Pünktlich zur Jahrtausendwende wird das neue deutsche Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft treten. Ein adäquates Datum, um der Regierungsrethorik von der „Jahrhundertreform“ symbolischen Nachdruck zu verleihen. Die öffentliche Debatte der letzten Wochen und Monate war voll von großen Worten. Die Größe allein aber sagt bekanntlich über den Inhalt noch nicht viel aus. Ist das Große auch wirklich das Gute und Richtige? Ist mit dem neuen Gesetz wirklich spürbar Besseres erreicht worden? Ein fundamentaler Ein- oder Abschnitt, wie die große Kalenderwende zum nächsten Jahreswechsel? Nein. Das von der FDP durchgedrückte sogenannte Optionsmodell reicht nicht heran an die Erwartungen an diese Gesetzesänderung, die von Grünen oder MigrantInnengruppen, von Linksliberalen und ganz allgemein den hier lebenden AusländerInnen seit Jahren gehegt und gepflegt wurden. Es gab zu Recht die Hoffnung, daß mit dem deutschen Staatsbürgerschaftsrecht von 1913, aus Kaisers Zeiten also, einer Zeit, da Schwarze noch im Hamburger Zoo wie Tiere zu besichtigen waren, daß mit diesem Gesetz auch dem institutionellen Rassismus eine partielle aber geschichtsträchtige Abfuhr erteilt wird. Das ius sanguinis, das Blutsrecht, regelt bis heute die Zugehörigkeit zum deutschen Nationalstaat und damit auch den Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten. Von Ausnahmen abgesehen darf, wer in Deutschland lebt, aber nicht hier geboren ist, weder an Wahlen, noch an der Ressourcenverteilung des Sozialstaates überhaupt bzw. gleichberechtigt teilnehmen. (Und man/ frau muß wählen dürfen, um es boykottieren zu können). Die Bevölkerung wird völkisch konstruiert: dazu gehört, wer die richtige Abstammung hat. Längst ist Deutschland ein Einwanderungsland, in Mitteleuropa gehören Menschen, die in anderen Ländern geboren wurden, zum normalen sozialen Leben. Aber nicht erst „seit Jahren“ ist diese völkische Regelung des Zusammenlebens den realen Verhältnissen nicht angemessen. Sie war es noch nie. Immer schon sind durch die nationalstaatliche Regelung von Zugehörigkeit Ausgrenzung betrieben, Gleichberechtigung verhindert und Privilegien verteilt worden.
Deshalb sind Worte auch in diesem Falle Taten, sofern sie real wirken, ganz materiell sich niederschlagen. Das Große und Besondere an der Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes ist allerdings nicht die Veränderung, sondern das Beibehaltene. Der Funke Hoffnung auf einen entscheidenden, zumindest formellen Schritt zu mehr Gleichberechtigung ist im Mehrheitsverhältnis des Bundesrates ausgetreten worden (Die herrschenden Kompromisse sind immer die Kompromisse der Herrschenden!). Daß diese Mehrheitsverhältnisse das Ergebnis der Hessischen Landtagswahlen vom Februar `99 sind und dieses wiederum als ein Votum für die Hetzkampagne der CDU/ CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewertet wurde, deutet exemplarisch die Übereinstimmung zwischen Regierung und (deutscher) Bevölkerungsmehrheit an. Das Volk will den Doppelpaß nicht (warum auch immer, Rassismus bleibt das Hauptmotiv). Der Nationalismus „von unten“ wird „oben“ gerne aufgegriffen und mit der scheinheiligen Rechtfertigung versehen, wie sie von einigen Grünen um Cohn-Bendit zu hören war, daß die Regierung ja auch nicht gegen die Bevölkerung regieren dürfe. (Eine bestechende Logik übrigens: „Die Bevölkerung“ votiert für den weiteren Ausschluß einer Minderheit, wobei natürlich die Minderheit, um die es eigentlich geht, nicht mitbestimmen durfte. Weil sie also nicht gefragt wurden, nicht mitreden durften, sollen sie auch weiterhin das Maul halten müssen).
Die doppelte Staatsbürgerschaft bleibt weiterhin die Ausnahme. Die Option für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, sich bis zum 23. Lebensjahr für oder gegen Deutschland zu entscheiden, erleichtert fortan die Einbürgerung für wenige. Das ius sanguinis ist nicht abgeschafft, sondern lediglich durch ein Bodenrecht (ius soli) ergänzt worden. Ab nächstes Jahr muß dafür der Nachweis „ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache“ erbracht werden, statt bisher lediglich der, sich „verständigen“ zu können. Auf den richtigen Gebrauch der Worte kommt es nun mal an. Was richtig ist, entscheidet weiterhin der Nationalstaat, seine Ämter, seine ökonomischen Bedarfsstatistiken, sein Volk. Dieses Verfahren für bzw. gegen „Fremde“ beschreiben SoziologInnen mit dem Begriff der Assimilation. Nicht zufällig aus der Biologie auf die soziale Welt übertragen, bezeichnet Assimilation ursprünglich die Anpassung eines kleinen Organismus an einen größeren, ohne daß dieser sich dabei verändert. Was für die Pflanzenwelt vielleicht noch denkbar ist, ist für Gesellschaft ausgeschlossen. Daß sich in der Mehrheitsgesellschaft durch Zuwanderung und Zusammenleben nichts ändert, kann ein beliebiger Blick auf die nächste Pizzeria widerlegen. Und mit den „Gastarbeitern“, die einst gerufen wurden, kamen eben nicht nur zukünftige Gastronomiebetreiber, sondern Nachbarn. Assimilation ist also kein organischer Vorgang sozialen Wachstums, sondern ein politisches Programm. Oberster Programmpunkt ist die Aufrechterhaltung kultureller und sozialer Hierarchie. Auch das Nebeneinander von Kulturen, von dem die MulitkulturalistInnen sprechen, ist eine solche Hierarchie. Denn was der von „Nebenan“ zu tun oder zu lassen hat, bestimmen die, die sich zu „Einheimischen“ bestimmt haben. Ghettos bilden soll er schon mal nicht, aber verschwimmende Grenzen müssen auch unter allen Umständen ausgeschlossen werden („Wo kämen wir denn da hin?“ In die Fremde?).
Eine „Jahrhundertreform“ ist der Regierung insofern vielleicht doch gelungen: Ein Bruch mit den Prinzipien moderner Staatlichkeit, sei es ein noch so kleiner Knacks, wurde mit aller öffentlichen Unterstützung gründlich außer Frage gerückt. Wie bei allen Reformen des Jahrhunderts.