beilage: nein zu bomben, krieg, vertreibung!

Antikriegsbewegung in Jugoslawien

| Teodora Tabacki (Frauen in Schwarz, Belgrad) Übersetzung: Christoph Rolle Redaktion: Ingrid Jungwirth

Ja, es gab und gibt sie: die Friedensbewegung in Jugoslawien! Die authentische Antikriegsbewegung im ehemaligen Jugoslawien wurde vom Staat weder finanziell noch sonstwie unterstützt. In den jugoslawischen Medien wurde kaum einmal über sie berichtet.

Im Juli 1991 begann sie in Sarajevo mit einem Friedenskonzert, an dem 300.000 Menschen teilnahmen. Zu Beginn des Jugoslawien-Krieges war in Bosnien-Herzegowina die Antikriegsbewegung sehr stark. Hunderttausenden war bewußt, welche Tragödie ein beginnender Krieg in Jugoslawien mit sich bringen würde.

Im September 1991 kam es zu einer europäischen Friedenskarawane durch Jugoslawien, organisiert vom „Helsinki Bürgerkomitee“. Es sollten Kontakte zwischen den BürgerInnen Europas und Jugoslawiens hergestellt werden und Alternativen zum Krieg entwickelt werden. Diese Friedenskarawane begann in Triest mit 400 Personen und reiste durch Lubljana, Zagreb, Subotica, Novi Sad, Belgrad bis nach Skopje. Es wurden Menschenketten mit Personen aus allen vier Hauptreligionen gebildet, KatholikInnen, Orthodoxen, MuslimInnen und Juden/Jüdinnen. Diese Karawane war sehr erfolgreich, denn daran anschließend wurden viele Gruppen gegründet, die bis heute aktiv geblieben sind, darunter die „Frauen in Schwarz“ in Belgrad, die Zagreber Antikriegskampagne, sowie verschiedene Zentren für Menschenrechte. Internationale Kontakte wurden hergestellt. Aus dieser Zeit rühren noch immer viele Kontakte zwischen den FriedensaktivistInnen, die jeweils in ihren Teilrepubliken gegen ihre Regimes kämpfen. Von 13 verschiedenen Organisationen wurde ein Aufruf verfaßt, in dem ausgedrückt wird, es dürfe kein Menschenleben geopfert werden, egal für welche politischen Ziele. Trotzdem waren die MitstreiterInnen der Friedensbewegung nicht allzu zahlreich, fühlten sich oft als AußenseiterInnen und zweifelten an ihrer eigenen Kraft.

Eine ihrer ständigen Aktionen war ein feierliches Anzünden von Kerzen für alle, die im Krieg ihr Leben verloren hatten. Das fand vom 8.10.1991 bis zum 9.2.1992 vor dem Parlament in Belgrad statt. Zwischen 50 und 100 Menschen nahmen regelmäßig teil. Diese „Kerzenaktionen“ führten zu weiteren Aktionen wie zum Beispiel der Übergabe von Petitionen für Miroslav Milenkovic.

Die Geschichte von Milenkovic stellt einen dramatischen Einzelfall im Widerstand dar, nämlich einen Fall der Kriegsdienstverweigerung. Milenkovic wurde einberufen und dann nach Ostslawonien an die Front gebracht, wo ihm eine Waffe in die Hand gedrückt wurde, mit der er fortan kämpfen sollte. Da es ihm nicht „männlich“ erschien, diese Waffe abzulehnen, hat er sich vor der versammelten Mannschaft und vor den Offizieren selbst getötet.

Die Antikriegsbewegung betreute viele Fälle von Fahnenflucht. In Belgrad waren es zeitweise weniger als 10 Prozent, die der Einberufung tatsächlich nachgekommen sind. Auch anderswo in Serbien kam es zu diesem Nichtbefolgen der Mobilmachung. Meist machten das städtische junge Menschen mit Ausbildung oder Kontakten zum Westen. Auf dem Lande bedeutete eine Nichtbefolgung immer noch eine Verletzung der patriotischen Pflicht. In der jugoslawischen Verfassung ist zwar garantiert, daß der Wehrdienst aus Gewissensgründen abgelehnt werden kann. Der theoretisch vorgesehene Zivildienst dauert aber doppelt so lang. Und die Verweigerung aus religiösen Gründen wird kaum anerkannt. Dafür wird man vor einem Militärgericht zu einer Haftstrafe verurteilt. Bisher sind 300.000 städtische Jugendliche der Zwangsmobilisierung entgangen, indem sie das Land verlassen haben. Aber damit haben sie ihre Rechte auf Rückkehr, auch auf ein Erbe, verwirkt.

Eine weitere Kampagne der Friedensbewegung war später die Forderung, daß kein junger Mann für einen Einsatz außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien & Montenegro) rekrutiert werden dürfe. Es wurden fast 80.000 Unterschriften für eine Parlamentsdebatte über diese Frage gesammelt. Obwohl im Prinzip 100.000 Unterschriften nötig gewesen wären, wäre wahrscheinlich auch dies für die Regierung kein Grund gewesen, diese sogenannten „Einberufungen zu Wehrübungen“ (damit waren Kriegseinsätze in Bosnien, Herzegowina und Kroatien gemeint) einzustellen. Aber diese Kampagne hatte doch einen gewissen Einfluß auf die öffentliche Meinung.

Als die Überfälle und Bombardierungen von Sarajevo waren, wurde in Belgrad von der „Organisation des Widerstands der Bürger“ mit einem schwarzen Trauerflor dagegen demonstriert. Daran nahmen 100.000 Menschen teil. Es war eine der stärksten und größten Demonstrationen gegen den Krieg. Daneben gab es aber auch Rockkonzerte unter dem Motto „Rechnet nicht mit uns!“ oder pädagogische Projekte vom „Zentrum für Antikriegsaktionen“, wie zum Beispiel eine wissenschaftliche Analyse der Schulbücher, bei der untersucht wurde, inwieweit die Schulbücher patriarchalischen und chauvinistischen Inhalts sind. Es ging auch um Konfliktlösung oder die Weiterbildung von GrundschullehrerInnen in den Themenbereichen Toleranz und Vertrauensbildung.

Seit Beginn des Krieges bis zum heutigen Tage organisieren die Belgrader „Frauen in Schwarz“ stille Proteste gegen Krieg, ethnische Säuberungen und die Verletzung von Menschenrechten. Lange Zeit trafen sie sich wöchentlich auf offener Straße. Gegenwärtig versuchen sie im Geheimen, Deserteuren bei der Flucht zu helfen. Der „Belgrader Kreis“, eine weitere Antikriegsgruppe, organisiert jeden Sonntagabend Treffen kritischer Intellektueller zu ihrer Verantwortung für den Krieg. Auch er ist bis heute sehr aktiv und bringt Bücher und Zeitschriften heraus. SOS-Telefone gibt es für die Opfer ethnischer und rassistischer Gewalt, ebenso einen SOS-Dienst für Frauen, Kinder und Opfer familiärer Gewalt sowie rechtliche und psychologische Hilfe für die Bedrohten. Der Staat ist offensichtlich nicht daran interessiert, sich mit dieser Gewaltproblematik auseinanderzusetzen. Auch in kleineren Städten wie Leskovac und Nis, in abgelegeneren Regionen von Montenegro und Serbien, in patriarchalischen, ländlichen Gebieten waren solche Telefone selbstorganisiert.

Auch die unabhängige Gewerkschaft „Frieden, Brot und Demokratie“ gehört zur Antikriegsbewegung. Sie versucht durch ArbeiterInnenbildung gegen die Propaganda der Machthaber vorzugehen und dem Gerede über „nationale Interessen“ und die „Gräber der Vorfahren“ etwas entgegenzusetzen. Bis heute hat sich die unabhängige Gewerkschaft zu einer wahren Massenorganisation entwickelt und scheint ein wichtiger Pfeiler für den Aufbau einer politischen Alternative zu werden. Sie kann das Regime durchaus in die Zwickmühle bringen.

Der StudentInnenprotest im Sommer 1992 war im Unterschied zu späteren StudentInnenunruhen ein reiner Antikriegsprotest, eindeutig antimilitaristisch. Die StudentInnen haben für Toleranz und internationalen Dialog geworben.

Die Antikriegsbewegung wurde auch von engagierten KünstlerInnen unterstützt. Dabei möchte ich die Gruppe „Magnet“ besonders hervorheben. Mit Performances provozierte sie die Öffentlichkeit und wurde deswegen von der Polizei verfolgt.