung und Werte-Kreation – das ursprüngliche Ziel jedes Rituals oder jeder Anbetung.“ Als Folge dessen erkennt Bey in Religionen ein Widerstandspotential gegen die nihilistische Tendenz verabsolutierter Marktmechanismen, sprich: Spiritualität und freie Religionen haben für ihn immer eine antikapitalistische Tendenz. „Die Religionen von heute sehen sich einer neuen Dichotomie gegenüber: Totale Kapitulation, oder Revolte.“ Und seine Forderung an die Libertären/Linken ist, diese neue Ausgangssituation zu verstehen und ihr Verhältnis zur Religion neu zu bestimmen. In einer Welt in der das Kapital die bestimmende Kraft ist, müsse sich eine Allianz der Tendenzen ausbilden, die ihrer Natur nach nicht von der „Einen Welt“ des ökonomischen Kalküls absorbiert werden können.
Und hier ist das Zentrum von Beys anarchistischem Glaubensbekenntnis. Die Vereinigung des nicht Einheitlichen um für die Verschiedenheit zu kämpfen.
„Der Widerstand verlangt ein Vokabular, in welchem unsere gemeinsame Sache diskutiert werden kann, … und selbst dann würden wir immer noch weit von einem konkreten Aktionsplan entfernt sein. … Die neue Totalität und ihre Medien scheinen alles zu durchdringen, und alle Programme revolutionären Inhalts schon im Vorfeld scheitern zu lassen, weil jede Nachricht selber Teil des Mediums, selber Teil des Kapitals ist. Natürlich ist die Situation hoffnungslos – aber nur Dummheit könnte das für einen Grund zum Verzweifeln halten oder für die endgültige Langeweile der Niederlage.“
Sämtliche Essays & einige Interviews mit Hakim Bey (oder Peter Lamborn Wilson) sind im Internet unter zahlreichen Adressen vorhanden.
Auf Deutsch und in Buchform sind erschienen:
TAZ Die temporäre autonome Zone, Edition ID-Archiv, 1996
Radio Sermonettes (Immediatism), Edition Selene, 1996
Peter L. Wilson: Ketzerei im Islam, Edition Selene, 1997
Peter L. Wilson: Engel, Urania Mini-Bibliothek, 1996