Ein großes Steinkreuz in der beschaulichen Idylle eines Klosterfriedhofs – auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Ehrenmal für den NS-Kriegsverbrecher Alfred Jodl, das von den örtlichen Behörden und der Kirche geschützt wird. Carl Blauhorn beschreibt, wie antimilitaristische und antifaschistische Künstler mit kreativen Aktionen gegen diese anhaltende Ehrung für einen Massenmörder vorgehen – trotz Verfolgung durch Jodls ErbInnen und die Justiz. (GWR-Red.)
Mitten in Deutschland steht ein Ehrenkreuz für den Massenmörder und Hitler-General Alfred Jodl. Auf der Fraueninsel im Chiemsee im altdeutschen Bundesland Bayern. Nebenan liegt die Herreninsel, wo das Grundgesetz der Bundesrepublik 1948 beraten wurde – als demokratische Alternative zum Verbrechersystem der Nazis. Deutsche RichterInnen und StaatsanwältInnen schützen bis heute die verfassungswidrige Ehrung des Hauptkriegsverbrechers und haben ein „besonderes Strafverfolgungsinteresse“ gegen einen Künstler, der gemeinsam mit vielen anderen publikumswirksam mit Mitteln der Kunst gegen die öffentliche steinerne Verehrung des Nazi-Generals vorgeht.
Der Massenmörder
Alfred Jodl plante und befehligte den Vernichtungskrieg der Hitler-Armee 1941 gegen die Sowjetunion, in dem Millionen Menschen ermordet wurden. Er hatte sowohl die Hungerblockade Leningrads (mit über einer Million getöteter ZivilistInnen) als auch die Ermordung von Kriegsgefangenen und die Ermordung von über 33.000 Juden und Jüdinnen in Babyn Jar zu verantworten.
1946 wurde er dafür vom Internationalen Militärtribunal in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher zum Tode durch den Strang verurteilt. Seine Asche wurde geheim in den Wenzbach, einen Zufluss der Isar in München-Solln, geschüttet, damit kein Ort für Ehrungen durch Nazis und MilitaristInnen entstehen könne. Die Asche dürfte also längst auf dem Weg zum Schwarzen Meer versunken sein.
1953 versuchte die ehemalige Sekretärin und kurzzeitige zweite Ehefrau des Kriegsverbrechers, Luise Katharina von Benda, diesen Massenmörder als ehrenwerten Soldaten zu entschulden und somit selbst in den Genuss seines Vermögens zu gelangen. Eine deutsche Spruchkammer war ihr dabei dienlich, aber die Alliierten bestanden darauf, dass die Verurteilung durch das Internationale Gericht gültig blieb. Erstaunlicherweise gelang es dem Unschuldsengel aber, das Jodl-Vermögen samt allen Raubguts und eine lebenslängliche Generaloberstenwitwenrente bis zu ihrem Tod 1998 zu erlangen.
Auf dem Klosterfriedhof der Fraueninsel konnte sie 1953 mit Genehmigung und Einverständnis der Chiemseegemeinde und des Klosters ein riesiges steinernes Ehrenkreuz für den Kriegsverbrecher errichten. Kein Wunder: Die Äbtissin hatte 1933 Adolf Hitler zum Tee eingeladen, und die katholische Kirche verhalf bekanntlich vielen NS-VerbrecherInnen zur Flucht vor strafrechtlicher Verfolgung. Auf dem Kenotaph, dessen Errichtung gegen die Friedhofssatzung und die Kontrollratsdirektive 30 der Alliierten verstieß, wurde ein militärisches Ehrenkreuz eingemeißelt. Die Kontrollratsdirektive untersagte solche militaristischen und nazistischen Denkmäler. Aber im schwarzbraunen Oberbayern war das weder für PolitikerInnen noch für StaatsanwältInnen, RichterInnen oder Pfarrer und Nonnen ein Problem. Und für alte und neue Nazis selbstverständlich auch nicht.
Verharmlosen, vertuschen, verstecken
Das blieb auch so über Jahrzehnte. Die wenigen, die das Ding als braunes Schandmal sahen und seine Beseitigung forderten, galten als UnruhestifterInnen oder gar NestbeschmutzerInnen. Petitionen an Parlamente des Inselbewohners Georg Wieland, dessen Familienangehörige auf der Insel tatsächlich begraben sind, des Rechtsanwalts Jürgen Arnold, des Künstlers Wolfram P. Kastner und vieler anderer wurden abgeschmettert mit der Ausrede, man sei nicht zuständig, es gäbe keine rechtliche Handhabe und keine Störungen. Der Gemeinderat habe außerdem zugesichert, dass das Grab nebst Ehrenkreuz 2018 aufgelöst werde. Im Gemeinderat wurden Anträge, das Schandkreuz zu entfernen oder zumindest zu kommentieren, mit acht zu einer bzw. sieben zu zwei Stimmen abgelehnt.
Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der die Insel zu idyllischen Wahlkampfzwecken besuchte und mit dem lokalen CSU-Bürgermeister Georg Huber für die Pressefotografen posierte, hatte offenbar kein Problem mit dem Ehrenkreuz des Kriegsverbrechers.
Als alles ergebnislos blieb, brachten der Künstler Kastner und der Rechtsanwalt Arnold eine Tafel auf dem Verbrecherkreuz an mit dem Text „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher! Alfred Jodl wurde im Nürnberger Prozess 1946 als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet.“ Diese sachliche Information ging dem Bürgermeister und dem Jodl-Erben Johannes Fisser (der nicht genannt werden will) viel zu weit, und so wurden die Tafel und das Kreuz mit einem schwarzen (keine andere Farbe wäre so passend) Plastiksack zugedeckt.
Die Tafel verschwand ein paar Tage später spurlos … (vielleicht im Archiv des Museums für Bayerische Geschichte in Regensburg?)
Kunst macht den Skandal sichtbar
Um dem Vertuschen und Wegschauen entgegenzuwirken, amputierten die Künstler Wolfram P. Kastner und Michael Heininger im Sommer 2015 in einer Kunstaktion das „J“ vom Mörderkreuz und schickten es an das Deutsche Historische Museum in Berlin. Am Kreuz stand nur noch ODL – das zutreffende süddeutsche Wort für stinkend braune Jauche. Das „J“ wurde aus Berlin nach Rosenheim an die Polizei gesandt. Da liegt es vielleicht noch. Die Jodl-GralshüterInnen hatten heftige Amputationsschmerzen und ließen das „J“ neu herstellen und wieder einsetzen.
Nun berieten Kastner und Freunde eine weitere ästhetische Intervention. Am 20. Juli 2016 schütteten sie eine blutrote Spur über Namen und Dienstgrad Jodls und befestigten erneut eine Informationstafel an dem steinernen Ehrenkreuz.
Ein von der Jodl-Schutztruppe beauftragtes Geschichtsbereinigungsunternehmen entfernte Farbe und Text. Am 2. September 2016 erneuerte Kastner die symbolische Blutspur des Massenmörders, übergoss den unteren Bereich mit roter Farbe und setzte mit einem dokumentenechten Filzschreiber das Wort „Massenmörder“ hinzu. Ein NPD-Kommando schmierte die Farbe in einem Vertuschungsversuch tief ins Gestein und hängte eine Parteifahne dazu. Da protestierte niemand: kein Gemeinderat, keine Touristin, keine Staatsanwältin, kein Jodl-Erbe …
Einer der Jodl-ErbInnen versuchte mit seinem Anwalt, per „strafbewehrter Verpflichtungserklärung“ zu jeweils 800 Euro sowohl ZeitungsredakteurInnen als auch die Künstler daran zu hindern, über das Schandmal weiterhin zu berichten und es zu fotografieren.
Justiz als Rechtsbeugung
Per Gericht und Staatsanwaltschaften folgten Schadensersatzklagen und Strafanzeigen – nicht gegen die Jodl-HüterInnen, VerharmloserInnen, VertuscherInnen und VerehrerInnen des Kriegsverbrechers – sondern gegen einen der Aktiven und Künstler, die den Skandal sichtbar machten.
Durch alle Instanzen wurde Wolfram P. Kastner verurteilt, denn das Eigentum ist den RichterInnen das absolut allerhöchste Rechtsgut an sich. Meinungsfreiheit, die Freiheit der Kunst und der demokratische antinazistische Konsens des Grundgesetzes bleiben in der Abwägung auf der Strecke. Im Artikel 14 dieses Grundgesetzes (GG) steht aber die gerne übersehene Ergänzung: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Soweit haben die Damen und Herren RichterInnen vielleicht nicht gelesen. Wie kann ein Ehrenkreuz für einen verurteilten Massenmörder und Nazi-General dem „Wohle der Allgemeinheit dienen“? Die Allgemeinheit besteht vielleicht doch noch nicht aus Nazis? Haben das die StaatsanwältInnen und RichterInnen übersehen?
Im Urteil des Amtsgerichts München vom 29. März 2018 heißt es: „Das Eigentum an dem streitgegenständlichen Kreuz und die physische Integrität des Kreuzes werden durch die Rechtsordnung geschützt. Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass ein entsprechender Schutz nicht bestehe, da das Kreuz eine Volksverhetzung im Sinne des Paragraphen 130, Abs. 4 StGB darstelle, ist dem nicht zuzustimmen. Eine Straftat im Sinne des Paragraphen 130 StGB ist für das Gericht im Zusammenhang mit dem Kreuz nicht ersichtlich.“ Und: „Die Eigentumsverletzung war unter Berücksichtigung der Meinungs- und Kunstfreiheit im Sinne des Art. 5 GG nicht gerechtfertigt“.
Das Landgericht München urteilte am 4. Dezember 2018: „Das Eigentumsrecht des Klägers (an seiner Grabstelle inklusiv Ehrengrab) ist nicht – wie der Beklagte (Kastner) meint – im Rahmen der Abwägung gering bzw. als ‚nicht schützenswert‘ zu bewerten, weil durch das Steinkreuz und die Gestaltung Alfred Jodl geehrt wird.“
Solche Jodl-RichterInnen sind noch nicht mal willens oder fähig, in ihren schriftlichen Urteilen ein echtes Grab von einem Scheingrab oder Kenotaph zu unterscheiden.
Die wenigen, die das Ding als braunes Schandmal sahen und seine Beseitigung forderten, galten als UnruhestifterInnen oder gar NestbeschmutzerInnen.
Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts lehnte eine Entscheidung über die Fehlurteile in den Zivilprozessen mit einer ungewöhnlich ausführlichen „Begründung“ ab, in der die RichterInnen definieren, wie Kunst zu sein habe, und damit einen Verstoß gegen das Grundgesetz begehen. Kunst müsse „interpretationsoffen“ sein und dürfe keine „abgeschlossene Aussage enthalten“. Laut Art. 5 GG ist die Kunst aber frei – auch von Einschränkungen und inkompetentem Gelabere deutscher RichterInnen. Was wäre denn sonst mit Käthe Kollwitz, Bertolt Brecht, Pablo Picasso, George Grosz …?
Die Beendigung des Grabnutzungsrechts und damit das Verschwinden des Mörderkreuzes wurde 2018 nicht (wie angekündigt) realisiert, denn der Jodl-Hüter Fisser klagte dagegen und gegen den Beschluss der Gemeinde. Das Verwaltungsgericht machte einen Ausflug zur Jodl-Insel zum Zwecke einer Augenscheinseinnahme. Der CSU-Bürgermeister Georg Huber hatte nicht politisch und mit der Friedhofssatzung argumentiert, nach der keine Ehrenkreuze für gar nicht dort beerdigte Massenmörder zulässig sind, sondern wider besseren Wissens behauptet, es sei kein Platz mehr auf dem Friedhof für neue Gräber. Diesen offenkundigen Unsinn ließ das Gericht nicht als Begründung gelten, weil mehrere freie Plätze vorhanden waren, und ließ eine Verlängerung der Jodl-Ehrung um weitere zwanzig Jahre zu. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Falschbehauptung des Bürgermeisters eine Finte zugunsten der Jodl-Hüter war.
Inzwischen wurden typisch bayerische Zwergthujen vor das Jodl-Kreuz gepflanzt und eine Steinplatte mit der Aufschrift „Familie Jodl“ vor den Namen des Kriegsverbrechers gestellt. Darüber prangt das eingemeißelte Eiserne Kreuz für die ganze Familie. Ein Tabernakel für den Kriegsverbrecher, das geöffnet werden kann, wenn die Zeit dafür reif ist?
Die Jahrzehnte währende Beleidigung der Getöteten und ihrer Angehörigen durch die offene Ehrung des Mörders ist vorerst nicht mehr sichtbar. Problem gelöst? Oder vielleicht doch nicht?
Beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Beschwerde gegen die strafrechtlichen Verurteilungen des Künstlers Kastner vor. Das letzte Urteil lautete auf 150 Tagessätze wegen angeblicher Sachbeschädigung, Nötigung des Jodl-Hüters und Diebstahl eines „J“, das wohl in Rosenheim in der Asservatenkammer der Polizei oder im Ehrenschrank des Jodl-Erben liegt.
Als gemäßigter Optimist hält es der Künstler nicht für ausgeschlossen, dass das weise Bundesgericht die Sache vielleicht etwas anders sehen könnte als die letzte bayerische Jodl-Richterin und der Weg zum Europäischen Gerichtshof dann unnötig würde.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.
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