Die Wehrmacht war am Holocaust beteiligt und eine verbrecherische Organisation. Das ist die zentrale Aussage der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944”, die das unabhängige Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) inzwischen in 30 deutschen und österreichischen Städten zeigen konnte. Damit ist jetzt Schluß. Statt in die USA geht die Ausstellung vorerst wieder zurück in die Archive. Dort sollen die Fotos und ihre Aussagekraft neu überprüft werden. Damit erreicht jetzt ein Text, was protestierende CSUler und demonstrierende Nazis ebenso wenig geschafft haben, wie diverse Stink- und ein richtiges Bombenattentat: die wer-weiß-schon-wie vorläufige Schließung der Ausstellung und damit ihre öffentliche Diskreditierung.
„Bilder einer Ausstellung” heißt der Artikel des polnischen Historikers Bogdan Musial, der in der Zeitschrift Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte veröffentlicht wurde und jetzt als Stein des Anstoßes gegen die Wehrmachtsausstellung flog. Auf neun in der Ausstellung gezeigten Bildern, versucht Musial nachzuweisen, sind nicht Verbrechen von Wehrmachtssoldaten gezeigt. Statt dessen handele es sich um Greueltaten des sowjetischen Geheimdienstes NKDW. Der vergleichsweise unbedeutende Artikel – notwendige Kritik an unzureichend oder falsch ausgewiesenen Fotos hatte es in den vergangenen vier Jahren immer wieder gegeben – erlangt seine Sprengkraft nur durch die surroundings, in denen er plaziert ist. Der Kontext ist der sogenannte Normalisierungsdiskurs. Die weltpolitische Rolle Deutschlands seit 1989/90 wird von einem Feuilletonismus flankiert, der der BRD eine geradezu besondere Normalität zurechtschreibt. Zu dieser Normalisierung gehört vor allem die Neuordnung der Geschichte, wobei die Bedeutung des Holocausts auf die von einem Verbrechen unter anderen zurechtgestutzt wird. Um die Definition, Interpretation und Bedeutung von Ereignissen und Begriffen wird ein kultureller Krieg geführt. Daß einige Bilder nicht nur falsch eingeordnet sind, sondern tatsächlich auch noch Verbrechen von Kommunisten zeigen, wird jetzt von rechten KulturkriegerInnen gekonnt ausgeschlachtet. Stalinistische und nationalsozialistische Verbrechen müßten nun als ineinander verschränkte Phänomene behandelt werden, tönt es befriedigt aus Welt und FAZ. Den Nazi-Verbrechen die Bedeutung der historischen Einzigartigkeit zu nehmen, daran arbeiten deutsche Rechte spätestens seit Kriegsende.
Gerade weil die Kritik Musials nach dessen Angaben gar nicht „das eigentliche Thema der Ausstellung” zum Gegenstand hatte, sondern sich bloß auf neun von – je nach Zählweise und Zuordnung zu „illustrierenden” oder „dokumentierenden” – 1433 bzw. 801 Fotos beschränkt, ist die Reaktion des HIS das falsche Signal. Denn was übrig bleibt ist der Eindruck, hier sei bislang absichtlich falsch dargestellt oder sogar gefälscht worden und dazugehörig ein weitverbreitetes Gefühl von „da muß ja was dran sein”. Und darüber freut sich die rechte Feuilletonredaktion und die LeserInnen adjutieren mit bewaffneter Offenheit: In der Welt am Sonntag beispielsweise wird die Ausstellung als „Volksverhetzung” bezeichnet (Leserbrief: „Wo bleibt die Anklage?”, Dr.E.Kraft, Essen) oder volkstümelnde Betroffenheit darüber geäußert, daß die „Wahrheit” wieder mal „fast ausschließlich von jenseits unserer Landesgrenzen kommt” (H.Wohlrath, Solingen). Daß die Ausstellungsmacher und ihre linksliberalen UnterstützerInnen gerade diesmal eingeknickt sind, ist ein ärgerlicher Schritt in Richtung deutschnationaler „Normalisierung”. Statt die Dimensionen des Vernichtungskrieges begreiflich zu machen, anstatt der Rede von „Verstrickungen”, „Verfehlungen”, „einzelnen Verbrechen” langfristig die Legitimation zu entziehen und der Einsicht in die planerische Involviertheit und aktive Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen, droht die Ausstellung jetzt als Devotionaliensammlung für Totalitarismustheoretiker zu verkommen. Die vorläufige Schließung der Ausstellung ist also ein rechter Sieg im Kulturkrieg. Es darf wieder hämisch gefragt werden: „Vielleicht ist das Urteil des Internationalen Militärtribunals von Nürnberg über die Wehrmacht, wonach sie keine verbrecherische Organisation war, ja richtig” (P.Lauer, OStR, Hannover). Fragen solcher Art sind keine Fragen, sondern Antworten, die von einer hegemonialen Position im kulturellen „Stellungskrieg” (Gramsci) aus gegeben werden.