Nach einer antimilitaristischen Kampagne hat der größte Spielzeughersteller der Welt – LEGO® – den Verkauf seines ersten modernen Militärsets, für das noch dazu mit Rüstungsfirmen kooperiert wurde, abgesagt.
Im Materialversand der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner-Innen“ (DFG-VK) gibt es ein DIN-A2 großes Plakat, auf dem schwarz-weiß ein kleines, gezeichnetes Kind zu sehen ist, das auf einer Wiese eine Blume pflückt – von der linken Seite hält eine Hand dem Kind einen Revolver an den Kopf: „Kauf kein Kriegspielzeug – Krieg ist kein Kinderspiel“ steht oben auf dem Plakat. Bestellt wird das Plakat – trotz niedrigen Preises von 50 Cent – kaum. Das liegt wohl an der altmodischen Aufmachung – aber noch viel mehr am Inhalt. „Kriegsspielzeug“ ist kein Thema gesellschaftlicher – oder linker – Debatten (mehr). Dabei sind Plastikrevolver in jedem größeren Spielzeugladen zu bekommen und Videospiele, die Krieg und Gewalt thematisieren, erfreuen sich gerade bei jungen Menschen großer Beliebtheit (und sind immer nur für Erwachsene freigegeben). Einerseits scheint der politische Kampf für Gewaltfreiheit in diesem Bereich aufgegeben worden zu sein, andererseits weiß man mittlerweile, dass es nicht zwangsläufig einen Zusammenhang zwischen dem Spielen mit Kriegsspielzeug in jungen Jahren und der realen Ausübung physischer Gewalt gibt. Obwohl sich etwa Videospiele, die Gewalt zelebrieren, großer Beliebtheit erfreuen, ist die Gesamtgesellschaft relativ gewaltfrei. Viel mehr scheinen soziale Ungleichheit und Chancenlosigkeit – das Gefühl abgehängt zu sein – Auslöser von Gewalt bei jungen Menschen zu sein. Klar ist dennoch: Friedlicher wird die Welt – und die Erziehung junger Menschen – durch Kriegsspielzeug nicht.
Die Grundsätze
Umso erfreulicher ist es, dass der mit einem Wert von 5,8 Milliarden Euro mit Abstand wertvollste Spielwarenhersteller der Welt – der dänische LEGO®-Konzern – zu diesem Thema Grundsätze hat. Der Gründer des Konzerns, der allein 2019 einen Nettogewinn von 1,1 Milliarden Euro hatte, hatten den Zweiten Weltkrieg miterlebt und legten fest, dass ihr Unternehmen kein Kriegsspielzeug herstellen soll. LEGO® hat seine Leitwerte, zu denen etwa die „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen gehören, in vielen Berichten und auf ihren Websites ausformuliert. 2010 formulierte LEGO® eine Richtlinie zum Umgang mit Waffen und Militär und schrieb dazu in seinem Fortschrittsbericht:
„Das grundlegende Ziel ist es, realistische Waffen und Militärausrüstung zu vermeiden, die Kinder aus Brennpunkten auf der ganzen Welt kennen könnten, und bei der Kommunikation von LEGO-Produkten von gewalttätigen oder beängstigenden Situationen abzusehen. Gleichzeitig soll die Marke LEGO nicht mit Themen in Verbindung gebracht werden, die Konflikte und unethisches oder schädliches Verhalten verherrlichen.“
Die hohen Werte des Spielzeugherstellers sind aber Angriffen ausgesetzt. Bereits 1999 nahm LEGO® (damals in schwerer wirtschaftlicher Krise) das Lizenzthema StarWars® ins Programm auf – und damit zumindest fiktionales Militärgerät. Piraten gab es bereits in den 1980er-Jahren und Indianer, Banditen und Kavallerie-Soldaten in den 1990er-Jahren. 2001, 2002 und 2012 erschienen sogar Modelle von Jagdflugzeugen aus dem Ersten Weltkrieg – darunter eine „Fokker Dr. I“ des mittlerweile von Historiker*innen kontrovers betrachteten „Roten Baron“ Manfred von Richthofen. Und in einigen Sets zu den Indiana Jones®-Filmen gab es de facto sogar Wehrmachts-Soldaten. Dennoch: Trotz eines sehr lukrativen Markts für Militär-Klemmbausteinsets (der polnische LEGO®-Konkurrent COBI®, der solche Sets produziert, verzeichnet starkes Wachstum), gibt es von LEGO® keine Sets, die reales Militärgerät der Gegenwart und nahen Vergangenheit (mit Ausnahme der oben erwähnten Soldaten) darstellen. Das hätte sich vor kurzem aber fast geändert.
Das LEGO®-„Osprey“-Set stellte einen klaren Verstoß gegen die Grundsätze des Spielzeugherstellers dar, keine realen Militärfahrzeuge herzustellen. Ob es dabei tatsächlich nur die DFG-VK-Kampagne war, die das Spielzeugunternehmen zu dem radikalen Schritt das Set zurückzuziehen, ist unbekannt – leise Kritik an dem Militärset gab es bereits seit der Spielwarenmesse im Januar von LEGO®-Fans und mittlerweile wurden (bei „Osprey“-Sets, die einige wenige Käufer*innen trotzdem ergattern konnten) auch Qualitätsprobleme mit Zahnrädern in dem „Technic“-Set bekannt.
Das Militärflugzeug
Denn am 1. August 2020 wollte LEGO® eigentlich das Set „Technic 42113 Bell-Boeing V-22 Osprey“. Die „Osprey“ ist ein modernes Kipprotorflugzeug, welches von der US-Armee (400 Exemplare) und in geringerem Maße von der japanischen Armee (17 Maschinen bestellt) eingesetzt wird. Zivile Nutzer*innen gibt es nicht. Bei der US-Armee sind die Flugzeuge in allen Einsätzen mit dabei – etwa in Afghanistan, Mali und im Jemen. Besonders für Kommandoaktionen werden die senkrecht startenden und landenden „V-22“ verwendet. Dabei kam es bei US-Einsätzen auch nachweislich schon zu zivilen Toten – selbst Kinder waren unter den Opfern. Die „Osprey“ ist meist mit einem Maschinengewehr bewaffnet, es gibt aber auch Versionen mit schwereren Waffen wie einer „Minigun“ und Pläne das Flugzeug mit Raketen auszurüsten. Nicht nur wäre das „Osprey“-Set das erste moderne Militärmodell des dänischen Spielzeugherstellers gewesen, es sollte auch mit Lizenzen der US-Konzerne Boeing® und Bell®, der realen Hersteller der „Osprey“, verkauft werden – wahrscheinlich wären dann auch Lizenzgebühren an die beiden Rüstungshersteller geflossen. Boeing® ist laut dem „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) mit Rüstungsverkäufen von 26,08 Milliarden Euro im Jahr 2018 der zweitgrößte Rüstungskonzern der Welt. Bell® bzw. dessen Mutterkonzern Textron® liegt auf Platz 27. Gründe genug, um zu intervenieren.
Die Kampagne
Bereits die Ankündigung des neuen LEGO®-Sets auf der Nürnberger Spielwarenmesse im Januar 2020 blieb nicht unbemerkt – einige Fanmedien berichteten verwundert über das geplante Militärset, ohne dies aber grundlegend zu kritisieren. Von der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK) suchten wir den Kontakt zu LEGO®, um die Veröffentlichung des Sets abzuwenden. Unsere Einschreiben kamen zwar am Sitz des Spielzeugherstellers in Billund an, eine Reaktion erhielten wir aber nicht. Da der Veröffentlichungstermin des „Osprey“-Sets näher rückte – das Modell auch im Katalog von LEGO® mit Bildern angekündigt wurde –, wurde vom DFG-VK Bundesverband beschlossen mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen: Eine kleine Kampagne wurde geplant. Kernelement und inhaltlicher Unterbau dabei war eine 16-seitige Studie über die LEGO®-„Osprey“, ihr reales Vorbild und die bisherigen Grundsätze des Spielzeugherstellers. Die Broschüre wie auch weitere Materialien – ein FacSheet sowie Aufkleber und Plakate – erscheinen jeweils auf Deutsch und Englisch. Da der dänische Spielzeughersteller weltweit agiert, musste auch die Kampagne international sein. Auch online gab es daher eine deutsche – auf www.lovebricks-hatewar.de – und eine englischsprachige – www.lovebricks-hatewar.com – Website samt Teaser-Videos. Auch eine Petition auf „Change.org“ wurde aufgesetzt. Die Forderung dabei war nicht, dass Set nicht mehr zu veröffentlichen – das wurde für unrealistisch gehalten, da die Sets lange im Voraus produziert und ausgeliefert werden –, sondern in Zukunft keine weiteren Militärsets zu veröffentlichen und keine weiteren Kooperationen mit Rüstungsherstellern einzugehen.
Am 20. Juli 2020 um 11 Uhr war der offizielle Startschuss unserer LEGO®-Kampagne: Dann sollte eine bildstarke Aktion mit einem großen PEACE-Zeichen aus Klemmbausteinen und einer als Soldat verkleideten LEGO®-Figur vor dem offiziellen LEGO®-Store in Berlin stattfinden. Dazu war auch die Presse eingeladen, der in der Woche zuvor bereits die Studie und weitere Materialien zugeschickt wurden – mit Folgen: Durch Nachfragen der Presse bei LEGO® hatte das Unternehmen mittlerweile von der Kampagne Wind bekommen und nahm dazu kurzerhand um 8.48 Uhr – also kurz vor der Aktion in Berlin – Stellung:
„Wir nehmen Ihren Standpunkt und Ihre Anmerkungen sehr ernst und möchten Ihnen die offizielle Stellungnahme der LEGO Gruppe zukommen lassen: Das LEGO Technic Set Bell Boeing V-22 Osprey wurde von uns bezogen auf Einsätze des Flugzeugs bei Rettungsaktionen entwickelt. Vorwiegend wird das Flugzeug jedoch militärisch genutzt. Wir verfolgen bereits seit langem den Grundsatz, keine Sets mit Militärfahrzeugen zu gestalten. In diesem Fall haben wir uns nicht strikt an unsere eigenen Richtlinien und hohen Standards gehalten und werden daher die Pläne zur Einführung des Produkts am 1. August überprüfen.“
Das Statement war gleichzeitig das erste Mal, dass LEGO® auf die DFG-VK reagiert hat – spät, überraschend aber kein Grund die geplante Aktion abzusagen. Denn das Interesse der Medien wuchs dadurch noch – es gab unzählige Presseanfragen. Vor allem LEGO®-Fanmedien berichteten ausführlich und kontrovers. Und so wurde nicht nur die Aktion in Berlin durchgeführt, sondern am 21. Juli auch noch eine vor dem LEGO®-Store in Hamburg. Auch eine Aktion vor dem Store in Frankfurt am Main war noch geplant – zu der kam es aber nicht mehr. Am 21. Juli um 16.52 Uhr schrieb LEGO®, dass sie das Set nicht lancieren werden und verbreitete ein öffentliches Statement:
„Wir verfolgen seit langem die Politik, keine Sets mit echten Militärfahrzeugen zu erstellen, daher wurde beschlossen, dieses Produkt nicht auf den Markt zu bringen. Wir verstehen, dass einige Fans, die sich auf dieses Set gefreut haben, enttäuscht sein könnten, aber wir halten es für wichtig, dass wir unsere Markenwerte aufrechterhalten.“
Nur 30 Stunden nach dem Startschuss war die LEGO®-Kampagne der DFG-VK damit beendet. Nichtmal zwei Wochen vor Veröffentlichung zog LEGO® das Militärset, welches teilweise schon an Händler*innen ausgeliefert wurde, zurück. Die Kosten dafür dürften erheblich gewesen sein. Das mediale Interesse steigerte das sogar noch: Es gab Berichte über die Kampagne der „German Peace Society – United War Resisters“ in Medien in u.a. Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Hongkong/China, Indonesien, Island, Italien, Japan, den Niederlanden, Pakistan, Polen, Russland, Tschechien, Ungarn und den USA. In Deutschland berichteten selbst Lokalzeitungen über den Fall. Und YouTube-Videos über das „Osprey“-Set erreichten teilweise über 300.000 Aufrufe.
Das Fazit
Die Faktenlage war eindeutig: Das LEGO®-„Osprey“-Set stellte einen klaren Verstoß gegen die Grundsätze des Spielzeugherstellers dar, keine realen Militärfahrzeuge herzustellen. Ob es dabei tatsächlich nur die DFG-VK-Kampagne war, die das Spielzeugunternehmen zu dem radikalen Schritt das Set zurückzuziehen, ist unbekannt – leise Kritik an dem Militärset gab es bereits seit der Spielwarenmesse im Januar von LEGO®-Fans und mittlerweile wurden (bei „Osprey“-Sets, die einige wenige Käufer*innen trotzdem ergattern konnten) auch Qualitätsprobleme mit Zahnrädern in dem „Technic“-Set bekannt. Doch egal, ob es diese Gründe waren und die DFG-VK-Kampagne nur der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, das Militärset wurde verhindert und durch die in der Debatte öffentlich verkündeten Statements hat sich LEGO® verpflichtet seine militärkritische Richtline stärker zu beachten. Zumindest erst einmal kann man das Spielzeug aus Billund weiter – aus militärkritischer Sicht – relativ bedenkenlos kaufen. Der aktuelle Fall zeigt aber, dass die Grundsätze und Werte von LEGO® „unter Beschuss“ stehen. Zwar hält die Gründer-Familie Kristiansen noch heute 75 Prozent der Anteile an LEGO® (die anderen 25 Prozent gehören der LEGO®-Foundation, die u.a. Bildungs- und Entwicklungsprogramme auflegt), dennoch macht der kapitalistische Druck auch vor dem Spielzeugunternehmen nicht halt: Die Konkurrenz im Klemmbausteinmarkt wächst seit einigen Jahren rasant – noch ist LEGO® mit weitem Abstand Marktführer, doch Hersteller wie COBI® aus Polen oder Xingbao® aus China sorgen zunehmend für Konkurrenz und machen dabei vor allem mit Militärsets große Umsatz. Die Nachfrage scheint durchaus vorhanden zu sein – auf der anderen Seite kaufen viele Eltern ihren Kindern LEGO® eben weil es ein Unternehmen mit hohen Werten ist. Die Auseinandersetzung läuft – gewaltfreie und antimilitaristische Gruppen sollten Kriegsspielzeug wieder mehr im Blick haben. Das geht auch ohne Alarmismus.
Michael Schulze von Glaßer
Michi ist politischer Geschäftsführer der DFG-VK und Beirat der Informationsstelle Militarisierung. Er war GWR-Praktikant und Redakteur der graswurzelrevolutionären Jugendzeitung Utopia.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.