Die afro-indigenen Garífuna leben seit Ende des 18. Jahrhunderts an der Küste Zentralamerikas, die meisten von ihnen an der honduranischen Karibikküste. In einigen Gemeinden sind die eigene Sprache und Traditionen noch lebendig. Doch auf dem angestammten Land haben sich Tourismus und reiche Ausländer:innen breitgemacht. Weiter im Landesinneren erstrecken sich unendliche Ölpalmenplantagen. Seit einigen Jahren haben die Garífuna nun begonnen, sich ihr Land wieder anzueignen. Sie gehen ein hohes Risiko ein, denn Honduras gilt als eines der gefährlichsten Länder für Landrechts- und Umweltaktivist:innen.
Es ist ein warmer Augusttag ganz in der Nähe der Karibikküste von Honduras. Miriam Miranda, Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH sitzt auf einer Bank unter einem hohen Wellblechdach. Hier ist der Versammlungsort der kleinen Gemeinde Vallecito. Stolz liegt in ihrer Stimme, wenn sie über das kleine Dorf spricht. „Vallecito hat eine neue Etappe des Kampfes der Garífuna eingeleitet.“ Hier begannen die Garífuna mit dem Prozess der aktiven Rückgewinnung ihres angestammten Landes. Heute gibt es etwa zehn dieser Projekte, kleine und größere, verstreut an der Karibikküste von Honduras. Aber das umfassendste und bekannteste dieser Projekte ist Vallecito.
Eine Gemeinde in einem Meer von Ölpalmenplantagen
Das Dorf ist nur schwer zu erreichen. Aus der Hauptstadt Tegucigalpa dauert die Fahrt in einem der vielen ausgemusterten gelben Schulbusse aus den USA dreizehn Stunden. Dreißig Kilometer vor dem Ziel endet die asphaltierte Straße und es geht weiter auf einer sandigen Piste mit tiefen Schlaglöchern. An den verstaubten Fenstern des Busses ziehen unendlich scheinende Ölpalmenplantagen vorbei, große Laster rasen vorüber, um im Minutentakt die Ölpalmfrüchte für den Weltmarkt abzutransportieren. Die Plantagenbesitzer:innen gehören zu den Eliten des Landes. Es ist bekannt, dass sie Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben. Ihre Verwicklung in schwere Menschenrechtsverletzungen wird seit Jahren angeprangert. Die letzten Kilometer geht es mit einem Pickup direkt durch eine Ölpalmenplantage. Doch irgendwann lichtet sich das monotone Grün und das weitläufige Gelände von Vallecito kommt in den Blick.
Die Gemeinde erstreckt sich über 1500 Hektar. Von drei Seiten ist sie umringt von Ölpalmenplantagen, Richtung Norden öffnet sich das Geländer der Gemeinde bis hin zum karibischen Meer. Weit verstreut stehen kleine Holzhäuser, in denen die 52 aktuellen Bewohner:innen leben. Die Ruhe wird nur selten durch ein Motorrad unterbrochen, das auf einem der wenigen Sandwege entlangfährt.
Der lange Weg der Rückgewinnung
Doch so ruhig, wie es auf den ersten Blick scheint, war es hier nicht immer. Die relative Ruhe, die heute herrscht, mussten sich die Garífuna erkämpfen. „Dieses Territorium wurde vom Drogenhandel übernommen. Und noch heute ist es ein umkämpftes Gebiet,“ erklärt Miranda. Die gesamte Gegend ist angestammtes Land der Garífuna. Doch war es über Jahrzehnte von Ölpalmenmagnaten besetzt, Rinderherden grasten hier und eine illegale Landepiste wurde von einem Drogenkartell genutzt, um Kokain aus Südamerika in Richtung USA umzuschlagen. Trotzdem erwirkten die Garífuna mit ihrer Organisation OFRANEH 1993 offizielle Landtitel. Damals eine strategische Entscheidung, um die Rückgewinnung zu beschleunigen. Aber aufgrund der konflikthaften Lage forderten sie ihn lange nicht ein. Erst ab 2012 entschlossen sie sich, das Land wieder in Besitz zu nehmen. Doch die Narcos (1) wollten den strategisch wichtigen Ort nicht so einfach aufgeben. „Es gab Zeiten, da kamen sie auf Motorrädern an. Zwei schwer bewaffnete Männer auf jedem Motorrad,“ erinnert sich Miranda. „Einmal kamen sie mit 80 Motorrädern. Alle unsere Leute mussten auf diesen Berg hier fliehen.“ Auch Karen García war bei der Rückgewinnung dabei. Heute ist sie eine der Koordinator:innen des Ortes und erinnert sich noch gut an die gefährliche Zeit. „Es war nicht einfach, hier in Vallecito zu bleiben. Als von einer Seite geschossen wurde, waren wir mit unseren Trommeln auf der anderen Seite.“ Die Garífuna hatten keine Waffen, aber sie hatten die Unterstützung von vielen Menschen aus anderen Gemeinden und ihre Trommeln gaben ihnen den Mut, nicht aufzugeben. Durch solidarische Unterstützung und permanente Präsenz gelang es, die Narcos und mit ihnen die Großgrundbesitzer:innen nach und nach zurückzudrängen.
Eine neue Gemeinschaft entsteht
In Vallecito werden nun seit zehn Jahren autonome Strukturen aufgebaut. Auf allen Ebenen des Zusammenlebens soll hier ein Modell einer solidarischen Gemeinschaft erprobt und gelebt werden.
„Für mich ist das wichtigste hier, dass dieser Ort die Menschen wieder mit dem Land in Verbindung bringt,“ fasst Miranda ihre Vision von der Gemeinde zusammen. Die Kultur der Garífuna ist tief verwurzelt mit ihrem angestammten Land. Durch den fortschreitenden Landraub verlieren immer mehr Garífuna ihre Lebensgrundlage und damit auch den Bezug zur eigenen Kultur. Aufgrund der fehlenden Perspektiven lebt inzwischen die zweitgrößte Community der Garífuna meist illegalisiert in New York.
Deshalb ist es ein zentrales Ziel, auf dem eigenen Land die eigenen traditionellen Lebensmittel anzubauen. „2016 haben wir mit der Pflanzung der ersten Kokosnüsse begonnen“, erklärt Henri Morales, einer der beiden Agraringenieur:innen des Ortes. Auf 84 Hektar und weit verstreut über das Gelände, statt in Reih und Glied der Plantagen, werden verschiedene Sorten angebaut. In einer kleinen Baumschule züchtet Morales liebevoll neue Setzlinge von Nüssen aus der Region. Er selber stammt aus einer Garífuna-Familie, die vom Anbau von Kokosnüssen lebt. Er verbindet das traditionelle Wissen mit den Kenntnissen, die er während seines Studiums erworben hat. Kokosnussöl ist ein wichtiger Bestandteil der Ernährung der Garífuna, doch für Miranda hat es eine noch umfassendere Bedeutung: „Mit dem Anbau von Kokos bekämpfen wir die Ölpalmenplantagen.“ Auch in den Regalen honduranischer Supermärkte findet sich in unzähligen Produkten Palmöl. Mit dem eigens produzierten Kokosöl setzen die Garífuna von Vallecito der zerstörerischen Macht transnationaler Unternehmen etwas entgegen. Und leisten einen Beitrag zur Gesundheit: „Ölpalmen sind toxisch, mit Pestiziden belastet. Unsere Kokosnüsse hier sind rein ökologisch.“
Für ein selbstbestimmtes Leben nehmen die Garífuna es mit dem repressiven Staat, Drogenkartellen, Großgrundbesitzer:innen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auf.
Der zentrale Treffpunkt ist die Gemeinschaftsküche, in der alle Bewohner:innen regelmäßig Küchendienst haben und die anderen mit Frühstück, Mittag- und Abendessen versorgen. Eines Tages sollen nur noch Lebensmittel aus dem eigenen Anbau verkocht werden.
In der kleinen Dorfschule wird Garífuna und Landwirtschaft unterrichtet
Vor einigen Jahren hat hier auch eine kleine Grundschule eröffnet. „Uns geht es darum, die eigene Sprache wieder anzueignen“, erklärt Lilian Suyapa, die einzige Lehrerin der Schule. Neben den gängigen Fächern steht nämlich auch Garífuna auf dem Lehrplan. Eine Sprache, die Linguist:innen zufolge karibische und westafrikanische Einflüsse aufweist. Viele Ältere sprechen noch Garífuna, Jüngere sprechen zunehmend nur noch Spanisch. Das spiegelt sich auch in der Grundschule von Vallecito. Einzelne Kinder haben wenig Probleme, andere kommen hier das erste Mal mit der eigenen Sprache in Kontakt. Ein weiteres besonderes Fach ist Landwirtschaft. Die Kinder pflanzen gemeinsam mit Suyapa und den Agraringenieur:innen in Beeten Lebensmittel an, helfen bei der Ernte von Kokosnüssen und Yucca-Wurzeln, und bekommen so nebenbei die Wertschätzung für das Land und die eigenen Ernährungsgewohnheiten vermittelt.
Die Herausforderungen bleiben groß
Autark ist das Leben in Vallecito aber noch lange nicht. Bis auf weiteres müssen Lebensmittel zugekauft werden und ein Großteil des Stroms wird durch einen mit Benzin betriebenen Generator erzeugt. Eine Ton-Wasserfilteranlage war ungeeignet und filterte nicht die giftigen Pestizid-Rückstände von den umliegenden Plantagen aus. Nun muss Trinkwasser in großen Plastikkanistern außerhalb gekauft werden.
Es ist ein Kommen und Gehen. Manchmal verlassen Menschen das Dorf, weil ihnen das Leben hier doch nicht zusagt. Neue Menschen kommen, um beim Aufbau zu unterstützen oder sich dort längerfristig niederzulassen. Möglich ist dieser Modellversuch dank Spenden, die OFRANEH erhält und damit die Gemeinde so lange unterstützt, bis sie sich selbst versorgen kann. „Dies ist eine Gemeinschaft im Aufbau, aber es ist auch eine Rebellion“, bringt Miranda die Besonderheit dieser Gemeinde auf den Punkt. „Es ist ein Prozess der Selbstbestimmung und Autonomie. Hier zeigen wir, dass wir die Dinge selber in die Hand nehmen können.“
Vallecito: Inspiration für andere
Die, trotz aller Rückschläge, erfolgreiche Rückgewinnung von Vallecito inspirierte auch andere Garífuna-Gemeinden, sich Teile ihres geraubten Landes wieder anzueignen. Eines dieser Projekte ist Wabato. Das große und langgezogene Grundstück liegt drei Stunden entfernt, am Stadtrand von Trujillo. Es liegt fast am Karibikstrand, aber nur fast. Vor das Grundstück schiebt sich eine Reihe mit schicken Ferienhäusern. Ein schmaler Weg zwischen zwei Grundstücken ist der letzte Zugang, den die Garífuna noch zum Strand haben. Die ganze Bucht von Trujillo ist bekannt dafür, dass reiche Nordamerikaner:innen dort Ferienressorts für ihresgleichen errichten. Auf dem angestammten Land der Garífuna. Für das gesamte Gebiet besitzen die Gemeinden seit 1901 einen offiziellen Landtitel, das hinderte die korrupten honduranischen Behörden allerdings nicht daran, das Land an Ausländer:innen zu verkaufen. Auch das Grundstück von Wabato war in den Händen eines nordamerikanischen Paares, das bis zu seinem Tod hier die Ferien verbrachte. 2019 forderte eine Gruppe Garífuna mit Verweis auf den Landtitel das Grundstück zurück. „Wir haben die Erben der Vorbesitzer aufgefordert, zu beweisen, dass ihnen das Grundstück gehört“, erzählt Mario Solorzano, der Koordinator von Wabato. „Das konnten sie nicht. Also haben wir das Gebiet friedlich wieder in Besitz genommen.“ Auch in Wabato gingen die Garífuna mit einer ähnlichen Strategie wie in Vallecito vor: Aus vielen Gemeinden kam solidarische Unterstützung, permanent zeigten sie Präsenz und mit ihren Trommeln riefen sie die Kraft ihrer Vorfahr:innen herbei. „Aber die Polizei ist gekommen. Wir wurden verfolgt und kriminalisiert.“ Auch Solorzano wurde festgenommen und saß mehrere Tage illegal in Haft. Eine seiner Auflagen ist, dass er sich Wabato nicht nähern darf. Das hält ihn aber nicht davon ab, hier den Traum von einem selbstbestimmten und solidarischen Zusammenleben voranzutreiben.
In Wabato gehen Aktivist:innen neue Wege
Im Vergleich zu Vallecito ist es hier überschaubar. In dem ehemaligen Ferienhaus leben etwa sechs Menschen. Andere kommen regelmäßig, um zu helfen. Gekocht wird für alle in einer Küche unter freiem Himmel, weiter hinten liegen kleine Parzellen, wo Lebensmittel angebaut werden. Ganz am Ende des Grundstücks stehen drei Häuser in traditionellem Baustil, wo bald ein Gesundheitszentrum eröffnet wird, basierend auf dem traditionellen Wissen der Garífuna. Um die Häuser herum wachsen bereits Pflanzen mit heilender Wirkung. Eine weitere Besonderheit gibt es in Wabato, worauf Mario besonders stolz ist: „In Zukunft soll hier ein Haus für die LGBTIQ-Community entstehen.“ Als Transmann weiß Solorzano wie wichtig es ist, diese besonders diskriminierte Gruppe zu unterstützen. Auch in den Garífuna-Gemeinden gibt es viele Vorurteile gegen die Community und Solorzano ist klar, dass noch viel zu tun ist.
Autonomie als Prozess der kleinen Schritte
Für ein selbstbestimmtes Leben nehmen die Garífuna es mit dem repressiven Staat, Drogenkartellen, Großgrundbesitzer:innen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auf. In Projekten wie Vallecito und Wabato wird Widerstand ganz alltäglich gelebt. Mit Erfolgen und Rückschlägen, Optimismus und Beharrlichkeit, werden in kleinen Schritten, widerständige Orte geschaffen, wo die Autonomie über das angestammte Land wieder zurückgewonnen wird, die eigenen Traditionen weiterleben und neue Formen des Zusammenlebens erprobt werden.
(1) spanische Kurzform für Dealer oder Dro-genhändler:innen
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.