"Schritte vom Einbruch der Dunkelheit / Bis zum Anbruch des Tages / Wieviele hört man / im Gleichschritt marschieren? / Sie klopfen an die Türe / Des Unterschlupfs: / Wenn es der Wind ist / Möge er eintreten."
Der Liedermacher José Afonso (1929-87), genannt Zeca, Schöpfer dieses Liedes, war einer der bekanntesten Oppositionellen Portugals. In dem Lied beschreibt er das Gefühl, von der PIDE (portugiesische Geheimpolizei) verfolgt zu werden. Die PIDE stützte den „Estado Novo“ (Neuer Staat), das Regime, das Portugal seit 1933 regierte. Annäherung an das faschistische Spanien, Pressezensur und die Verfolgung oppositioneller Gruppen bestimmten den Alltag. Ein eindringliches Bild hiervon zeichnet Antonio Tabucchi in seinem unlängst verfilmten Roman „Erklärt Perreira“.
Im Februar 1961 hatte in Angola der Guerillakrieg gegen die Kolonialmacht Portugal begonnen, der dann in den Kolonien Guinea und Mozambique aufgegriffen wurde. Dieser Kampf verstärkte in allen Schichten Portugals die Stimmung gegen das Regime, das die Kolonien um jeden Preis halten wollte. Mehrere Versuche, das Regime zu stürzen, scheiterten.
Am 22. Februar 1974 veröffentlichte der Vizechef des Stabes der Streitkräfte, General Spinola, sein Buch „Portugal e o Futuro“. In diesem Buch wurde ein militärischer Sieg Portugals im Kolonialkrieg als unmöglich dargestellt und eine Föderation und mögliche langsame Loslösung von den Kolonien vorgeschlagen. Diese Position war nicht neu und wurde von breiten Teilen der Streitkräfte, die sich aufgrund ihrer Kriegserfahrungen in der „Bewegung“ der MFA (Movimento des Forças Armadas) zusammengeschlossen hatten, geteilt. Daß sie nun öffentlich von derart exponierter Seite vorgetragen wurde, destabilisierte das System. Für den 14. März wurde eine Treuekundgebung für das Regime angeordnet. Als die Chefs der Streitkräfte, die Generäle Costa Gomes und Spinola ihr fern blieben, wurden wie am 15. März abgesetzt. Am selben Tag rebellierten einige Militäreinheiten. Die spontanen und unkoordinierten Aktionen hatten keine Aussicht auf Erfolg, es zeigte sich aber, wie verunsichert die Regierung reagierte. In der Folge wurden opponierende Offiziere inhaftiert, viele allerdings bald wieder frei gelassen und strafversetzt. Dies kam der Bewegung zugute, weil in den neuen Einheiten die Agitation für einen Umsturz fortgesetzt werden konnte. Es war klar, daß bevor das regime härter durchgriff, etwas passieren mußte. Als Termin für den Staatsstreich wurde die Woche vom 20.-27. April festgesetzt und es wurden genaue Pläne für das Ersetzen des Regimes durch eine „politische Demokratie“ ausgearbeitet.
Um 0.30 Uhr am Morgen des 25. April 1974 spielte ein kleiner Sender das Lied „Grandola vila morena“ von José Afonso (Grandola war das Zentrum des kommunistischen Widerstands gegen das Regime). Es war das Startsignal. In den Kasernen übernahmen Offiziere der Bewegung das Kommando. Ihre Gegner nahmen sie fest. In Vollversammlungen wurden die Positionen des MFA dargestellt. Die Zustimmung war massenhaft. Die Regierung war handlungsunfähig, auf den Straßen liefen immer mehr Einheiten der Polizei und der letzten regierungstreuen Truppen zu den Aufständischen über, andere verhielten sich passiv oder ergaben sich. Ab 4.30 Uhr wurde über einen Sender regelmäßig über den Stand der Ereignisse informiert, die letzten Regierungseinheiten zur Besonnenheit aufgerufen und die Bevölkerung aufgefordert, zuhause zu bleiben. Letzteres vergeblich: Vor allem in Lissabon strömten die Menschen auf die Straßen und solidarisierten sich mit den Aufständischen.
Regierungschef Caetano verschanzte sich in einer Kaserne, trat dann aber unblutig ab. General Spinola wurde auf Vorschlag von Costa Gomes von der Junta zum Präsidenten der Republik gewählt. Tote gab es nur bei der Erstürmung des Hauptquartiers der PIDE: vier Tote und 45 Verletzte ist die Bilanz der „Nelkenrevolution“, wie sie nach den in die Gewehrläufe der übergelaufenen Soldaten gesteckten Nelken heißt. Innerhalb eines Tages war nach 48 Jahren der Estado novo gestürzt worden. Für die Kolonien brachte der 25. April im folgenden Jahr die formale Unabhängigkeit, die sich allerdings schnell in Chaos verwandelte, da die Befreiungsbewegungen untereinander zerstritten waren – bis heute.
Der 25. April war aber erst der Ausgangspunkt für eine Vielzahl sozialer Forderungen, die das Land erfaßten. Die bekannteste Forderung „A terra a quem a trabalha“ (das Land denen, die es bearbeiten) wurde durch Enteignung der Großgrundbesitzer und die Gründung von Kooperativen umgesetzt. Für eine kurze Zeit schien die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft möglich. Kommunistische Gruppen hatten anfangs großen Zulauf und Einfluß. In den Wahlen vom April 1975 setzte dann ein Trend zur Mitte ein: die Linke verlor Stimmen und Sitze zugunsten der eher sozialdemokratischen und bürgerlichen Parteien; die Gewerkschaften spalteten sich in zwei Verbände, die eher kommunistischen und die eher sozialdemokratischen. In den folgenden Jahren wurden durch Änderungen der Verfassung zahlreiche Errungenschaften von 1974 wieder abgeschafft, die 1975 verstaatlichten Unternehmen wurden wieder privatisiert, Portugal wurde eine bürgerliche westliche Demokratie. Für viele ist die Nelkenrevolution daher gescheitert. Auch für José Afonso. In einem seiner letzten Lieder heißt es: „Es ist kein Leben möglich / In der verkauften Freiheit / In der verkauften Freiheit / Ist der Tod wünschenswerter“.