„Jesus“ und die Graswurzelrevolution

Meine erste Leipziger Buchmesse

| Alex Kempfle

Der Verlag Graswurzelrevolution war dieses Jahr wieder auf der Leipziger Buchmesse vertreten und hat dort auch mehrere Lesungen veranstaltet. Im Rahmen meines GWR-Praktikums hatte ich die Ehre, den Verlag mit zu repräsentieren und möchte kurz reflektieren, wie ich meine erste Leipziger Buchmesse wahrgenommen habe.

Da dies mein erstes Mal in Leipzig war, hatte ich sehr viele neue Eindrücke und äußerst interessante Tage. Mit einer Übernachtungsmöglichkeit in Connewitz habe ich auch außerhalb der Messe vieles erlebt. Mit zu den Highlights würde ich den halben Käse in Frau Krause zählen.
Das Messegelände ist absolut riesig und war am ersten Tag auch ein wenig erschlagend. Zum Glück war der Genosse Lou Marin ebenfalls mit auf der Buchmesse und hat mich gut für die kommenden Tage vorbereitet. Den Mittwoch haben wir mit dem Aufbauen verbracht.
Unser Stand war gegenüber von Alibri, Unrast und dem Marx-Verlag – das Verhältnis zwischen Marxismus und Anarchismus war allerdings nicht so intensiv wie zu Zeiten von Marx und Bakunin. Anstatt Erzfeindschaft, wie es einst der Fall war, basierte das Verhältnis vor allem auf dem Ausleihen von Eddings. Die Atmosphäre unter uns allen war super und es kam regelmäßig zu inspirierenden Gesprächen.

Donnerstag, 27.04.2023

10:00 Uhr, die Hallen öffneten die Türen. Die ersten 30 Minuten war es überraschend ruhig, das lag wahrscheinlich daran, dass wir in Halle 5 vertreten waren, und die BesucherInnen erst durch die anderen Hallen stolzierten. Es hat trotzdem nicht lange gedauert, bis der erste interessierte Besucher mit uns ins Gespräch getreten ist. Er wollte eine alte GWR-Ausgabe mitnehmen, legte sie aber wieder zurück, als er erfuhr, dass die GWR sich gegen Atomkraft positioniert. Er war ein großer Verteidiger von AKWs und dem „technologischen Fortschritt“ Deutschlands. Logischerweise war er auch ein vehementer Gegner von Windrädern und Solarenergie – eine Position, die für mich recht wenig Sinn ergibt.
Meine Mittagspause habe ich in dem Messe-Bistro verbracht, wo erstaunlich viele Menschen durch das Wort „Sour-Cream“ und das Pfandsystem verwirrt worden sind.
Der restliche Tag wurde dann vor allem durch interessante Gespräche mit verschiedensten BesucherInnen und AbonnentInnen der GWR geprägt. Es gab viele Menschen, die sich sehr darüber gefreut haben, dass es die GWR noch gibt. Auf der einen Seite ist es natürlich sehr schön zu sehen, dass der Name vielen Menschen bekannt ist, auf der anderen Seite ist es traurig, dass diese Menschen sich also seit längerem auch nicht mehr mit ihr beschäftigt haben. In den Gesprächen kam dann öfters heraus, dass die Idee des Anarchismus bei ihnen mit der Zeit in den Hintergrund geraten ist und mensch dann doch in das „normale“ Arbeitsleben getreten ist. Dabei hält der Anarchismus doch jung! Wir brauchen mehr Menschen, die sich engagieren wollen, eine Utopie der gewaltfreien, herrschaftslosen und selbstorganisierten Gesellschaft umzusetzen.

Freitag, 28.04.

Einer der ersten Sätze, die ich am nächsten Tag der Messe gehört habe, war; „Ist das hier die gute TAZ?“, ein Satz, der mich den ganzen Tag über zum Schmunzeln gebracht hat. Generell war der Freitag sehr voll und gepackt mit Action. Die Lesungen auf „Die Bühne“, welche direkt neben dem GWR-Stand stattgefunden haben, waren durchgehend gut besucht, was auch dazu geführt hat, dass viele Menschen an unseren Stand gekommen sind. Mit das Erlebnis, welches mir am meisten im Kopf bleiben wird, ist ein junger Mann, welcher sich als Jesus verkleidet hat. Auf den Rücken der weißen Kutte war das anarchistische A und eine Sichel gezeichnet, mit einem Vermerk auf Antifa. „Jesus“ hat sich sehr für die Graswurzelrevolution interessiert und hat das Buch „Christlicher Anarchismus“ erworben.
Was ich auch schön fand, war die Lesung über „Die Entstehung des Patriarchats“ – auch wenn mir persönlich dabei zu wenig über die Entstehung des Patriarchats geredet wurde. Bei dieser Lesung saßen viele Cosplayer, welche hauptsächlich für die Mangacon da waren (welche zur gleichen Zeit auf dem gleichen Messegelände stattfand) direkt neben Anzugträgern, alten und jungen Menschen und AktivistInnen. Ein schönes Bild, welches ich so schnell nicht vergessen werde. Menschen, die auf den ersten Eindruck nicht viel gemeinsam haben, aber dennoch ähnliche Interessen und Werte haben.
Was mir am Freitag noch aufgefallen ist:

  1. Sehr, sehr viele Menschen rauchen
  2. Die GWR muss in München, wo ich herkomme, präsenter werden!
  3. Außerdem habe ich mir folgenden Satz aufgeschrieben, da ich ihn sehr aussagekräftig fand“ „Es ist tragisch, dass ein ausländischer Name in einem pluralistischen Deutschland immer noch Grund zur Unterdrückung ist“.

Von der GWR-Lesung zu dem Buch „Die Zerrissenheit“, geschrieben von Holger Vanicek, habe ich leider nicht viel mitbekommen, da ich mit dem Betreuen des Standes beschäftigt war. Die Rückmeldung war sehr gut und viele Leute haben bei der Lesung zugehört.

Samstag, 29.04.

Der Samstag war leider schon mein letzter Tag auf der Messe, da ich aus Versehen mein Rückreise-Ticket für den 30. in der Früh gebucht hatte. Mit dem Wissen, dass dies also mein letzter Tag auf der Messe war, habe ich ihn umso mehr genossen. Der 29. war mit Abstand der meist besuchteste Tag der Messe (zumindest, wie ich es wahrgenommen habe), und dementsprechend habe ich nicht viel Zeit gehabt mir Notizen zu machen oder generell viel außerhalb des Standes zu machen. Den Samstag habe ich vor allem damit verbracht, die Idee der GWR unter die BesucherInnen zu bringen und den Anarchismus zu erläutern – es gibt nämlich immer noch sehr viele Menschen, die darunter Chaos und Terror verstehen, was natürlich überhaupt nicht stimmt.
Auch die Lesung zu „Grüner Kapitalismus“, vom Verlag Graswurzelrevolution, konnte ich leider nicht aktiv begleiten. Dafür habe ich danach mit mehreren Interessenten das Thema diskutiert, woraus ich schlussfolgere, dass die Lesung und der Inhalt des Buches von hohem Interesse sind.
Meine Pause habe ich wieder am Pommesstand verbracht, wo die Mitarbeitenden über die Tage zu meinen besten Freunden wurden. Leider gab es trotzdem keinen Messerabatt.
Kleine Überraschung am Samstag: Bundesfamilienministerin 
Lisa Paus (Grüne) war am GWR-Stand und hat sich unsere Bücher angeguckt. Eine feministische Standbesucherin wies Lou Marin auf sie hin und bemerkte gleichzeitig, dass sie ja gerade das Selbstbestimmungsgesetz „verkackt“ hätte, nach welchem sich kriegsdienstpflichtige Männer ihre Orientierung nicht selbst bestimmen können (dazu sollten wir einen Artikel bringen, findet Lou). Lou sprach Paus dann gleich ziemlich konfrontativ an, wie es so seine Art in solchen Fällen ist, warf ihr und den Grünen Umfallen beim Ukrainekrieg vor und kritisierte deren Waffenexporte. Daraus entspann sich eine kurze Diskussion, in der sie auf unsere Bücher zeigte und meinte: „Ist ja auch wichtig“, aber in den wichtigen Positionen dabei blieb, dass gegen Putin nichts anderes helfe, als was sie machen. So werden wir bei denen also abgespeichert, „ist ja auch wichtig“, aber werden völlig ignoriert, was die wirklichen Positionen betrifft.

Fazit

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich die Messe besuchen durfte und sehr viele spannende Gespräche über meine Lieblingsthemen führen konnte. Ich bin mit einem sehr guten Gefühl nach Hause gekommen. Man merkt, dass großes Interesse am Anarchismus, oder zumindest an Alternativen zum Kapitalismus, besteht. Die Menschen merken immer mehr, dass es so, wie es gerade in unserer Welt läuft, nicht weiter gehen kann. Viele AktivistInnen und AbonnentInnen der GWR, als auch zufällige BesucherInnen, welche die GWR nicht kannten, haben interessante Ideen und Sichtweisen. Ich denke, dass die GWR genau diese Menschen erreichen und einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, dass wir die Gesellschaft immer mehr zu einer Utopie führen können.