Lützerath lebt weiter in unseren gemeinsamen Erinnerungen, Träumen und Visionen als begeisternde Utopie und warnende Dystopie. Lützi ist sowohl ein Brennpunkt der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung als auch ein Symbol für die destruktiven Auswirkungen des fossilen Kapitalismus.
Für viele Aktivist*innen wurde Lützi zu einem Ort, wo sie einen herrschaftsfreieren und naturverbundenen Gegenentwurf zum Alltagsleben kapitalistischer Herrschaft in Ansätzen verwirklichen konnten. „Wir setzen ihm ein solidarisches Zusammenleben entgegen, in dem wir füreinander da sind und unser Ziel ist, dass alle ihre Bedürfnisse erfüllen können“, so Mara von „Lützerath lebt!“ im Januar 2023 in der GWR 476.
Es sind auch Erinnerungen an eine solidarische Vielfalt, trotz teils sehr unterschiedlicher politischer Orientierungen und Motive, sich zu engagieren bei der Verteidigung von Lützerath. Menschen aller Altersstufen haben sich auf das, was sie verbindet, konzentriert. Sie haben sich der umfassenden Zerstörung von RWE entgegengestellt und mit vielfältigen Mitteln – u.a. mit Mahnwachen, mit direkten Aktionen des Zivilen Ungehorsams, mit juristischen Mitteln – versucht, die 1,5 Grad Grenze zu verteidigen und die Braunkohlebagger vor Lützerath zu stoppen.
Denn es gibt so viele gute Gründe für „Keep it, keep it in the ground“, für den real notwendigen sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle.
Diese Form der Energiegewinnung ist die klimaschädlichste, extrem gesundheitsschädlich und todbringend. Die Zwangsumsiedlungen von mehr als vierzigtausend Menschen allein im Rheinischen Braunkohlerevier haben Traumatisierungen verursacht, wertvolle Ackerböden und Artenvielfalt wurden und werden zerstört. Es kommt zu gefährlichen Grundwasserabsenkungen, auch das Trinkwasser vieler Menschen wird beeinträchtigt.
Meine persönlichen Motive und die Bündnisarbeit als gewaltfreier Anarchist
Seit über zwölf Jahren ist der Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier gegen diese obengenannte massive strukturelle Gewalt durch RWE der Schwerpunkt in meinem politischen Engagement. Auch im Kampf gegen die zunächst drohende, nun seit einigen Jahren längst auch schon bei 1,2 Grad eingetretene Klimakatastrophe, bin ich hier am richtigen Ort.
Als gewaltfreier Anarchist habe ich mit vielen Anderen auch versucht, hierarchiefreiere Gruppen mitzuinitiieren und zu konstruktiver Bündnis- und Zusammenarbeit beizutragen. Es gelang dabei oft, den Spaltungs- und Kriminalisierungbestrebungen durch den NRWE-Komplex entgegenzutreten.
Anstatt sich nach Außen zu distanzieren, wurden nicht immer, aber meistens die Prinzipien der Fehlerfreundlichkeit und der kritischen Solidarität in der internen Auseinandersetzung realisiert. Ganz aktuell, zu Beginn der Räumung von Lützerath, gab es wieder den Spaltungsversuch von Herbert Reul, dem NRW-Innenminister bzw. dem „Chef des NRWE-Clans“: die „Friedlichen“ sollten sich von den militanten Steinewerfern distanzieren.
Eine klare, eindeutige interne Kritik an nicht-gewaltfreien militanten Aktionen halte ich für notwendig. Nach außen gerichtet ist z.B. die Pressemitteilung der KURVE Wustrow, der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion, aus meiner Sicht gut gelungen. Dort heißt es:
„KURVE Wustrow solidarisiert sich mit den Aktivist*innen in Lützerath.
In der Geschichte mussten immer wieder Gesetze übertreten werden, weil das geltende Recht (z.B. zu demonstrieren) nicht ausreichte, um Veränderungen hin zum Erhalt der Lebensgrundlagen, zu Gerechtigkeit, Demokratie etc. zu bewirken. Viele dieser Gesetzesüberschreitungen finden als ‚Ziviler Ungehorsam‘ statt und sind ein legitimes Mittel der Konfliktaustragung in Demokratien. Der einstmals kriminalisierte breite Widerstand gegen die in Gorleben geplanten Atomanlagen wird heute von Politiker*innen der meisten Richtungen als Beitrag zur Demokratieentwicklung hochgelobt. Als Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion, die seit über 40 Jahren im Wendland und darüber hinaus aktiv ist, schaut die KURVE Wustrow fassungslos auf die Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung und ihrer vielfältigen Protestformen. Polarisierende und populistische Sprache ist bei den Parteien ebenso wie in vielen Medien zu finden: Es wird von ‚Klimaterroristen‘ gesprochen, Begriffe wie ‚friedlich‘ und ‚gewalttätig‘ werden missbraucht, um von der berechtigten Kritik an der Politik von Bundes- und Landesregierungen abzulenken. Doch es ist kein ‚Terrorismus“‘, die Räumung eines Dorfes zu blockieren, ‚friedlich‘ heißt nicht immer ‚legal‘, und das Erschweren einer Räumung durch Tripods oder Ankleben ist nicht ‚Gewalt‘.“
Tatsächlich gab es während der Räumung und am Tag der Großdemo geringfügige militante Aktionen von Seiten der Aktivist*innen, im Gegensatz zu häufiger teilweise massiver direkter Gewalt durch einzelne Polizisten und Polizei-Einheiten. Auch das unerbittliche und Menschenleben gefährdende Höchst-Tempo der Räumungsmaschinerie erlebten viele Augenzeug*innen als sehr gewalttätig. Während der Demo am 17.01., am Aktionstag des Unräumbar-Bündnisses, berichtete eine Augenzeugin u.a. von den panisch flüchtenden Eichhörnchen, als die Bäume geräumt und gerodet wurden und von durchgeschnittenen Sicherungsseilen an Baumhäusern, in denen sich noch Menschen befanden. Räumungstrupps mit Motorsägen zersägten alles, was ihnen in den Weg kam.
Bei der Großdemo am 14.01. gab es unter den Verletzungen durch Polizeikräfte, u.a. zahlreiche Knochenbrüche, Folgen von gezielten Schlägen auf den Hals mit Fäusten und Schlagstöcken.
Hintergründe
Warum wollen RWE und die schwarz-grüne Landesregierung gerade jetzt Lützerath abbaggern, obwohl sich im Tagebau Garzweiler noch ca. 170 Millionen Tonnen Braunkohle vor Lützerath befinden? Jährlich kann der RWE-Konzern nur bis zu ca. 30 Millionen Tonnen fördern. Also mindestens fünf Jahre könnte gebaggert werden, ohne Lützerath anzutasten. Es gibt zum einen den Grund der stärksten „Flözmächtigkeit“ bei Lützerath und damit der schnellsten und einfachsten Verwertung durch RWE und zum anderen auch einen politischen Grund: In einer Stellungnahme des Konzerns von August 2022 heißt es: „Keine Befriedung: Es entstünde eine Motivation zu weiteren Blockaden…“
Die wird es aber trotz der leider vollzogenen Räumung und der damit verbundenen Trauer weiter geben, denn die Kohle unter Lützerath und auch im gesamten Revier muß im Boden bleiben. So gab es am 17.01. zahlreiche Blockaden, wie z.B. der Kohlebahn vor dem Kraftwerk Neurath und Besetzungen eines Kohlebaggers im Tagebau Inden.
Venceremos!
Mehr als zwanzig Jurist*innen und die Initiative RWE-Tribunal haben gegen die Verantwortlichen von RWE Power Strafanzeige wegen Tötungsdelikten gestellt.
Am 11. und 12. März 2023 findet in Köln das 4. RWE-Tribunal statt.
Infos: www.rwe-tribunal.org