Heute ist es schwer vorstellbar, doch tatsächlich sind die Anfänge der heute staatstragenden Nichtregierungsorganisation und der Graswurzelrevolution eng miteinander verquickt. Zum 50-jährigen Bestehen der GWR wirft Johann Bauer einen Blick zurück auf die gemeinsame Geschichte und die graswurzelrevolutionären Umwelt-, Anti-Atom- und Friedensaktionen für einen „Green Peace“, die unter diesem Namen im Jahr 1973 eine Blüte erlebten. (GWR-Red.)
Dies ist nicht etwa ein Text gegen Greenpeace, eher schon ein Text über die Vergesslichkeit sozialer Bewegungen, ihrer Verwalter*innen und Interpret*innen. Auch ein Text darüber, wie soziale Bewegungen sich verändern und eine Geschichtspolitik allzu linear Erfolgsgeschichten schreibt und abgebrochene Versuche, angeblich gescheiterte Anfänge links liegen lässt. Auch: Dass immer strittig bleibt, was aus einer Geschichte zu lernen wäre, ob etwas „gescheitert“ ist – und woran?
Von der „Hippie-Truppe“ ins Außenministerium
„Greenpeace im Außenministerium“ (1) ist heute eine typische Schlagzeile zu Greenpeace: Jennifer Morgan, „bisher Geschäftsführerin von Greenpeace International, der globalen Dachorganisation der wohl schlagkräftigsten Ökolobbyorganisation der Welt“ (so der Text weiter), wurde zur Staatssekretärin im Auswärtigen Amt ernannt: „Die international bestens vernetzte Morgan soll für Deutschland Klimadiplomatie betreiben“. Ein ähnlicher „Coup“ wie gerade Annalena Baerbock sei 1990 schon Gerhard Schröder gelungen, der die „Deutschlandchefin“ von Greenpeace zur niedersächsischen Umweltministerin ernannt hatte. Da es sich um eine Meldung auf der Wirtschaftsseite handelt, wird erwähnt, dass die disruptiven Taktiken von Greenpeace der Organisation besonders in Deutschland zahlreiche Unterstützer*innen eingebracht haben: „Rund 630 000 Fördermitglieder zählt Greenpeace hierzulande. 2020 wurden aus Deutschland Spendeneinnahmen von 80 Millionen verbucht, ein Rekordwert und ein Zuwachs um ein Drittel binnen fünf Jahren. Das Geschäft floriert.“
Für Investor*innen ein kleiner Warnhinweis: „Hervorgegangen ist Greenpeace 1971 aus einer Hippie-Truppe, die gegen Atomtests demonstrierte.“ Zur Beruhigung und Entwarnung: Der „Ökolobbykonzern“ sei schnell eine „hierarchisch durchorganisierte Kampagnenmaschine mit straffen Entscheidungsstrukturen und weltweit 3500 Angestellten“ geworden, die „erste Gruppe von Umweltaktivisten mit professionellen PR-Methoden“.
Lücke in der Geschichtsschreibung
Ähnlich wurde auch schon über den „globalen Konzern“ berichtet, als Greenpeace 50 Jahre alt geworden war. So gut wie alle Würdigungen trugen Titel wie „Greenpeace GmbH & Co. KG“ (2) oder „Von der Ökobewegung zum Konzern“. (3) In allen diesen Darstellungen heißt es: „Ab 1981 wird Greenpeace auch in Deutschland ein Begriff“. (4) Auch die Organisation selbst datiert ihren Start in Deutschland ins Jahr 1980: „Wie alles begann: Im Jahr 1980 kennt kaum jemand in Deutschland Greenpeace. Umweltschutz ist für die meisten ein Fremdwort. Das ändert sich nach der Gründung des deutschen Greenpeace-Büros…“ (5) Dass 1980 „Umweltschutz“ ein Fremdwort für die meisten Menschen in Deutschland gewesen wäre, ist schon eine sehr kühne Behauptung. Man muss nicht Graswurzelrevolution lesen, um das widerlegt zu sehen, es genügt etwa der „Spiegel“, sogar die FDP machte damals schon längere Zeit in „Umweltschutz“, es gab schon eine entwickelte Debatte, ob „Umweltschutz“ genüge. Vor allem war auch Greenpeace nicht so unbekannt; die Graswurzelrevolution Nr. 6 (Oktober 1973) berichtete: „In allen Zeitungen konnte man von Mai bis September über die weltweite Kampagne gegen die französischen Atomtests im Pazifik lesen.“ (6)
Ein verschwiegenes Jahrzehnt
„In Deutschland kam es 1980 in Nordenham zur ersten Greenpeace-Aktion. Aktivisten in Schlauchbooten protestierten gegen die Verklappung giftiger Dünnsäure in der Nordsee. Im November 1980 eröffnete Greenpeace Deutschland seinen Hauptsitz in Hamburg“. (7) Und – wieder nur als ein Beispiel für viele – man weiß auch die Gründungsgestalten zu würdigen: „Im Herbst 1980 zählte Griefahn, damals Mitte zwanzig, zu den Gründern von Greenpeace Deutschland. Sie war eine der prägenden Figuren in diesen Anfangsjahren. Die junge Frau aus dem Ruhrgebiet wurde die erste Deutschland-Geschäftsführerin …“. (8) Auch Handbücher sozialer Bewegungen lassen Greenpeace in Deutschland 1980 starten. (9) Sogar im kenntnisreichsten Buch über Greenpeace, verfasst von Frank Zelko, liest man im Deutschland-Kapitel: „Die spektakuläre gewaltfreie Praxis der direkten Aktion von Greenpeace war für die deutschen Umweltschützer neu …“ (10)
1973: „Momentan ist die Greenpeace Kampagne unter großen Anstrengungen (…) gelaufen“ (11)
Es wird sich also um ein Fake handeln, wenn die Graswurzelrevolution 4/5 (1973) als Titelbild Greenpeace mit dem damals charakteristischen Logo zeigt – ein Teil davon war das bekannte „Peace“-Zeichen der Campaign for Nuclear Disarmament (CND), das sich seitdem international in den Kampagnen für Abrüstung, beim Ostermarsch und den Kämpfen gegen den Vietnamkrieg verbreitet hatte. „Stoppt die franz. Atomtests!“ Ein langer Artikel mobilisiert mit Hintergrundberichten und Berichten über Aktionen, die bis dahin in der Bundesrepublik, in Frankreich, Österreich, der Schweiz stattgefunden hatten, zu einer zentralen Demonstration in Bonn am 1. Juni 1973.
Die französische Regierung plante, im Sommer 1973 im Südpazifik ihre bislang stärkste Wasserstoffbombe zu zünden, was zur Kontamination der Bevölkerung Polynesiens und zu Auswirkungen auf viele Nachbarländer führen musste; alle Proteste von betroffenen Ländern (Neuseeland und Australien hatten den Internationalen Gerichtshof angerufen, den Frankreich für „inkompetent“ erklärte), aber auch der Internationalen Föderation Freier Gewerkschaften, der Weltgesundheitsorganisation WHO, von Umwelt- und Friedensorganisationen aus aller Welt waren wirkungslos. Deshalb würde Greenpeace mit Schiffen in die betroffenen Gebiete gewaltfrei intervenieren, „mit den französischen Wachbooten Katz und Maus spielen“. (12)
Diese Aktionsform und ihre Vorgeschichte zeigen auch deutlich, dass Greenpeace eine Gründung aus der Friedensbewegung war: Protestfahrten in Gebiete, in denen Atomwaffen getestet wurden, waren in Deutschland eher unbekannt geblieben, aber in den englischsprachigen Ländern hatten sie wirkungsvoll solche Tests dramatisiert: Zuerst die „Golden Rule“ 1958 im amerikanischen Testgebiet im Südpazifik, dann 1961 „Phoenix“, danach „Everyman“ I, II und III, vom US-amerikanischen Committee for Non-Violent Action gegen amerikanische und sowjetische Tests eingesetzt. Und daneben gab es Schiffe, die Medikamente nach Vietnam brachten. An diese Interventionen knüpfte Greenpeace an. (13)
„Frieden mit der Umwelt“
„Greenpeace“ muss erklärt werden: „das gesamte Konzept einer Lebensauffassung, die in allen Bereichen des täglichen Lebens den Frieden mit der Umwelt, besonders mit der Natur, anstrebt – und das kann man ruhig wörtlich nehmen: denn zur Zeit leben wir im nicht erklärten Krieg mit der Umwelt, führen wir einen Vernichtungsfeldzug – gegen Pflanzen und Tiere mit Waffen, die sich letzten Endes gegen uns selbst richten werden. Greenpeace – das bedeutet militanter Umweltschutz an allen Fronten, auch bei uns selbst, bedeutet, deinen Lebensstil in Einklang mit der Erde zu bringen.“ (14)
„Greenpeace“ wurde in den Dokumenten dieser Zeit unterschiedlich geschrieben, etwa „GreenPeace“ oder „Green Peace“! Heute wird Greenpeace eindeutig als Umweltorganisation verortet, damals wurde „Peace“ großgeschrieben, wie es sich aus der Herkunft und Motivation der Gründer*innen erklärt.
Der spezifische „Greenpeace“-Stil besteht aus demonstrativen direkten Aktionen, die medienwirksam kalkuliert sind. Nicht wenige der Gründer*innen waren Quäker*innen, die ihre Tradition des „Zeugnisablegens“ mitbrachten und die in den Friedensbewegungen die gandhianischen Formen gewaltlosen Widerstands propagiert hatten. Sie waren auch universalistischer Ethik verpflichtet und Internationalist*innen. Viele dieser Züge hat Greenpeace beibehalten, bei aller Professionalisierung.
Medienwirksame Inszenierungen
Nicht ganz so begeistert bin ich von den journalistischen Einflüssen, die es schon zu Anfang gab, nach Frank Zelkos Ansicht verstärkt durch Marshall McLuhans Medientheorie, die in der Gegenkultur beliebt war und ein „globales Dorf“ heraufziehen sieht, stark durch Bilder bestimmt. So waren die Greenpeace-Aktionen von Beginn an auf eine Medienstrategie abgestellt (während wir in anarchistischen Traditionen eher tatsächliche Handlungen und Entscheidungen favorisierten, bei allen internen Unterschieden, die es bei uns wie bei Greenpeace von Beginn an gab).
Als am 15. September 1971 die „Greenpeace“ ablegte, wurde sie von einer winkenden Gruppe auf die sechswöchige Reise verabschiedet, das alles wurde gefilmt. In Wirklichkeit legte sie 20 Minuten später an einem anderen Ort in Vancouver wieder an. Nur für die Medien hatte man das Auslaufen inszeniert, noch vor der Dämmerung und den Sechs-Uhr-Nachrichten. Einige Crew-Mitglieder konnten dann in einer Kneipe „ihr eigenes Auslaufen in den Abendnachrichten sehen, noch ehe sie einen Fuß an Bord gesetzt hatten.“ (15)
Auf diese Weise entstehen zynische Positionen, die mit einem gewaltfreien und basispolitischen Politikverständnis schwer vereinbar, aber sicherlich effektiv sind. Auf Dauer sind aber weder „Die Welt will betrogen werden“ noch Manipulationen mit emanzipatorischer Politik vereinbar.
In der „professionellen“ Friedensbewegung der 1980er-Jahre gab es nicht selten Situationen, die ich immer eher abstoßend fand: „Machen wir noch ein Die-in?“ – „Nö, ist ja keine Presse da.“ Solche Praktiken gehen bis zur Simulation, um nicht Betrug zu sagen, und ich finde sie in Emanzipationsbewegungen irritierend. Aber das ist zweifellos ein ganz sektiererischer Standpunkt. (16)
Vielfältiges und offenes Netzwerk
So etwas wurde aber Anfang der 1970er-Jahre nicht bemerkt. Radikale direkte Aktion mit einem gegenkulturellen Hintergrund, die merkwürdige Verbindung von älteren Aktivist*innen des militanten Pazifismus mit aus der Beat-Kultur, der Neuen Linken oder auch den LSD-Kulturen stammenden Aktivist*innen ergab eine kreative und brisante Mischung. Vor allem war „Greenpeace“ offen, jede*r konnte unter dieser Bezeichnung loslegen, ohne die Greenpeace Foundation in Vancouver zu fragen, und alles Mögliche damit verbinden, Londoner Anarchist*innen, französische Atomwaffengegner*innen, Radikalökolog*innen, Regenbogenkrieger*innen.
So war das Netzwerk unter diesem Namen auch in der Bundesrepublik attraktiv für solche Gruppen, die von antimilitaristischen Themen bewegt wurden und sich für die Weiterentwicklung direkter gewaltfreier Aktionen, nicht selten mit revolutionären Absichten, interessierten. Greenpeace bildete weltweit eine der wichtigsten Übergangsbewegungen vom Kampf gegen atomare Verseuchung durch Waffen über die Kritik des „Fall-outs“ bei den Atomversuchen in der Atmosphäre zum Kampf gegen die „friedliche Nutzung“ der Atomenergie. Tatsächlich steht der spätere Haupt-Slogan der Anti-AKW-Bewegung „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ bereits auf den Flugblättern, die von den Münchener Greenpeace-Koordinator*innen verbreitet wurden: „Solidarität mit den Völkern des Pazifiks, stoppt die französischen Atomtests!“ und „Unterstützen Sie die Friedensaktion ‚greenpeace‘“.
Weit über München hinaus
Die Münchener „Greenpeace Koordination BRD“, Petra Lotze und Elmar Rüger, schrieb Leser*innenbriefe, (17) verschickte Flugblätter, Anregungen für Straßentheater-Aktionen, Unterschriftenlisten, (18) Informationen über Aktionen, die stattgefunden hatten und geplant waren, eine Greenpeace-Dokumentation zur Frage der Atomtests, die „von der Arbeitsgruppe Greenpeace (15.3.–20.3.73) im Internationalen Freundschaftsheim in Bückeburg aus dem Englischen übersetzt“ wurde. Daran waren neben Petra und Elmar (19) auch andere beteiligt, die damals in der sich formierenden Graswurzelbewegung aktiv waren, etwa Eric Bachmann und Hermann Koch, die beide zur „Europäischen Arbeitsgruppe“ des Internationalen Versöhnungsbundes in Groß Heere gehörten, Kerstin Fischer und Ulrich Clever.
Im Verteiler und an den Aktionen beteiligt waren neben Leuten aus Gewaltfreien Aktionsgruppen auch Aktivist*innen des „Verbandes Progressiver Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer“ (PPK), einer Organisation, die sich in Opposition zu gewaltaffinen und staatssozialistischen Einflüssen in den pazifistischen Organisationen gebildet hatte und direkte gewaltfreie Aktionen propagierte. Ebenso gab es Kontakte zu einzelnen Gruppen des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer (VK), etwa in Göttingen, wo es sogar ein sehr breites Bündnis mit AStA-Unterstützung gab und dessen Initiator*innen Ulrike Naumann und Klaus Marquardt später lange in der Gewaltfreien Aktionsgruppe Göttingen aktiv waren. (20)
„Das hat doch nichts mit Umweltschutz zu tun“
Die „Jungen Europäischen Föderalisten“ wurden sogar in der Internationalen Berichterstattung über BRD-Aktionen erwähnt (die Gruppe ist heute kaum noch bekannt, brachte in ihrer Zeitschrift „Forum E“ damals gute Beiträge mit ökologischen, antimilitaristischen und gewaltlosen Bezügen; Petra Kelly und Jo Leinen waren dort aktiv).(21) Dass die JEF sich beteiligten, wird mit dem zweiten Ziel der Kampagne zu tun haben: Neben der Verschmutzung des Pazifik durch Radioaktivität soll auch verhindert werden, dass das entstehende Europa eine hochgerüstete Atommacht wird.
Allerdings war das Verständnis für Zusammenhänge nicht überall ausgeprägt. Das musste Michael Schroeren erfahren, als er die Demonstration am 1. Juni 1973 auf dem Polizeirevier anmelden wollte:
„Was für ne Organisation demonstriert denn da?“ – „Greenpeace.“ – „Was ist denn das fürn Ding?“ – „Umweltschutzbewegung, die jetzt gegen die französischen Atomtests protestiert.“ – „Ach, dann haben Sie ja gar nichts mit dem Breschnew-Besuch zu tun!“
Oder später ein anderer Polizist, der auf seine Frage nach dem Thema der Demonstration ebenfalls erfahren hatte:
„Umweltschutz – Stoppt die französischen Atomtests!“ – „Wie, das hat doch nichts mit Umweltschutz zu tun.“ (22)
Frühe Pannen und Gegenstrategien
Wenn man heute die Auswertungen der Aktionen liest, so muss man feststellen, dass ihnen in der Bewertung vieler Akteur*innen das gefehlt hat, was an Greenpeace später gepriesen oder kritisiert wurde: Effektivität, Professionalität, Medienpräsenz.
Es gab einige Pannen, beispielsweise dass für das Bonner Treffen Mitte Mai 1973 von München wie von Mönchengladbach aus Räume gemietet wurden, „weil der eine vom anderen annahm, er machtʼs nicht.“ (23)
Wolfgang Hertle erwähnt die minimale öffentliche Resonanz und deprimierte Stimmung beim „Beerdigungszug“ und der Unterschriftenübergabe in Bonn; Bonn war mit Demonstrationen und öffentlichen Aufmerksamkeits-Anlässen damals gesättigt. „Das Fehlen finanzieller und organisatorischer Mittel“ wird ebenso erwähnt wie die Besonderheit einer weit entfernten Gefahr, die nicht von direkt Betroffenen bekämpft wird. Aber es lassen sich 1973 noch andere Dimensionen der Effizienzsteigerung als organisatorisch-finanzielle erkennen:
„Die Konsequenz sollte sein, die Unterstützung der Greenpeaceflotte zum Anlaß zu nehmen, in Zukunft mehr und mehr direkt gegen militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik zu intervenieren. Im vergangenen Jahr erreichte die belgische gewaltfreie Bewegung, daß in belgischen Häfen keine Waffen für Vietnam mehr verladen werden konnten; in Kiel, wohin man die Verladung daraufhin verlegte, fehlten entsprechende Aktionen gewaltfreier Gruppen. In Zukunft sollten also alliierte Waffentransporte, Manöver, Truppenübungsplätze, Kasernen, Kreiswehrersatzämter und Rüstungsfabriken unsere Phantasie und den direkten gewaltfreien Einsatz herausfordern.“ (24)
Nach der ersten Blüte 1973
„Wie steht es mit ‚greenpeace 74‘ in der BRD?“ fragte im Februar 1974 Karl-Heinz Seng, damals deutscher Mitarbeiter der War Resistersʼ International, im „Komitee-Info“. Das Komitee-Info versprach, Materialien aus Peace News zu übernehmen, und hielt es für denkbar, die Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke anzusprechen. (25)
Es gab dann aber viel mehr lokale Aktivitäten (etwa Hausbesetzungen, Jugendzentren, Anti-AKW-Arbeit) und andere Solidaritätskampagnen, die wichtiger geworden waren: Die Unterstützung der inhaftierten Kriegsdienstverweigerer und der gewaltlose Kampf der mexikanischen Landarbeiter*innen in den USA. Seit der Selbsttötung von Hermann Brinkmann 1974 aus Verzweiflung über die Ablehnung seines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung war die Situation inhaftierter Kriegsdienstverweigerer eine wichtige Herausforderung. Und die Unterstützung der United Farmworkers galt einer anderen Arbeiter*innenbewegung, einer gewaltlosen Massenbewegung migrantischer Arbeiter*innen.
Bevor es 1976 zu einer starken Konzentration auf die Bauplätze der Atomkraftwerke kam, hatten die gewaltfreien Aktionsgruppen ein sehr breites Themenspektrum, das von Kampagnen gegen Rüstungsexporte über die Verfolgung der vietnamesischen Buddhist*innen, Chile, Namibia, Griechenland bis zum Outspan-Boykott gegen das südafrikanische Apartheid-Regime und den Rückzug der Brit*innen aus Nordirland reichte.
(1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.02.2022, Wirtschaftsseite
(2) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2021, ebenfalls Wirtschaftsseite. Der Text ist lesenswert und informativ.
(3) https://www.ardmediathek.de/video/geschichte-im-ersten/von-der-oekobewegung-zum-konzern-50-jahre-greenpeace/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2dlc2NoaWNodGUtaW0tZXJzdGVuL2M3ODIzMDg4LTExOWQtNDBkNi05MjEyLWI4ZGRmMmJmNTUwOQ
(4) ebd., ARD-Dokumentation. Die Dokumentation ist sehenswert! In einem „Spiegel-TV“-Beitrag wird gar behauptet, nachdem auch dort alles 1980 mit einem Schlauchboot und den Boehringer-Aktionen beginnt, in den 1980er-Jahren sei die Zeit günstig gewesen, weil die „Grünen“ (jetzt: Olivgrünen) gegründet worden waren, Wissenschaft und Jugendbewegung einen Resonanzboden geboten hätten. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=iTfUTTCTf8s. In Wirklichkeit waren es eher die Jugendbewegung Ende der 1960er-Jahre und die internationale Friedensbewegung, die am Anfang von Greenpeace stand, und Greenpeace hat eher einen Resonanzboden für grüne Parteigründer*innen und wissenschaftliche Untersuchungen zur Umweltzerstörung bereitet.
(5) Greenpeace: Aktionen, Erfolge und Geschichte, https://www.greenpeace.de/sites/default/files/publications/greenpeace-aktionen-erfolge-geschichte-a01373.pdf (eingesehen und kapituliert am 05.02.2022, d. Verf.)
(6) Wolfgang Hertle: Aus deutschen Landen, in: GWR Nr. 6 (1973), S. 7; dort werden Aktionsbeispiele und beteiligte Gruppen erwähnt.
(7) https://www.greenpeace.de/historie
(8) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2021
(9) Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: Ein Handbuch. Frankfurt/M.: Campus-Verl., 2008, S. 235
(10) Frank Zelko: Greenpeace: Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, S. 283. Neu war der Greenpeace-Stil für die traditionellen Umweltverbände, weniger für die BIs und noch weniger für die gewaltfreien Aktionsgruppen. Allerdings setzten auch diese öfters auf direkte Be- oder Verhinderung, weniger auf eine Medienstrategie. Noch anders stellt sich die Sache dar, wenn man Greenpeace eben nicht in erster Linie als Umweltorganisation begreift, sondern die antimilitaristischen Ursprünge sieht. Unterbelichtet ist bei Zelko leider ein besonderes deutsches Kapitel: Uwe Bastian: Greenpeace in der DDR: Erinnerungsberichte, Interviews und Dokumente. Berlin: edition ost, 1996. Interessant neben dem guten Überblick über die Umweltdiskussion in der DDR und der Bespitzelung durch die Stasi ist auch das bereits sehr weitreichende und praxisorientierte Konzept einer alternativen Energiewirtschaft durch Uwe Bastian auf S. 242 ff
(11) Das schrieb am 28.07.1973 Wolfgang Kroner in einem Brief an mich. Wolfgang Kroner war 1973 die regionale Kontaktadresse „Süd“ der zehn anarchistischen regionalen Kontakte, die im „Anarcho-Info“ angezeigt waren. Und Wolfgang Kroner hatte sich im September 1972 in Solidarität mit den spanischen Kriegsdienstverweigerern, die das Franco-Regime bis zu 26 Jahre in den Knast schickte, in Barcelona bei einer Protestaktion verhaften lassen. Ihm drohten deshalb sechs bis zwölf Jahre Haft in Francos Knästen. Die Kampagne für seine Freilassung war die erste gemeinsame Aktion der beginnenden Graswurzelbewegung, mit einer Ankettungsaktion in Gefangenenkleidung an der spanischen Botschaft am 11.12.1972. Am 12.12.1972 wurde er aus der Haft entlassen; vgl. Graswurzelrevolution 2/3 (1973).
(12) Graswurzelrevolution 4/5 (1973), S. 3
(13) Zu den Einflüssen, die das in Deutschland hatte, vgl. etwa Michael Frey: Vor Achtundsechzig: Der Kalte Krieg und die Neue Linke in der Bundesrepublik und in den USA. Göttingen: Wallstein, 2020, S. 146ff. Zur Vorgeschichte von Greenpeace und der Organisationsentwicklung ausführlich, anschaulich und lesenswert: Frank Zelko: Greenpeace: Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014. Der englische Originaltitel ist treffender: Make it a green peace! The rise of a countercultural environmentalism! Zelko bietet neben der ausführlichen Entwicklungsgeschichte eine Innenansicht von Greenpeace mit allen Spannungen, Konflikten, Brüchen, die entmythisierend wirkt. Kurz zu den Ursprüngen der Greenpeace-Aktionen, auch mit Hinweisen auf die anarchistischen und gegenkulturellen Bezüge: Wolfgang Hertle: „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv!“: Die internationale Kampagne gegen die französischen Atombombenversuche, in: Gewaltfreie Aktion, Nr. 17/18 (1973), S. 12–20
(14) Graswurzelrevolution 4/5 (1973), S. 3
(15) Frank Zelko: Greenpeace: Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, S. 64
(16) Die Geschichte von Greenpeace, wie sie Zelko berichtet, bietet reiches Anschauungsmaterial, wie Unternehmertypen, Draufgänger*innen, Lebemänner Führungsfiguren wurden und sehr effektiv gewaltfreie direkte Aktionen organisierten. In die Fußnote verbanne ich deshalb wieder die problematische These, dass es sowohl innerhalb gewaltloser Bewegungen wie in Bündnissen und Konfrontationen (etwa hier mit dem bekanntlich brutalen französischen Militär) eher die egomanischen und aggressiveren Persönlichkeitsstrukturen sind, die sich als vorteilhaft erweisen und „effektive“ Durchsetzung eher ermöglichen als die gewaltärmeren.
(17) etwa Frankfurter Rundschau, 07.04.1973: Stoppt Atomtests (Elmar Rüger)
(18) Am 1. Juni 1973 konnten nach einem Trauerzug 8.000 Unterschriften gegen die Atomtests der französischen Botschaft übergeben werden; die Unterschriftensammlung wurde fortgesetzt und erreichte 18.213 Unterschriften.
(19) Wolfgang Hertle: „Die beiden Münchener Koordinatoren waren mit in Barcelona gewesen und insofern mit dem dezentralisierten Stil internationaler gewaltfreier Kampagnen vertraut“. Vgl. Wolfgang Hertle: „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv!“: Die internationale Kampagne gegen die französischen Atombombenversuche, in: Gewaltfreie Aktion, Nr. 17/18 (1973), S. 12-20, hier S. 19
(20) In einem Bericht der Zivilcourage, Region Mitte, Nr. 4 (August 1973), S. 3 wird von „wt“ zu den Aktionen festgestellt: „Die große Zahl der Unterschriften beweist, daß eine breite Basis für eine antimilitaristische Friedensarbeit vorhanden ist, die es bei geeignetem Anlaß zu mobilisieren gilt. Es ist schade, daß die Bundesvorstände in dieser Sache nicht initiativ geworden sind.“
(21) Peace News Nr. 1926 (15.06.1973): „In Germany, the Jungen Europäischen Föderarlisten (sic!) picketed the French consulate in Stuttgart“. Ein Bericht dazu von Klaus Hummel: JEF backt kleine Brötchen, in: Gewaltfreie Aktion, Nr. 17/18 (1973), S. 22f
Peace News war natürlich auch ein Zusammenhang, in den Greenpeace passte. Die Mobilisierung und Berichterstattung war dort kontinuierlich. Vor allem gab es den Marsch London – Paris gegen die französischen Tests! Die Schreibweise auch hier öfters „Green Peace“ mit CND-Zeichen (etwa Nr. 1916 vom 06.04.1973, S. 1). Es gab hier auch ein interessantes Spannungsverhältnis zu besprechen: Wie sollten Pazifist*innen sich verhalten, wenn Australien und Neuseeland sie mit ihrer Marine unterstützen und beschützen wollten? Klar ablehnend, das würde den Charakter des Protests zerstören (PN 1915 vom 30.03.1973).
(22) Michael Schroeren: Bericht über das Greenpeace-Treffen in Bonn am 12./13.05.1973 (hektogr.), S. 2
(23) Michael Schroeren: Bericht über das Greenpeace-Treffen in Bonn am 12./13.05.1973 (hektogr.), S. 1
(24) Wolfgang Hertle: „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv!“: Die internationale Kampagne gegen die französischen Atombombenversuche, in: Gewaltfreie Aktion, Nr. 17/18 (1973), S. 12–20, hier S. 20
(25) Komitee zur Koordinierung von gewaltfreien revolutionären Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland: Info Nr. 6 (Februar 1974), S. 12