nie wieder

Vom Querdenken zur Querfront

Geschichte der rotbraunen Querfront

| Harry Waibel

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Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen via flickr.com, https://flic.kr/p/fXNXJY, (CC BY-SA 2.0)

Die im März 2023 in der Graswurzelrevolution Nr. 477 veröffentlichten antimilitaristischen Kritiken von Wolfram Beyer und Martin Firgau am „Manifest für Frieden“ und am Kuscheln von Sahra Wagenknecht und Co. mit der Querfront haben für kontroverse Diskussionen gesorgt. Der folgende Artikel skizziert die Geschichte der rot-braunen Querfront und bietet Hintergrundinformationen für die weitere Auseinandersetzung. (GWR-Red.)

Sahra Wagenknecht und ihr Anhang organisierten am 25. Februar 2023 vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine Kundgebung unter dem Motto „Aufstand für den Frieden“, an der auch Rechte, u. a. AfD-Politiker, „Reichsbürger“, QAnon-Anhänger, die Partei „Die Basis“, Jürgen Elsässer oder Nikolai Nering teilnahmen. Bereits 2020 konstituierte sich die Bewegung der „Querdenker“, die von Reichsbürger:innen, Impfgegner:innen und Neonazis gebildet wurde. Von Anfang an wurden rechte Individuen und Gruppen toleriert.
Teile der Linken, darunter Mitglieder der Linkspartei wie Sahra Wagenknecht, Dieter Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth oder Norman Paech, zeigten in ihren Publikationen sowie durch ihre Teilhabe am „Krefelder Appell“, wesentliche Übereinstimmungen mit der von Neonazis infiltrierten und aus dem Hintergrund gesteuerten Bewegung der „Querdenker“. In dem „Krefelder Appell“ wurde diese „Bewegung zur Wiedererlangung unserer Grund- und Menschenrechte“ gelobt. Zu den Erstunterzeichnern gehörten führende Vertreter der „Querdenker“, wie z. B. Michael Ballweg, Anselm Lenz und Wolfgang Wodarg. Der Aufruf spielt der faschistoiden Strategie und Taktik der „Querfront“ in die Hände und zielte darauf ab, einer rot-braunen Querfront Tür und Tor zu öffnen (vgl. GWR 477).
Gemeinsamkeiten zwischen Linken und Rechten waren bereits ab Mitte der 1920er Jahre sichtbar geworden, wo es zu partiellen ideologischen und politischen Übereinstimmungen der Nazi-Ideologie mit nationaalkommunistischen Vorstellungen gekommen war. Diese Gemeinsamkeiten bestanden aus Teilen der deutschen Kultur (Rassismus, Autoritarismus, etc.), als auch ihrer antidemokratischen Theorie und Praxis. In diesen Schnittstellen verbinden sich nationalistische und autoritäre Ansprüche der Nazis mit der national-bolschewistischen Ideologie und Praxis der KPD. Wissenschaftliche Vergleiche zwischen diesen beiden extremen Formierungen sind mit politischen und parteipolitischen Vorgaben belastet, und es muss deshalb betont werden, dass es sich hierbei um Vergleiche handelt und nicht um ihre Gleichsetzung. Letzteres verbietet sich schon deshalb von selbst, weil Geschichte und Programmatik der beiden politischen Strömungen fundamental unterschiedlich waren und sind. Doch die vorhandenen Gemeinsamkeiten von Rechten und Linken müssen genannt werden, das gebietet die Verpflichtung zur historischen Wahrheit.
Diese historische Nähe zwischen Linken und Rechten zeigte sich in der Zusammenarbeit der NSDAP und der KPD in der ersten deutschen Republik. Dieser Weg, als der stärksten Linken Organisation, führte die deutschen Kommunisten zu einer nationalistischen Orientierung in der SBZ/DDR, mit Zustimmung der KPdSU. Diese lässt sich an der Namensgebung für gesellschaftliche und staatliche Institutionen leicht ablesen, wie z. B. der „Nationalrat der Nationalen Front“, der „Nationale Verteidigungsrat“, die „Nationale Volksarmee“ oder der „Nationalpreis“, um nur einige Beispiele zu nennen. Die andere Seite dieses Nationalismus war der Bezug auf eine völkische Ideologie, was sich in den Begriffen „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“, „Vaterländischer Verdienstorden“, „Volkskammer“, „Volkspolizei“ und „Volkssolidarität“ usw. usf. zeigt.

Rot-braune Querfront nach 1945

Die KPD und ihre Hinwendung zum völkischen Nationalismus ab Mitte der 1920er Jahre war der ideologische und politische Vorläufer für die Politik der SED, die von der Sowjetunion mit der DDR einen Staat erhalten hatte, in dem die nationalistische und autoritäre Programmatik zur Staatsraison erhoben werden konnte. Diese Politik der SED war kein Ausdruck von „Einzelfällen“ oder gar ein „politischer Ausrutscher”, nein, sie war seit Jahrzehnten elementarer Bestandteil ihrer Politik und Ideologie. Anfang der 1950er Jahre organisierte die Führung der SED einen Dialog mit Vertretern von Gruppen aus ehemaligen Nazis, die sich in der BRD organisiert hatten. Diese Tagung fand am 29. und 30. Januar 1951 in Berlin statt. Unter den Teilnehmer:innen der Delegation der SED/FDJ waren Erich Honecker, damals Erster Sekretär des Zentralrats der FDJ und Kandidat für das Politbüro der SED, sowie Margot Feist, seine spätere Ehefrau, die zu dem Zeitpunkt Sekretärin des Zentralrats der FDJ und Abgeordnete der Volkskammer war. Außerdem waren auf DDR-Seite mit Dieter Schmotz, Horst Rogee, Siegfried Dallmann und Horst Dreßler-Andres ehemalige Naziführer beteiligt. Auf der westdeutschen Seite waren Vertreter der ehemaligen Reichsführung der Hitler-Jugend (HJ) in der BRD, u. a. Karl Cerff, ehemaliger Obergebietsführer der HJ und andere alte Nazis beteiligt.

Gemeinsamkeiten zwischen Linken und Rechten waren bereits ab Mitte der 1920er Jahre sichtbar geworden, wo es zu partiellen ideologischen und politischen Übereinstimmungen der Nazi-Ideologie mit nationaalkommunistischen Vorstellungen gekommen war.

Ab den 1980er Jahren beschützte das MfS, im Auftrag der SED, die beiden westdeutschen Neonazis Udo Albrecht und Odfried Hepp, vor justizieller Verfolgung westdeutscher Behörden. Albrecht war am 29. Juli 1981, bei einem gerichtlichen Ortstermin bei Lauenburg (Schleswig-Holstein) in die DDR geflüchtet. Auslieferungsersuche von Behörden der BRD wurden von der DDR strikt abgelehnt. Albrecht war als junger Mann aus der DDR in den Westen geflohen und begann da eine bemerkenswerte Karriere als Krimineller. Bereits in den 1960er Jahren bezeichnete er sich als „Neonazi im Kampfauftrag der PLO“. Hepp begann seine Karriere bei der von ihm gegründeten „Wehrsportgruppe Schlageter“, sowie der „Kampfgruppe Schwarzwald“, deren Stützpunkte 1978/79 in Baden lagen. Außerdem war er Mitglied der neonazistischen „NSDAP/AO“, sowie Mitglied in der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG). 1980 floh Hepp vom Libanon in die BRD und wurde am Flughafen in Frankfurt/M. verhaftet, vor Gericht gestellt und zu 16 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner Haftzeit, Ende 1981, ging er am 14. Januar 1982 in die DDR, um sich dem MfS als Mitarbeiter anzudienen. Bereits 1980 hatte das MfS versucht, Hepp als „Inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM) zu gewinnen. Doch nun gelang es dem MfS, Hepp unter dem Decknamen „Friedrich“ für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Im Laufe des Jahres 1982 traf Hepp seinen Führungsoffizier mindestens siebenmal, meistens in einem Objekt des MfS im Berliner Umland.

Linkspartei und Querfront nach 1990

Am 31. Juli 1998 veröffentlichte die Tageszeitung „Neues Deutschland“ (ND), sie wurde vom Bundesvorstand der Linkspartei kontrolliert, einen Text von Roland Wehl, ein rechter Nationalist: „Die Nation zur Sache des Volkes machen: Wie national muss die Linke sein?“. Der Autor schrieb bereits seit 1993 für die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“.
Michael Nier, ehemals Direktor des Instituts für Gesellschaftswissenschaften an der Ingenieur-Hochschule in Mittweida und Hochschullehrer an der TU Dresden und an der TU Chemnitz, erhielt im ND die Möglichkeit, seine kruden nationalistischen und faschistoiden Ansichten für die Bildung einer Querfront von ganz links bis nach ganz rechts zu verbreiten. Das „Neue Deutschland“ veröffentlichte am 14. August 1998 einen Beitrag von M. Nier, in dem er gegen die „volksfeindliche Politik des transnationalen Kapitals“ und die „immer brutalere Amerikanisierung“ Position bezog, denn für Deutschland sei „die Erinnerung an die Nation der Griff zur Notbremse im rasenden Zug des Kapitalismus“. Der ND-Redaktion fiel offenbar gar nicht auf, dass diese pathetischen Zeilen von einem Neonazi stammten. Und selbst wenn, hätte sie dies kaum ernsthaft stören dürfen. Schließlich hatte die Redaktion die Debatte, in deren Rahmen der Beitrag erschien, selbst angestoßen, indem sie unter der Fragestellung „Wie national muss die Linke sein?“ auch einen Beitrag des rechten Autoren Roland Wehl abdruckte, dem Redakteur der rechten Zeitung „Wir Selbst – Zeitschrift für nationale Identität“ und Autor der rechten Zeitung „Junge Freiheit“. Sein Gastauftritt im ND war Teil eines Autorenaustausches: Ein paar Monate zuvor veröffentlichte ND-Redakteur Marcel Braumann einen Beitrag in „Wir Selbst“, und auch in der rechten Zeitschrift „MUT“ finden sich Artikel von M. Braumann. In einem Leserbrief an die rechte „Junge Freiheit“ hatte sich ein M. Braumann „einen intellektuell ernstzunehmenden konservativen Beitrag zur regionalen Identitätssuche (…), der sich vom Euro- und Globalisierungswahn abhebt“, gewünscht. Die PDS-Bundestagskandidatin aus Schwerin, Angelika Gramkow, beklagte in einem Leit-artikel des ND Folgendes: „Wir haben die nationale Identität den Rechten überlassen“. Johann Scheringer, der PDS-Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, hatte der „Jungen Freiheit“ (9/1993) ein Interview gegeben, in dem er sich zur „deutschen Nation“ bekannte. Später bekräftigte er mit einem Beitrag in der rechten Zeitschrift „Wir Selbst“ dieses Bekenntnis.
Nach 2014 fanden sich bei den antisemitischen „Mahnwachen“ in Berlin und in über 80 Orten Linke und Rechte zu einer rot-braunen Querfront zusammen. Daran beteiligten sich u. a. der ehemalige Linke Jürgen Elsässer und der Antisemit Ken Jebsen, sowie die Bundestagsabgeordneten der Partei „Die Linke“ Heike Hänsel, Dieter Dehm, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko.
Sahra Wagenknecht war ab 1989 Mitglied der SED und in allen folgenden Organisationen bis zur Partei „Die Linke“, auch in Führungspositionen. Sie war Abgeordnete des Europaparlaments und bis heute des Bundestages. Außerdem war sie Mitglied der „Kommunistischen Plattform“, einer Unterorganisation der Partei „Die Linke“. Nach der Kundgebung am 25. Februar 2023 erklärte Wagenknecht, dass sie 2025 nicht mehr für die Partei „Die Linke“ kandidieren werde. Sie ließ offen, ob und wann sie eine eigene Partei gründen würde.

Der Historiker Harry Waibel hat in einer dreiteiligen Artikelserie in GWR 476, 477 und 478 den Rechten Terror in der DDR analysiert. Seine Themenschwerpunkte sind Neonazismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in der DDR sowie Rassismus in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.