Keine Geschäfte mit Rosatom!

Rede von Vladimir Slivyak auf der Anti-Atom-Demo am 15.4.2023 in Lingen: „Wer Atomausstieg sagt, muss auch die Brennelementfabrik schließen!“

Am 15. April 2023 wurden die drei letzten Atomkraftwerke Deutschlands abgeschaltet. Ein Riesenerfolg der Anti-AKW-Bewegung! Im Emsland feierten 500 Menschen die Abschaltung des AKWs Lingen, forderten ein Ende des Atomdeals mit dem staatlichen, russischen Atomkonzern Rosatom und die sofortige Stilllegung der Brennelementefabrik (BEZ) Lingen und der Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau. Wir dokumentieren eine Rede, die der russische Graswurzelrevolutionär Vladimir Slivjak am Tag der Abschaltung in Lingen gehalten hat. (GWR-Red.)

N.N.: Wir begrüßen auf der Bühne Vladimir Slivjak.

[Applaus]

N.N.: Die meisten von euch werden ihn wahrscheinlich kennen: Vladimir Slivjak ist Aktivist der russischen Umweltorganisation Ecodefense und Träger des Alternativen Friedensnobelpreises. Den Preis hat er für sein Engagement für die Umwelt erhalten. Vladimir wird heute auf Englisch sprechen. Er wird heute gedolmetscht von und spricht mit einem Aktivisten vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen (AMgA).

Vladimir Slivjak: Hallo zusammen! It’s a great day today: AKWs abschalten!

AMgA: Ich möchte euch ein paar Dinge mit Vladimir zusammen vorstellen. Als erstes: Vladimir, kannst du dich bitte vorstellen, wer bist du und was ist Ecodefense?

Vladimir: Ich bin russischer Umweltaktivist, 49 Jahre alt. Bislang habe ich mein ganzes Leben damit verbracht, Kampagnen gegen Atomenergie und gegen die Nutzung von Kohlekraft zu organisieren. Ich bin mittlerweile seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Russland war 1989, als die Umweltorganisation Ecodefense gegründet wurde, ein Land auf gutem Wege. Wir haben viele Erfolge erreicht, auch dass geplante Atomkraftwerke in Russland oder Kaliningrad nicht gebaut wurden. Wir haben auch erfolgreich die Uran-Müllexporte aus Gronau gestoppt. Heutzutage ist es aber so, dass Russland eine Diktatur ist, in der eine solche Umweltschutz-Arbeit kaum noch möglich ist.
Unsere Organisation ist damals nach diesem Erfolg, als wir das AKW in Kaliningrad verhindert haben, zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden und damit sind wir jeglicher Rechenschaft schuldig und jeglicher Möglichkeiten, in Russland aktiv zu sein, beraubt. Wir haften auch mit unserem Privatvermögen quasi für das, was der Staat uns dann alles anlastet. Ecodefense ist mit zahlreichen Gerichtsverfahren überzogen worden und wir sind durch die Strafzahlungen in unserer Arbeit extrem eingeschränkt und folglich – mehr oder weniger – dann gestoppt worden. Mehrere der Aktivist:innen von Ecodefense mussten das Land verlassen, damit sie nicht in Russland inhaftiert werden.
Früher oder später wird das Regime von Putin und der Angriffskrieg auf die Ukraine gestoppt werden. Wir werden in Russland ein neues Land aufbauen und auch dort dann einen Atomausstieg durchsetzen, so wie hier in Deutschland.
Im Kampf gegen die Atomenergie in Deutschland sind wir gegen Konzerne, gegen die Atomindustrie angetreten. In Russland ist es aber so, dass die Atomenergie Teil des Staates ist. Rosatom ist keine normale zivile Firma, sowie das hier mit der Atomindustrie ist. Rosatom ist ein Teil des russischen Staates und ist auch für die Atomwaffen zuständig. Das heißt, Rosatom ist ein Staatskonzern, der die russischen Atomwaffen betreut, der die russischen Atomwaffen weiterentwickelt und auch für die Handhabung dieser russischen Atomwaffen zuständig ist. Also genau das, womit Putin uns hier droht. Rosatom ist ebenfalls für den Betrieb von Atomkraftwerken in Russland zuständig. Rosatom importiert Atommüll aus anderen Ländern, liefert auch nicht nukleare Waffenteile und ist direkt in den Krieg in der Ukraine involviert.
Das ist auch der Grund, warum wir den französischen Atomkonzern Framatome auffordern, keinen Deal mit Rosatom einzugehen, kein Jointventure zu gründen, und nicht mit Rosatom hier in Lingen Brennelemente zu produzieren. Atomausstieg bedeutet, dass auch in Lingen die Brennelementefabrik endlich abgeschaltet werden muss und auch die Urananreichungsanlage in Gronau stillzulegen ist. Nur dann haben wir einen echten Atomausstieg!
Der niedersächsische Umweltminister Meyer, der jetzt gerade drüben im AKW verweilt, die Umweltministerin Lemke, Robert Habeck, Olaf Scholz und Anna-Lena Baerbock müssen jegliche Verbändelung mit dem Putin-Regime unterbrechen! Es darf nicht noch mehr Geld in Putins Kriegskasse fließen!
Die deutschen Politiker:innen behaupten gerne, sie seien nicht zuständig, das wäre „die Sache von Framatome und Frankreich“. Hier fordern wir ganz klar, dass die deutschen Politiker:innen eine klare Ansage an Frankreich machen; die Kooperation mit Rosatom zu beenden! Diese Kooperation ist nicht gut für Frankreich, das ist nicht gut für Deutschland, wir werden alle darunter leiden. Putin muss vollständig isoliert werden. Wenn Framatome und Frankreich weiterhin Uran aus Russland importieren – und das tun sie auch hier für die Brennelementenfabrik in Lingen – dann muss man Framatome nicht mehr wie ein europäisches Unternehmen behandeln, sondern wie ein russisches. Die Rosatom-Mitarbeiter hier in Lingen sind nicht vertrauenswürdig. Deshalb darf auch diese Genehmigung gar nicht erst erteilt werden! Wer wissen will wie vertrauenswürdig Rosatom-Mitarbeiter sind, der kann ja mal in dem von russischen Militärs besetzten und von Rosatom übernommenen Atomkraftwerk im ukrainischen Saporischschja nachfragen, Herr Meier!

AMgA: Vladimir wir schämen uns dafür, dass weiter diese Kooperationen mit Putin laufen. Diese müssen sofort beendet werden, um ein klares Zeichen zu setzen, dass das hier so nicht weitergehen kann. Vielen Dank für deine hartnäckige Arbeit! Manche hier kennen die vielleicht schon etwas länger, für die, die es nicht tun, könntest du vielleicht etwas von dem Treffen in St. Petersburg im Jahre 2006 erzählen?

Vladimir: 2006 gab es ein gemeinsames Treffen in St. Petersburg, da waren damals auch russische Politiker beteiligt.

AMgA: Das ist heutzutage nicht mehr denkbar, dass sich deutsche und russische Umwelt-Aktivist:innen in St. Petersburg treffen.

Vladimir: Ja, leider. Wir haben dann zusammen in Moskau die deutsche Botschaft blockiert, um darauf hinzuweisen, dass aus Gronau Uranmüll nach Russland exportiert wird.

AMgA: Ich möchte nochmal daran erinnern, dass dieser langjährige gemeinsame Widerstand, diese langjährigen Kooperationen mit Ecodefense und mit anderen Aktivist:innen in Russland dazu geführt haben, dass wir die Uranmüllexporte von Gronau nach Russland stoppen konnten. Das war harte Arbeit, aber es geht! Und die jüngste Erfolgsmeldung aus Gronau kam gestern über die Medien. Die Firma Urenco, die ja nicht nur in Gronau tätig ist, sondern international, beendet die Entwicklung von weiteren „Mini-Reaktoren“, die sie die letzten Jahre vorangetrieben hat. Hier sei der dezente Hinweis an die FDP erlaubt: Als Grund nennt die Urenco, dass es keine Geldgeber für solche Mini-Reaktoren gibt.
Ich möchte gemeinsam mit Vladimir daran erinnern, dass heute einige von uns fehlen und gestorben sind: Willi Heesters, Christina Burkhard, Conny Woiking, Jochen Stay können leider nicht mehr dabei sein. Sie hatten aber durch ihren jahrzehntelangen Widerstand große Anteile daran, dass heute die letzten drei AKWs der BRD abgeschaltet werden. Es ist ein wahnsinniger Erfolg, den wir heute feiern können. Es ist ein Teilerfolg. Das Ganze ist nicht vom Himmel gefallen. Diese Menschen haben jahrelang mit uns für den Atomausstieg gestritten und mit Vladimir zusammengearbeitet. Ich freue mich, dass heute hier so viele Menschen dabei sind, die ein klares Zeichen setzen, dass diese Kooperation hier mit Rosatom nicht erwünscht ist. Ich glaube, wenn Willi, Christina, Conny und Jochen uns sehen könnten, dann hätten sie gerade ein Lächeln im Gesicht, denn, wie sagt man im Wendland so schön: „Es wird ein Lächeln sein, das sie besiegt.“
Danke Vladimir, dass du heute mit uns hier bist!

Vladimir: Eine letzte Sache noch: Hopp, Hopp, Hopp, Atomkraft Stopp! Kompletter Atomausstieg jetzt! Überall.

Die Rede ist als Video dokumentiert unter: https://www.youtube.com/watch?v=P-0bga0GntM
Siehe auch: „Wir werden uns dem Staat nicht beugen” Widerstand und Repression in Russland. Ein Gespräch von Bernd Drücke mit dem Umweltaktivisten Vladimir Slivjak (ecodefense), in: GWR 395, Januar 2015, https://www.graswurzel.net/gwr/2015/01/wir-werden-uns-dem-staat-nicht-beugen/