Der Ökoanarchismus gilt als relativ junge Strömung innerhalb des Anarchismus. Als philosophische Vordenker gelten, je nach Lesart, z.B. den Amerikaner Henry David Thoreau (Walden), der englische Frühsozialist William Morris (Neuigkeiten vom Nirgendwo) oder der französische Geologe und Vegetarier Elisée Reclus. Unstrittig dürfte sein, dass die Schriften des 1921 als Sohn russisch-jüdischer Migrannt*innen in New York City geborene Murray Bookchin (* 1921; + 2006) und seiner Mitstreiterin Janet Biehl (* 1953) maßgeblichen Einfluss auf die moderne Variante des Ökoanarchismus – in Form der libertären Sozialökologie – hatten und haben.
Murray Bookchin wird in den Kreisen der kommunistischen Jugend sozialisiert und meldet sich aus einer Mischung von ideologischer Überzeugung und jugendlichen Abenteuerdrang für die Internationalen Brigaden. Aufgrund seines jungen Alters wird er aber abgelehnt. Dennoch bleibt der spanische Bürgerkrieg sowie die zeitgleich stattfindende soziale Revolution eine wichtige Referenz für sein Denken – z.B. The Spanish Anarchists. Die Auseinandersetzung mit dem Anarchismus in Spanien hat wesentlichen Einfluss auf seine Abwendung vom (Staats-)Kommunismus hin zum Anarchismus. Während er sein Leben lang an den ökonomischen Analysen von Karl Marx festhält – vielleicht auch bestärkt durch seine Lektüre grundlegender Texte der Frankfurter Schule, kritisierte er die Kommunist*innen. Den schriftlichen Ausdruck findet dies in dem Essay Hör zu, Marxist!, (1), einer Schrift, die an den amerikanischen SDS adressiert ist. Andererseits wendet er sich später aber auch vom Anarchismus ab, weil er in jener Strömung in den 1980er Jahren eine verstärkte Apolitisierung und Hinwendung zum Lifestyleanarchismus, den er vom sozialen Anarchismus abgrenzte, bemerkt. Dies findet z.B. in dem Text Social Anarchism or Lifestyle Anarchism seinen Niederschlag. Ein anderer, interessanter Beitrag zur Erneuerung des Anarchismus ist der Sammelband Post-Scarity Anarchism aus dem Jahr 1971.
Der libertäre Kommunalismus, als dessen maßgeblicher Vordenker er gilt, basiert auf der Vorstellung einer, an der idealisierten, griechischen Polis. Von dieser übernimmt Bookchin die Idee der direkten Demokratie und verbindet dies mit der Vorstellung von kommunalem Eigentum an Produktionsmitteln.
Mehr als das, er findet in der sozialen Revolution und den anarcho-syndikalistischen Organisation in Spanien praktische Beispiele für Selbstorganisation (vgl. z.B. Kommunismus und Selbstbestimmung) und Föderalismus, die er in seine eigenen Überlegungen zum libertären Kommunalismus einfließen läßt. Eine andere Referenz findet er in der Pariser Commune sowie auch schon in der Französischen Revolution von 1789, in der eine Art Blaupause für Revolutionen zeigt. Dies zeigt sich z.B. in seinem dreibändigen Werk The third Revolution. Popular movements in the revolutionary era. In jener Schrift analysiert er das Scheitern revolutionärer Bewegungen in der Vergangenheit.
Der libertäre Kommunalismus, als dessen maßgeblicher Vordenker er gilt, basiert auf der Vorstellung einer, an der idealisierten, griechischen Polis. Von dieser übernimmt Bookchin die Idee der direkten Demokratie und verbindet dies mit der Vorstellung von kommunalem Eigentum an Produktionsmitteln. Auf der übergeordneten Ebene schwebt ihm dabei der Föderalismus der dezentral organisierten Gemeinschaften vor. Dem ganzen System ist zudem eine ökologische Komponente immanent. Erste Überlegungen hierzu finden sich in der 1987 veröffentlichten Schrift The Rise of Urbanization and the Decline of Citizenship.
Einen großen Einfluss auf seine kommunalistischen Konzepte hat auch sicherlich seine intensive Beschäftigung mit der Stadtsoziologie gehabt. Zwischen 1974 und 1995 verfasst er grundlegende Texte, von denen bislang lediglich Die Grenzen der Stadt und Agonie der Stadt in deutscher Übersetzung vorliegen.
Frühzeitig wendet er sich auch ökologischen Themen zu. So verfasst er 1962 u.a. unter dem Pseudonym Lewis den Beitrag Lebensgefährliche „Lebensmittel“: sind unsere Nahrungsmittel noch Lebensmittel?, beschäftigt sich mit der Energiegewinnung durch die Sonne (Technik im Dienste des Menschen) und diskutiert die Bedeutung von Technik (Für eine befreiende Technologie). Ein Meilenstein für die Übernahme des ökologischen Aspekts in den Kanon der (neu-)linken Theoriebildung ist dabei Bookchins 1964 veröffentlichtes Werk Ecology and Revolutionary Thought. Weiterhin gehört er im Jahr 1974 auch zu den Initiatoren der Gründung des, bis heute existenten Instituts for social ecology in Plainfield, Vermont, als dessen Direktor er zeitweilig fungiert.
Die Sozialökologie, die sich als Subgenre der politischen Ökologie entwickelt hat, geht zwar schon auf die 1920er Jahre zurück. Bei Bookchin war Ökologie nie getrennt von gesellschaftlichen (Herrschafts-)Verhältnissen zu denken. Das zeigt sich nicht nur in seinen Schriften direkt sondern auch explizit in seiner Kritik an Positionen der Tiefenökologie. Beispielhaft steht hierfür der 1987 geführte Disput mit Earth first!. Ein anderer Randaspekt dessen ist, dass Bookchin – laut Janet Biehl (Ecology or catastrophe. The life of Murray Bookchin) – auch den Begriff des „Ökofeminismus“ einführte, was noch mal die Bedeutung von Herrschaftskritik in seinem Denken verdeutlicht. Janet Biehl und Bookchin gelten bis heute als die Hauptvertreter*innen des libertären Kommunalismus. Eine andere Anekdote besagt, dass er auch für den Verlagsnamen „Blackrose Books“ verantwortlich ist. Er hatte dem Verleger die Legende der schwarzen Rose erzählt, die ihn zur Namensgebung inspirierte.
Graffiti on sidewalk in Mid-City New Orleans. www.google.com/search?q=bookchin – Foto: Bart Everson, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
So bedeutend Bookchin für die (Weiter-)Entwicklung des amerikanischen Anarchismus war, so hat er auch Einfluss auf die Entwicklung der Partei der Grünen in Deutschland gehabt, die sich 1980 als Bundespartei formierten. Neben dem intensiven Austausch mit Daniel Cohn-Bendit, dem roten Danie, ist auch sein Kontakt mit Jutta Ditfurth von Bedeutung gewesen. In ihrer Abrechnung mit den Grünen – Das waren die Grünen. Abschied von einer Hoffnung – taucht Bookchins Name häufiger auf.
Die Wirkung von Bookchin war und ist vielfältig. Bekannte literarische Utopien wie Ernst Callenbachs, nach einen Begriff Bookchins Ökotopia benannt oder Ursula K. LeGuins Planet der Habenichtse. Letztere schrieb auch ein Geleitwort für die Essaysammlung Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken. Hierin würdigt sie ihn mit den Worten: „Murray Bookchin war Experte für gewaltlose Revolutionen. Zeit seines Lebens dachte er über geplante und ungeplante radikale Veränderungen der Gesellschaft nach, und darüber, wie man sich darauf vorbereiten könnte.“ (2)
In jüngerer Zeit erleben die Ideen Bookchins eine gewisse Renaissance – einerseits durch die von Abdullah Öcalan in seiner Theorie des demokratischen Konföderalismus formulierten Referenzen auf Bookchins Denken, andererseits auch in der praktischen Umsetzung in der kurdischen Provinz Rojava im Norden Syriens. Vor dem Hintergrund der akuten Klimakrise ist sein ökologisches Denken aktueller denn je.
(1) Sofern die Texte in deutscher Übersetzung vorliegen, werden diese genannt. In den anderen Fällen wird der englische Originaltitel angegeben.
(2) Ursula K. LeGuin: Vorwort, in: Murray Bookchin: Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken, Unrast Verlag, Münster 2015, S. 8.
P.S.: Anlässlich des 100. Geburtstages von Murray Bookchin hat die Gustav Landauer Initiative einen kostenlosen Reader mit Texten zum Thema „Ökoanarchismus“ zusammengestellt – inklusive einer Bibliographie deutschiger Publikationen von und über Murray Bookchin. Er steht auf der Website www.gustav-landauer.org zum kostenlosen Download parat.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.