„Draußen Covid, drinnen ganze Reihe von Krankheiten“

Die (Re-)Privatisierung des öffentlichen Wohnraums und deren Folgen

| Monika Kupczyk

Der Lodzer Mieter:innen-Verein (Łódzkie Stowarzyszenie Lokatorów, ŁSL) wurde erst Ende 2020 in Lodz, Polen, von lokalen Anarchist:innen gegründet. Die Aktivist:innen kämpfen für bessere Lebensbedingungen und bezahlbaren Wohnraum für alle. Über Probleme lodzer Mieter:innen, ihre Selbstorganisierung, aktuelle Kämpfe und Herausforderungen sprach mit Mitgliedern des Vereins für die Graswurzelrevolution Monika Kupczyk (GWR-Red.)

GWR: Wann und zu welchem Zweck wurde der Mieter:innen-Verein gegründet? Wozu brauchen Anarch-
ist:innen eine formelle Organisation?

ŁSL: Anarchismus ist das Streben nach Selbstorganisation, die Umsetzung der Idee der gegenseitigen Hilfe und der ständige Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung auch beim Wohnen. In der Tat haben Anarchist:innen eine gewisse Abneigung gegen die formale Einbindung ihrer Aktivitäten. Wir haben lange darüber nachgedacht und versucht, ohne eine solche aufgeblasene Struktur zu funktionieren. Es entstand jedoch die Situation, dass es in unserer Stadt den Mieter:innen-Verein nicht mehr gab, den wir zuvor mit direkten Aktionen unterstützt hatten. So verloren wir die Fähigkeit, in diesem Bereich effektiv zu agieren. Anarchist:innen konnten nicht an Blockaden von Räumungen teilnehmen, weil sie einfach nicht wussten, wo und aus welchen Gründen eine solche Räumung durchgeführt wurde. Wir gingen lange Zeit davon aus, dass eine formale Struktur für den Aktivismus völlig unnötig sei. In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass in dringenden Angelegenheiten die direkte Unterstützung einer großen Anzahl von Mieter:innen durch einen Verein besser geleistet werden kann. Ebenso ist der Schriftverkehr z. B. mit dem Immobilien-Eigentümer oder mit Ämtern effektiver, wenn der/die Mieter:in ihn nicht selbst durchführt. Die Vertretung durch einen Verein als eine politische Struktur, die eine Basis hat, ist viel effektiver, um eine Institution oder den Immobilien-Eigentümer zu beeinflussen. Ein solcher Verein hat auch Kompetenzen, um beispielsweise eine:n Mieter:in vor Gericht zu vertreten. Dazu gehören z. B. die Teilnahme an Räumungsverfahren oder Anfragen an lokale und zentrale Behörden, die für die Wohnungspolitik verantwortlich sind, um die Informationen zu bekommen, die auch Anarchist:innen benötigen, um effektiv zu handeln. Im Moment agieren wir als „Verein in Gründung“. Die Dokumente für die Registrierung des Vereins haben wir im Oktober letzten Jahres eingereicht.

Mit welchen Problemen wenden sich Mieter:innen an Euch?

Die Probleme sind im Grunde die gleichen wie in vielen, wenn nicht allen, polnischen Städten. Die meisten Fälle betreffen Mieter:innen von Mietshäusern, die im Rahmen der Privatisierung oder Reprivatisierung in private Hände übergegangen sind. Die meisten dieser Mietshäuser befinden sich in einem Zustand völligen Ruins. Für viele Privateigentümer ist eine solche Situation sehr attraktiv: es gibt ein Grundstück, es gibt ein Gebäude, es ist möglich zu investieren. Das einzige Problem sind die Mieter:innen, die man loswerden muss. Die Eigentümer von Mietshäusern erkennen selten, dass sie mit dem Kauf von Immobilien auch eine Reihe von Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Mietvertrag erworben haben. Sie zeigen selten den Willen, Dinge fair und menschlich zu erledigen. Sie ergreifen Maßnahmen, um Mieter:innen zum Auszug zu zwingen und werden häufig von Behörden und speziell gemieteten Unternehmen unterstützt. Die Mieter:innen-Bewegung nennt sie „Haussäuberer“ [polnisch: czyściciel kamienic – M.K.]. Zu Beginn werden Mieter:innen oft gezwungen, neue und ungünstige Verträge abzuschließen, Mietverträge werden unter verschiedenen Vorwänden gekündigt, Mieten erhöht. „Haussäuberer“ fordern auch gerne rückwirkend höhere Mieten ein, wodurch rechtschaffende Mieter:innen plötzlich riesige Schulden haben, obwohl sie ihr ganzes Leben lang Miete bezahlt haben. Bedrohungen, Belästigungen und Einschüchterungen sind häufig. Dazu gibt es noch ein ganzes Repertoire an Aktivitäten, die dafür sorgen sollen, dass das Haus kein sicherer Ort mehr ist, z.B. die absichtliche Zerstörung des Gebäudes, insbesondere die Zerstörung des Daches. Wir waren einmal in einem Mietshaus, in dem in einer Wohnung im Erdgeschoss buchstäblich Wasser aus der Decke floss. Der Abriss von Nebengebäuden im Hof [oft an Stelle eines Kellers – M.K.] ist besonders gravierend, wenn Heizmaterial [Holz oder Kohle – M.K.] in ihnen gelagert wird. Andere Methoden sind das Kappen der Versorgungsleitung, das Zerstören von Installationen und das Stehlen der Post. In einer Immobilie stießen wir auf eine Situation, in der der Eigentümer die Außentoiletten schloss und Mieter:innen aus drei Gebäuden zwang eine gemeinsame Toilette auf dem Dachboden zu nutzen.
Faktisch ist es eine sogenannte „Lästige Renovierung“. Es ist verboten, solche Arbeiten in einem bewohnten Gebäude auszuführen, und doch geschieht dies. Es kommt vor, dass das Staubaufkommen während der Arbeiten so hoch ist, dass es schwierig ist, in der Wohnung zu atmen und sich der Staub überall absetzt. Bei einer unserer Kolleg:innen stellten die Arbeiter ein Radio mit lauter Musik direkt vor ihre Tür. All dies, um ihr Leben noch schwerer zu machen und sie zum Auszug zu zwingen. Ein weiteres Mitglied des Vereins lebt auf einer Baustelle. Es ist schwierig, hier über alles zu erzählen. Den „Haussäuberern“ fehlt es wirklich nicht an Kreativität.

Die zweite Art von Problemen betrifft die kommunale Wohnungspolitik, die Verwaltung von Gebäuden durch die Gemeinde und die Aktivitäten der Stadtverwaltungen im Allgemeinen. Menschen mit niedrigem Einkommen haben einen Anspruch darauf, eine Kommunalwohnung zu mieten. Menschen in einer außergewöhnlich schwierigen Situation können sich auf die sogenannten Sozialen Räumlichkeiten verlassen. Diese unterscheiden sich in der Höhe der Miete und im Zeitraum, für den der Mietvertrag geschlossen wird. Unbegrenzte Verträge werden in einer Kommunalwohnung und Jahresverträge in Sozialen Räumlichkeiten geschlossen. Beide Arten von Wohnungen sind nur theoretisch verfügbar. Die Wartezeit beträgt oft mehrere Jahre. Man muss zuerst auf eine Warteliste gesetzt werden. Selbst das ist gar nicht so einfach. Beamte können zu dem Schluss kommen, dass keine Wohnung benötigt wird, weil der Antragsteller letztendlich irgendwo wohnt. Und es spielt keine Rolle, dass auf seinen Kopf Wasser tropft, dass die Wände von Pilzen befallen sind oder dass der „Haussäuberer“ das Wasser abgestellt hat. Es gibt auch keine Chance auf eine Wohnung, wenn das Einkommenskriterium nur um einige Zloty überschritten wird. Dazu kommt noch der Standard dieser Wohnungen. So sind Toiletten in den Hinterhöfen auf Dachböden oder im Keller und Zugang zu Wasser nur außerhalb der Räumlichkeiten keine Seltenheit. Im 21. Jahrhundert mag es in einer europäischen Stadt unglaublich erscheinen, aber es gibt immer noch Familien in Lodz, die Wasser in Eimern aus einem Straßen-Wasser-Anschluss holen müssen. Ein weiteres Problem ist das Fehlen einer Zentralheizung. Manche Menschen heizen ihre Wohnungen mit Kohle, wenn dies nicht möglich ist, werden elektrische Heizlüfter verwendet. Während der Heizperiode kann die Höhe der Stromrechnungen um ein Vielfaches höher sein als die Miete. Wohnungen, die per Definition billig sein sollten, weil sie von Menschen mit niedrigem Einkommen bewohnt werden, sind in der Praxis sehr teuer zu unterhalten. Rentner:innen können es sich nicht leisten, sie sparen und frieren. Die Wohnungen sind kalt, die Wände sind mit krebserregenden Pilzen bedeckt, man kann überall Feuchtigkeit riechen. Diese Mietshäuser haben einen bestimmten Geruch. Die Stadt renoviert nur sehr wenig. Sie kümmert sich nicht um ihre eigenen, geschweige denn um verwaltete Gebäude. Auch wenn die Fassade renoviert ist, bleibt es innen wie es war. Eine solche Renovierung ändert nichts für die Menschen, es ist ästhetisch ansprechend von außen und es bleibt bei schwarzen Wänden in den Wohnungen und Treppenhäusern, abfallendem Putz in den Innenhöfen.

Es ist schwierig, bei den Stadtverwaltungen etwas dagegen zu erreichen. Dinge zeitnah zu erledigen scheint dort unmöglich. Kürzlich kam ein Herr in das Büro des Mieter:innen-Vereins, der sagte, dass seine Mutter erst nach 6 Jahren eine Absage auf ihren Antrag bekommen habe, sie auf die Warteliste für eine Wohnung zu setzen. Diese Antwort sollte nach 7 Tagen kommen. Die Verwaltungen weigern sich häufig, sowohl laufende als auch Notfallreparaturen durchzuführen, und erklären, dass sie nicht über genügend Geld verfügen würden oder der rechtliche Zustand der Gebäude nicht geregelt sei. Informationen von Beamten sind nicht zuverlässig und oft falsch. Es kommt vor, dass Dokumente verloren gehen. Natürlich tragen die Mieter:innen die Konsequenzen. Ein weiteres Problem ist Wahrnehmung der Mieter:innen. Sie werden als Bittsteller behandelt. Sie erhalten keine Informationen über ihre Rechte. Die vom Amt geleistete Rechtshilfe ist eine Fiktion. Es kommt vor, dass einer Person eine Gebührenreduzierung zusteht, aber sie davon nicht weiß.

Die Räumung ist ein extremes Problem für kommunale und private Mieter:innen. Nicht alle wissen, dass die einzige Möglichkeit, eine Wohnung legal zu räumen, auf einem Gerichtsbeschluss beruhen muss. Es gibt auch sogenannte wilde Räumungen, bei denen man versucht, jemanden ohne Rechtsgrundlage aus einer Wohnung zu zwingen.

Woher kommen diese Probleme? Was sind ihre Ursachen?

Die Stadt verkauft seit mehreren Jahren ihren Wohnungsbestand (Privatisierung), Mietwohnungen werden auch an Erben zurückgegeben (Reprivatisierung). In beiden Fällen ähnelt sich das Problem. Ein neuer Eigentümer wendet verbrecherische und brutale Methoden an, um Mieter:innen loszuwerden. Personen, die mit der Gemeinde unbefristete Mietverträge abgeschlossen haben, verlieren ihre Sicherheit. Die Stadt hilft in solchen Situationen nicht. Selbst wenn eine Person in einem Gebäude ohne Grundversorgung lebt, das einer lästigen und illegalen Renovierung unterzogen wird, kann sie nicht damit rechnen, in die Liste der Personen aufgenommen zu werden, die auf eine Sozialwohnung warten, weil laut Beamten ihre Wohnbedürfnisse befriedigt sind.

Die von der Stadt verfolgte Wohnungspolitik ist eine Ausschlusspolitik. Der Wohnungsbestand wird systematisch ausverkauft, und man muss oft ein Dutzend Jahre auf eine Wohnung warten. Um in die Warteliste aufgenommen zu werden, muss man unterhalb einer Einkommensgrenze liegen und eine Reihe anderer Bedingungen erfüllen. Es gibt viele Menschen, die ein bisschen mehr verdienen, aber eigentlich immer noch nicht genug, um eine Wohnung auf dem freien Markt zu kaufen oder zu mieten. Solche Menschen leben deshalb trotzdem in der Regel in privaten Mietshäusern und schließen zivilrechtliche Verträge, die ihnen praktisch keine Sicherheit garantieren. Für ihre Wohnanmeldung bezahlen sie eine illegale Gebühr [polnisch: odstępne – M.K.]. Oft sind dies hohe Beträge, für die manche einen Kredit aufnehmen müssen. Sie werden unter dem Tisch bezahlt, ohne Quittungen und ohne die Möglichkeit, beim Umzug das Geld zurück zu bekommen.

Viele von der Stadt verwaltete Gebäude haben eine unklare rechtliche Situation. Die Stadt investiert nicht in diese Gebäude, es werden nicht einmal grundlegende Arbeiten wie Dachrenovierungen durchgeführt. Jahr für Jahr verschlechtern sich solche Mietshäuser und die Mieter:innen leben unter wirklich skandalösen Bedingungen.

Wie geht Ihr mit diesen Problemen um? Wie sehen Eure Aktionen aus? Welche Strategien wählt Ihr?

Wir sind vor Kurzem im öffentlichen Raum als formelle Organisation aufgetreten. Davor traten wir als anarchistisches Kollektiv hauptsächlich im Stadtraum auf, um die Mieter:innen bei Räumungsverfahren zu unterstützen und soziale Empathie zu zeigen. Wir organisierten thematische Streikposten und Demonstrationen und nahmen direkt an der Blockade von Räumungen teil. Jetzt werden wir als Verein genau das Gleiche tun, jedoch mit einem erweiterten Tätigkeitsbereich. Wir haben die Möglichkeit die Selbstorganisierung der Bewohner:innen ganzer Mietshäuser zu unterstützen. Wir haben die Sprechstunden so organisiert, dass die Mitglieder unseres Vereins sich so gut wie möglich austauschen können. Wir versuchen, gemeinsam über jedes Problem nachzudenken. Jede:r von uns hat unterschiedliche Erfahrungen in verschiedenen Bereichen, und in solchen Momenten können wir durch den direkten Austausch dieser Erfahrungen lernen, wie man besser handelt oder wie wir in einem bestimmten Fall, mit dem wir uns aktuell befassen, agieren sollen. Durch die gemeinsamen Treffen erfahren die Betroffenen, dass sie mit ihrem individuellen Problem nicht allein stehen, sondern dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die sich damit befassen und dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, aktiv zu werden.

Während wir an einzelnen Angelegenheiten arbeiten und ein Schreiben nach dem anderem schreiben, bekommen wir oft keine Antwort, aber jedes Schreiben kann ein Beweis sein. In schwierigeren Fällen nutzen wir die Hilfe eines Anwalts. Wir helfen auch bei Kontakten mit Beamten. Während der Pandemie können wir nur telefonisch mit dem Amt in Kontakt treten und um eine betroffene Person nicht alleine zu lassen, da es schwierig ist die Emotionen zu kontrollieren, versuchen wir mit mehreren Personen aus dem Verein das Telefonat zu führen. Wir führen Informationskampagnen durch, damit die Menschen ihre Rechte kennen und sich nicht einschüchtern lassen. Kürzlich hat einer unserer Kolleg:innen ein Poster mit komprimierten Informationen für Mieter:innen entworfen – was man tun soll, was man nicht tun soll, worauf zu achten ist. Die Mieter:innen selbst verteilen Flugblätter und werfen sie in Briefkästen von Gebäuden, in denen wir den Verdacht haben, dass ein Problem besteht. Dabei hilft uns die Anarchistische Föderation (FA), mit der sich viele von uns auch identifizieren. Wir stehen erst am Anfang dieses Weges, und es gibt viel zu tun.

Welche Mieter:innen-Kämpfe führt Ihr in letzter Zeit?

  • Fall Mirka: Viele Jahre lebte sie in einem von der Stadt verwalteten Mietshaus. Die Probleme begannen, nachdem das Eigentum an die Erben zurückgegeben worden war. Vor einigen Jahren ordnete die Bauaufsicht eine Renovierung an. Einige der Räumlichkeiten wurden geschlossen, darunter auch Mirkas Wohnung. Mirka lebt immer noch dort. Der neue Eigentümer kündigte den Vertrag unter dem Vorwand, in dieser Wohnung wohnen zu wollen. Er erhöhte die Miete und zerstörte die Verschläge im Hof, in denen das Heizmaterial gelagert war. Während des Frosts wurden im gesamten Gebäude Fenster geöffnet, wodurch die Wasserleitungen einfroren. Derzeit wird das Gebäude renoviert. Es handelt sich jedoch nicht um Arbeiten, die von der Bauaufsicht in Auftrag gegeben wurden. Die Staubbelastung ist so hoch, dass das Atmen schwer fällt.
  • Fall Jola: Ein von der Stadt verkauftes Mietshaus. Der neue Besitzer droht mit Räumung, sendet Informationen über Schulden, die eigentlich nicht existieren, weil Jola die Miete regelmäßig und in voller Höhe zahlt. Das gesamte Grundstück ist eine Baustelle und eine Müllkippe. Das Wasser im Gebäude wurde abgestellt, so dass Jola die lokale Zentralheizung nicht nutzen kann. Im Winter ist es in ihrer Wohnung etwa 10 Grad. Jola muss Wasser mit einem Schlauch aus dem Hof beziehen, der Schlauch wird oft abgeklemmt oder der Haupthahn wird zugedreht.
  • Fall Agnieszka: Sie hatte einmal einige Probleme, die zu Verschuldung und einem in Abwesenheit verhängten Räumungsurteil führten. In diesem Fall besagt das Recht, dass sie sechs Monate in einem provisorischen Raum zu leben hat und dann auf die Straße gesetzt wird. Provisorische Räume sind wenige Quadratmeter große Kammern mit Toilette im Hof und ohne Zentralheizung. Seit fast zwei Jahren zahlt Agnieszka ihre Schulden in Raten zurück, auch nach der Tilgung kann es sein, dass sie ihr Recht auf eine Wohnung nicht wiedererlangt.
  • Fall Małgosia, Janina, Czesław: Sie wohnen in einem von der Stadt verwalteten Mietshaus. Das Gebäude ist eine Ruine. Im Winter zieht Czesław zu einem Freund, weil es in seiner Wohnung so kalt ist, dass er dort nicht leben kann, und er sich keine elektrische Heizung leisten kann. Jedes Jahr friert das Wassersystem in den Toiletten im Hof ein.

Viele Menschen haben diese Probleme. Meistens sind Frauen betroffen. Es sind viele Frauen im Rentenalter, die von sehr bescheidenen Leistungen leben. Eine solche Person wird auf dem freien Markt keine Wohnung kaufen oder mieten können. Oft ist jede Preissteigerung eine Wahl zwischen dem Bezahlen der Miete und dem Kauf von Medikamenten oder Lebensmitteln.

Wer kann dem Verein angehören? Wie sehen die Strukturen Eurer Organisation aus?

Der Verein hat eine offene Struktur: Wir schließen absolut niemanden aus – zumindest im Prinzip. Es kommen meistens Menschen, die Gefahr laufen, ihr Zuhause zu verlieren, und leider sehen sie nur ihre eigenen individuellen Angelegenheiten. Aber es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen zu zeigen, dass das Problem umfassender ist, uns alle betrifft und wir diese Probleme nur gemeinsam überwinden und uns selbst helfen können. Jede:r kann dazugehören. Wir laden alle zum Mitmachen ein. Trotz der gesetzlichen Struktur des Vereins, die wir zum Zwecke seiner Registrierung formell einhalten mussten, weichen wir nicht von der Idee des kollektiven Handelns und der Notwendigkeit ab, Probleme gemeinsam zu lösen. Sogar die Antworten auf Eure Interviewfragen wurden während unserer Sprechstunde besprochen. Wir glauben, dass dies unseren Mitgliedern ermöglicht, in dem Bewusstsein zu arbeiten, für Aktion und Kollektiv wichtig und notwendig zu sein.

Mit welchen Organisationen arbeitet Ihr zusammen? Was ist der Zweck dieser Zusammenarbeit?

Trotz unserer sehr lokalen Probleme lernen wir aus den Erfahrungen unserer größeren und älteren Brüder, d. h. Vereine, die seit Jahren im öffentlichen Raum tätig sind. Der Wielkopolska Mieter:innen-Verein (Wielkopolskie Stowarzyszenie Lokatorów) und der Warschauer Mieter:innen-Verein (Warszawskie Stowarzyszenie Lokatorów) unterstützen uns auf der Ebene der organisatorischen Lösungen und der Methodik, um einen effektiven Mieteraktivismus durchzuführen. Eine sehr wichtige Unterstützung unserer Aktivitäten ist die gegenseitige Hilfe anarchistischer Kollektive im ganzen Land. Sie ist wichtig, weil wir diese Hilfe in fast allen größeren städtischen Zentren einsetzen können. Es kommt häufig vor, dass die Gegenseite eines Mietstreitfalls in einer anderen Stadt sitzt, aber durch unsere Vernetzung können wir den Protest für unsere lokale Sache in die anderen Orte tragen. Die Mieter:innen-Präsenz auch außerhalb des Streitortes selbst, erzielt manchmal unerwartet gute Ergebnisse.

Wie ist die Situation der Mieter:innen während der Pandemie? Hat sich die Situation der Mieter:innen erheblich verschlechtert?

Die Situation ist ungewöhnlich. Aufgrund der Pandemie werden Ämter für Bürger:innen geschlossen. Manchmal geschieht dies wirklich wegen des Seuchenschutzes, aber manchmal hat man auch den Eindruck, dass es bequem ist, Menschen mit ihren verschiedenen, oft unbequemen Problemen vom Amt fern zu halten.

Die Dauer einer gerichtlichen Entscheidung hat sich verlängert. Im Falle einer Räumung kann sich dies positiv auswirken, denn je länger ein solches Verfahren dauert, desto mehr verzögert sich der Rauswurf des Mieters auf die Straße. Leider kann diese epidemische Trägheit in anderen Fällen einfach tödlich sein. Amtliche Kontrollen, um die technische und hygienische Situation der von Mieter:innen genutzten Immobilien zu überprüfen, werden ausgesetzt. Der einzig positive Aspekt der Epidemie ist die Unterbrechung der Tätigkeit der Gerichtsvollzieher, dank derer wir keine Räumungen blockieren müssen, die ohne die Beschränkungen stattfinden würden. Während der Pandemie wurde der technische und hygienische Zustand der Räumlichkeiten zu einem großen Problem. Älteren Menschen, Menschen mit Behinderung und Menschen mit chronischen Krankheiten wird geraten, zu Hause zu bleiben. Niemand hat daran gedacht, dass Häuser auch eine Krankheitsquelle sind. Feuchtigkeit, Pilz, Smog in der Wohnung. Draußen Covid, drinnen eine ganze Reihe von Krankheiten.

Sind Eure Aktivitäten effektiv? Welche Erfolge habt Ihr auf Eurem Konto?

Wir sind erst seit Kurzem aktiv, daher ist es schwierig, hier über spektakuläre Erfolge zu sprechen. Außerdem sind dies Kämpfe, die nicht in einer Woche oder einem Monat gewonnen werden. Diese Sachen dauern Jahre. Mietertätigkeiten, um eine medizinische Metapher zu verwenden, sind oft nicht anders als die Führung eines Hospizes. Es mag nicht optimistisch klingen, aber es geht auch nicht um Optimismus. Es ist wichtig, gegen systemische Verwerfungen und Gewalt gegen Menschen, die sich nicht verteidigen können, zu kämpfen. Unsere Idee ist es, nicht nur in Einzelfällen zu helfen, sondern auch die Mieter:innen-Bewegung aufzubauen und für Systemänderungen zu kämpfen. Es ist schon ein Erfolg, dass viele Menschen bei uns bleiben. Wir sehen immer mehr Solidarität. Menschen helfen sich gegenseitig, tauschen Erfahrungen aus, verlassen ihre Häuser. Wir haben es geschafft, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem man nicht beurteilt wird und in dem jede:r das Gefühl hat, nicht allein zu sein. Das ist sehr viel. Der größte Erfolg unserer Arbeit ist der Glaube und die Hoffnung der Menschen, dass wir beim Thema Mietprobleme etwas ändern können. Jedes Mal freuen wir uns, wenn Menschen bei uns bleiben und ihre Bereitschaft zum Ausdruck bringen, mehr Arbeit zu leisten als die, die nur ihre eigene Sache betrifft. Das ist vielleicht das Wichtigste.

Letztens wurde auch in den Mainstream-Medien oft über Euch berichtet. Hat es Euren Kämpfen geholfen?

Wir haben noch nicht richtig begonnen, im Stadtraum effektiv zu arbeiten, daher wird die Berichterstattung wahrscheinlich noch zunehmen. Sie gründet insbesondere in der Tatsache, dass unsere Stadt einen Haufen Probleme für Mieter:innen geschaffen hat, aber keine Strukturen, die sie in irgendeiner Weise unterstützen. Die Entstehung unseres Vereins und die Aktivitäten der Lodzer Anarchist:innen in der Mieter:innen-Bewegung, haben einerseits sicherlich eine positive Reaktion bei denjenigen ausgelöst, die ohne angemessene Hilfe waren, aber andererseits eine sehr negative Reaktion bei den Personen und Strukturen, die bisher glaubten, ungestraft Gewalt gegenüber Mieter:innen ausüben und die städtischen Ressourcen verwalten zu können.

Was ist die größte Herausforderung in Eurem Aktivismus?

Ein großes Problem ist die stereotype Herangehensweise der Mehrheit der Gesellschaft an Menschen mit Wohnungsproblemen. Oft denken diejenigen, die es im Leben etwas besser gemacht haben oder einfach nur Glück hatten, dass Menschen mit Wohnungsproblemen selbst verantwortlich sind, saufen und die Miete nicht zahlen, weil sie zum Beispiel lieber ein neues Auto kaufen wollen. Es gibt sicherlich solche Menschen, aber die Wahrheit ist, dass die Probleme meistens Menschen betreffen, die sehr ehrlich sind und Prinzipien haben. Dies verstärkt ihr Leiden.

Bessergestellte Personen, die eine Wohnung auf Kredit gekauft haben, können häufig nicht akzeptieren, dass jemand anderes in einer von der Stadt gemieteten Wohnung lebt. Es gibt oft Beschwerden, dass die Gesellschaft solche Mieter:innen unterhalten müsse. Sie werden in den sozialen Medien als Parasiten bezeichnet. Das ist sehr traurig. Eine Änderung dieser Einstellung würde sicherlich den Kampf um Systemänderungen erleichtern.

Danke für das Gespräch!

Interview und Übersetzung
aus dem Polnischen: Monika Kupczyk