Liebe Freunde und Freundinnen der Graswurzelrevolution in Deutschland, habt Ihr Lust auf einen kleinen Blick auf Euer Lieblingsland, wenn es um Urlaub, schöne Seen und glitzernde Gletscher geht, kurz: auf Österreich?
Österreich ist einen Seitenblick wert. Prominente heimische bürgerliche Massenmedien berichten, dass in Deutschland österreichische Verhältnisse undenkbar wären. Und die meinen das mit einem lobenden Unterton, was Deutschland betrifft. Klingt bedenklich. Österreich war historisch gegen und dann für und dann wieder gegen einen „Anschluss“ an Deutschland und hat sich nach der Nazi-Zeit ganz cool aus der Affäre geschummelt mit dem Märchen des ersten Opfers des Nationalsozialismus. Ich richte meinen Artikel an die Graswurzelrevolution, weil in der aktuellen Debatte in Österreich Deutschland von den links-liberalen Medien als mahnendes Beispiel für saubere Politik genannt wird. In Deutschland wären ein Bundeskanzler Sebastian Kurz, ein Finanzminister Gernot Blümel nicht tragbar. Aus diesem Grund will ich Ihnen, werte Leserinnen und Leser erzählen, warum Sie Österreich so nett finden. Manchmal.
Vielleicht interessiert Sie, werte Leser und Leserinnen, ein romantischer österreichischer Heimatroman, der – gerichtlich geprüft – auf Tatsachen beruht.
Ich beginne mit der Geschichte vom Kinderwagen. Der österreichische Finanzminister Blümel wird von Steuerfahndern aufgesucht. Eine Hausdurchsuchung findet statt. Die Frau des Ministers fährt währenddessen einen Laptop im Kinderwagen spazieren. Nach ihrer Rückkehr stellt sich heraus: Auf diesem Computer waren keine interessanten Daten zu finden. Wie blöd kann man sein? Die Familie Blümel wähnte sich damit in Sicherheit. Niemand interessierte sich dafür, warum die Frau das Bedürfnis hatte, einen keine strafrechtlich relevanten Daten enthaltenden Laptop im Kinderwagen spazieren zu fahren.
Alles begann mit „Ibiza“
Ich denke, ich muss die Geschichte anders erzählen. 2017 gab es in Österreich ein politisches Erdbeben. Dieses Erdbeben hat mit den Deutschen zu tun. Ja, ja, die Süddeutsche Zeitung bekam das „Ibiza-Video“ in voller Länge zugespielt. Zwei deutsche Medien konnten sich amüsieren, die bürgerlichen Massenmedien im Ösi-Land bekamen nur kümmerliche etwa 6 Minuten eines über sieben Stunden sich hinziehenden Videos zu sehen. Die heimischen Medien blickten neidvoll nach Deutschland.
Mit der Ausstrahlung des „Ibiza-Videos“ begann der Fall des türkis-blauen Regierungsexperimentes. Türkis steht für den schwarzen Bundeskanzler Sebastian Kurz (die Österreichische Volkspartei war vormals schwarz, also konservativ), der in neuer Farbe mit alten Seilschaften ausgestattet wurde.
Nachdem sich der der Freiheitlichen Partei angehörende Vizekanzler Heinz-Christian Strache so blamiert hatte, dass er sich selber aus dem politischen Rennen genommen hat, setzte der Überflieger Kurz zur nächsten Attacke an.
Bis zur Wahl der nächsten Regierung gab es einige Turbulenzen, einen Misstrauensantrag gegen Kanzler und Regierung, eine sogenannte Experten- oder Übergangsregierung, deren Auftrag es war, bitte nur zu verwalten, aber nicht zu gestalten, die Expertinnen und Experten waren schließlich Beamt_innen. In der öffentlich kommunizierten Wahrnehmung vieler Beobachter_innen war das eine entspannte Zeit. Politische Nachrichten brauchte man nicht zu lesen, es gab ja keine. Metternich lässt grüßen.
Der Gesalbte – auferstanden aus Ruinen
Die nächste Wahl brachte einem Bundeskanzler eine satte Mehrheit, brachte einen Politiker an die Macht, der sich zuvor nach dem Misstrauensantrag wie ein beleidigter Bub kaum mehr hatte sehen lassen. Da war er wieder. Auferstanden aus Ruinen, da war er, der Gesalbte. Liebe Leserinnen und Leser in Deutschland, es gibt auf Youtube ein Video, das zeigt, wie alternativ religiöse Menschen den Sebastian Kurz geweiht und gesalbt hatten, unter den Segnenden befand sich auch der Weihbischof von Wien.
Warum ist das eine Empörung wert? Das ist kein Grund, sich aufzuregen. Aber die Geschichte geht noch weiter. Der Überflieger Sebastian Kurz holt sich in seine nächste Regierung die Grünen ins Boot. Die Grünen machen mit. Ihr Gebaren in Deutschland, wo die Grünen mit Joschka Fischer bewiesen haben, wie weit sie sich von Pazifismus und Antimilitarismus entfernt haben, spricht schon Bände. Aber die österreichischen Grünen verbiegen sich noch einen Schritt weiter.
In Österreich wird darüber diskutiert, wie Posten und sehr viel Geld verschoben werden. Diskutiert werden nicht Inhalte, diskutiert wird der Stil der Postenschacherei. Die bürgerlichen Massenmedien finden es nicht gut, wenn Posten per SMS mit „bussi bussi“ vergeben werden. Die Geschichte ist die, und die ist wahr, dass der Chef der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG) knapp eine Milliarde Euro Geld verwaltet. Die Vergabe des Chefpostens ist natürlich Chefsache. Nun kommuniziert der Bundeskanzler mit demjenigen, der minderqualifiziert ist, per „kriegst eh alles, was du willst“ und „bussi bussi“ am Ende.
Das ist ja alles noch im Rahmen allseits verstehbarer Politik. Natürlich teilt man sich Geld und Posten untereinander auf, das ist gute alte sozialpartnerschaftliche Tradition. Schwerer zu vermitteln ist, dass die sogenannte „rote Linie“ bzw. ein Stopp-Schild nicht überschritten werden darf. Bis zum Auftreten des Überflieger-Bundeskanzlers Sebastian Kurz war es Konsens, dass Anklagebank und Regierungsbank nicht zusammengehen. Im „Kriminalfall Kurz“ wird der österreichische Bundeskanzler offiziell als „Beschuldigter“ geführt, das heißt, die Beweislast ist so dicht, dass Anklage erhoben werden wird. Er hat vor dem in Österreich allseits geschätzten U-Ausschuss zum Thema Käuflichkeit der Regierung nachweislich die Unwahrheit gesagt.
Trotz Anklage wie selbstverständlich weiter im Amt
Genau da wird es für Sie, liebe deutsche Leserinnen und Leser, interessant. Der österreichische Bundeskanzler betont nicht etwa seine Unschuld, er besteht darauf, obwohl er als Beschuldigter geführt wird, darauf, sein Amt weiter auszuführen, auch wenn er angeklagt werden sollte, und auch wenn er – was er nicht annimmt – verurteilt würde. Er hätte vor Gericht nicht vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Das Netzwerk Kurz baut vor. In die Zukunft gereimt möchte ich aus gegebenen Anlass aus pazifistischer Sicht auch was sagen dürfen:
Ich bin es leid, mir das Gejammer der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) anzuhören, die jetzt auf Mitleid spielt,
Ich bin es leid, mir die Grünen als Steigbügelhalter der seit 1955 immer im Parlament mitbestimmenden ÖVP anzuhören,
Ich kann es nicht mehr hören, dass die Grünen, in Regierungsverantwortung stehend, von Klimaschutz reden statt von Korruptionsbekämpfung. War da nicht mal was von wegen sauberer Politik?
Vielleicht mögen deutsche Linke mich eher verstehen. Ich bin Pazifistin, ich bin Antimilitaristin, was mich stört ist, dass wir unsere Verantwortung vor der Geschichte nicht wahrnehmen, was mich stört, ist meine eigene Ohnmacht.
Wenn ich Nachrichten sehe, ist es belanglos. Wenn ich Leute sehe, die sich als Politikerinnen und Politiker ernst nehmen, finde ich sie verlogen. Wenn ich mir die Parlamentsdebatten anhöre, finde ich sie jenseitig. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Als Studierende konnten wir in Salzburg, so als Experiment, den Bürgermeister und ähnlich hoch bezahlte Politiker und Politikerinnen dafür gewinnen, mit uns einkaufen zu gehen. Sie sollten so viel Geld ausgeben, wie eine arbeitssuchende Person pro Woche zur Verfügung hat. Niemand, der Bürgermeister am allerwenigsten, hatten eine Ahnung davon, wie wenig Geld sie ausgeben konnten. Sie schauten irritiert auf die Kassa, als sie anerkennen mussten, dass mehr als die Hälfte der von ihnen eingekauften Waren mangels Geld nicht im Einkaufskorb verblieb. Die Politik der „Volksvertreter“ ist ohne jeden Bezug zu denen, für die sie angeblich gemacht wird.
Ein Beispiel möchte ich noch anfügen. Der erste Nationalratspräsident, Wolfgang Sobotka, war im Alois-Mock-Institut gut verankert. (Alois Mock war Spitzenpolitiker der Konservativen, ergo Vizekanzler). Zwischen Sobotka und dem Glücksspielkonzern Novomatic und der konservativen ÖVP gab es gerichtlich nachgewiesene Absprachen, dem Glücksspielkonzern mittels Gesetzen international Vorteile zu verschaffen. Da ist nachweislich Geld geflossen.
Da müsste man doch irgendwie auch gegen Sobotka ermitteln. Nein. Natürlich nicht. Liebe Leserinnen und Leser, vergessen Sie bitte nicht: ich berichte aus Österreich. Der werte Herr ist erster Nationalratspräsident, ist selbstverständlich auf Grund seines Amtes auch der oberste Richter jenes Untersuchungs-Ausschusses, welcher – ja gegen was – ermitteln soll. Der werte Herr ist oberster Richter. Gegen den obersten Richter kann nicht ermittelt werden. Somit ist alles in Ordnung. Es ging darum, ob die türkis-blaue Regierung käuflich sei. Der erste Nationalratspräsident Sobotka ist ein Anhänger der Konservativen, der ÖVP. Die hatte aber nie etwas mit dem Alois-Mock-Institut zu tun, das Alois-Mock-Institut ist nach Alois Mock benannt, dem langjährigen Vize von Kanzler Bruno Kreisky, einem erzschwarzen Politiker. Das eine hat aufgrund der Gewaltenteilung mit dem anderen nichts zu tun. Sicher.
Kurz zusammengefasst:
– ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, um die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in Bedrängnis zu bringen;
– immer mehr geriet aber die konservative Partei, die ÖVP, in Bedrängnis;
– illegale Parteispenden, illegale Parteienfinanzierung, Postenschacher wurden öffentlich;
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„kriegst eh alles, was du willst“ … „ich liebe meinen Kanzler“ und „bussi bussi“
Selbst die Kirche wird eingeschüchtert
Eine neue Dimension erreichte das Gebaren der Regierung mit der Einschüchterung von Vertretern der Kirche. Kein Witz. Bevor der „Bussi-Bussi“-Freund des österreichischen Bundeskanzlers Chef der ÖBAG wurde, war er schon mal der Mann fürs Grobe. Die Bischofskonferenz hatte – wie sie es immer tut – wieder einmal die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert. In Österreich ist es normal, dass die Konservativen von den Kirchenvertretern (sind bei uns nur Männer) die Meinung gesagt bekommen, dazu muss man wissen, dass sich Caritas und Diakonie engagieren. Es ist ein Skandal, dass Bundeskanzler Kurz seine Scharfmacher ausschickt, um Kirchenvertreter einzuschüchtern, weil diese wie immer die österreichische Flüchtlingspolitik kritisieren. Was sollen sie denn sonst tun? Diese Kirchenleute haben halt Mitleid. Dass aus einer dem Gericht vorliegenden E-Mail hervorgeht, dass der spätere ÖBAG-Chef die Kirchenvertreter so eingeschüchtert hat, dass diese zuerst „rot, dann weiß, dann zittrig“ geworden sind, lässt tief blicken, vor allem, wenn man gelesen hat, dass der Bundeskanzler geschrieben hatte, „…Vollgas“.
Warum wende ich mich damit an eine deutsche Leser_innenschaft: Ganz einfach, ich wende mich an Pazifist_innen und Antimilitarist_innen, die einen Blick auf Österreich werfen, um mit uns, wenn wir Linken es denn schaffen sollten, gemeinsam aufzustehen. Wenn Sie, werte Leser_innen, es möchten, kann ich Ihnen noch einige Grausligkeiten österreichischer Innenpolitik erzählen. Das war ja erst die Spitze des Eisbergs.
Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion, Schnupperabos der Druckausgabe zum Kennenlernen gibt es hier.