Als ich am Mittwoch (24.3.) Abend mit Entsetzen die Berichterstattung über die ersten Natoangriffe auf das Kosova und auf Serbien verfolgte, telefonierte ich mit einer Freundin von mir, um ihr mein Mitgefühl und meine Anteilnahme mitzuteilen – ihre Familienangehörigen wohnen in Serbien und in Mazedonien. Sie war voller Sorge um ihre Familie und fragte mich, was man tun könne. Hilflos, aufgekratzt und mit einem undefinierbaren Schuldgefühl wegen der deutschen Beteiligung kam mir als erstes das Zitat von Paul Celan aus seinem Gedicht „Todesfuge“ in den Sinn: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ Danach war mir erneut klar – wir dürfen nicht schweigen.
In diesen Kriegstagen und insbesondere als Mitarbeiter in einer Flüchtlingsorganisation hat Pazifismus wieder einmal eine neue Verantwortung bekommen: Er verpflichtet gerade in dieser Kriegszeit dazu, den Blick auf die verzweifelte Lage der Menschen zu richten: in Serbien, in Kosova, in Mazedonien.
Krieg ist seit Menschengedenken die Hauptursache für Flüchtlingsströme gewesen. Wie können mir dann rot/grüne Politiker eine Rechtfertigung (oder sagen wir Begründung) für die Bomben liefern, indem sie die furchtbare Lage der Menschen im Kosova als Alibi für den Einsatz todbringender Waffen liefern?
Bomben können ein ganzes Volk traumatisieren, machen es gewaltbereit. Das Ziel, so habe ich verstanden, ist es, mit dem Bombardement von strategischen Zielen eine humanitäre Katastrophe im Kosova zu verhindern. Genau hingeschaut bedeutet das, mit der Zerstörung von Menschenleben will man eine vorher geleugnete Katastrophe verhindern.
Seit vielen Jahren leiden die Albaner im Kosova unter der serbischen Unterdrückung. Hunderttausende haben bereits das Land verlassen und suchen Schutz in den umliegenden Staaten, in der EU und auch in Deutschland. Seit Jahren hören Flüchtlinge vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, von den Verwaltungsgerichten und den Ausländerbehörden, daß ihr Fluchtschicksal nicht ausreiche, um in Deutschland Asyl zu erhalten, das die Verfolgungsdichte im Kosova so gering sei, daß die Wahrscheinlichkeit einer Menschenrechtsverletzung für sie keinen Abschiebungsschutz gemäß der Genfer Konvention rechtfertige und das Abschiebungen deshalb möglich seien, da es eine inländische Fluchtalternative für sie in Belgrad gebe. Menschen aus der Bundesrepublik Jugoslawien – und somit auch die Flüchtlinge aus dem Kosova – sollen aus der geplanten Altfallregelung ebenso herausfallen, wie die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien. Lebensperspektiven für sie bleiben auf der Strecke.
Aber nicht nur wir kritisieren die bundesdeutsche Asyl- und Abschiebungspraxis. Eine höchst bemerkenswerte Kritik kam jüngst von einem Londoner Obergericht, das in einer Entscheidung betont hatte, Deutschland sei für Kosova-Albaner kein sicheres Drittland – wegen der geringen Anerkennungsquote würde den meisten Flüchtlingen die Abschiebung drohen.
Und heute? Milosevic ist als unbarmherziger Feind ausgemacht, die Greueltaten der Serbischen Armee und der Milizen im Kosova werden jetzt politisch wahrgenommen und als Grund für das Handeln angegeben. Handeln, das vornehme Wort für bomben, verstümmeln, töten. Gestern noch wurden Flüchtlinge dem „Rechtsstaat“ unter Milosevic direkt in die Arme geliefert, die humanitäre Katastrophe geleugnet. Heute wird so getan, als sei die Not der Menschen in Kosova erst in den letzten Wochen entstanden. Viele Jahre ist der gewaltfreie Widerstand der Kosova-Albaner unter Rugova von der internationalen Staatengemeinschaft nicht unterstützt worden – erst mit dem Auftauchen der UCK-Krieger wurde das Problem wahrgenommen, aber nicht gelöst. Jahrelanges Zusehen ohne politische Konzeption machten diesen Kriegseinsatz ohne UNO-Mandat scheinbar notwendig. Als heuchlerisch nehme ich die Politiker wahr, die der Unterdrückung in Kosova jahrelang tatenlos zugesehen haben und Abschiebungen dorthin als notwendig erachteten. Dieselben Menschen sind jetzt zutiefst moralisch entrüstet über die Greueltaten in Kosova. Wer jetzt den sofortigen Stopp der Bombardements fordert, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, nichts gegen das Morden im Kosova unternehmen zu wollen – welche Perversion.
Aber was ist zu tun? Welche Forderungen sind sinnvoll?
Die Bombardements müssen sofort gestoppt werden, und die Kriegsparteien müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Die Schutzgewährung für die halbe Million Flüchtlinge muß oberste Priorität haben.
Die Grenzen für die Flüchtlinge müssen sofort geöffnet werden.
Einreise, Aufenthalt, Versorgung und die Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme müssen sichergestellt werden
Es gibt auch einige wenige positive Ansätze für Flüchtlinge aus dem Kosova wie z.B. in Münster. Hier wurden im letzten halben Jahr mehr als 450 Flüchtlinge aus dem Kosova unbürokratisch aufgenommen und geduldet, obwohl es keinerlei finanziellen Hilfen durch die Landesregierung gibt. Der OB von Aachen hat Abschiebungen in die Kriegsregion aber auch in die umliegenden Länder Albanien, Mazedonien, und Bulgarien gestoppt. Es gibt eine Hoffnung, daß als Lehre aus diesem Krieg die innenpolitische Diskussion über Flüchtlinge versachlicht wird, daß die Diskussion über sie nicht mehr unter dem Titel illegale Zuwanderung oder kriminelle Schleuserbanden läuft, sondern wieder die Menschen und ihre Schutzbedürftigkeit im Vordergrund steht. Pazifismus und Flüchtlingsschutz bedingen sich – sich dafür einzusetzen ist vielleicht die einzige hilfreiche Antwort, nicht nur für meine Freundin. Der Blick auf die Opfer und ihre Angehörigen in Serbien, Montenegro, Kosova und Mazedonien läßt uns keine Alternative.
Frieden jetzt!