editorial

Ausgezeichnet

Zum zweiten Mal nacheinander geht der Deutsche Verlagspreis an den Verlag Graswurzelrevolution

| Bernd Drücke

Ausgabebild

Liebe Leser:innen,
nach der alljährlichen GWR-Sommerpause flattert Euch die Zeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft ab sofort wieder Monat für Monat in die Briefkästen. Vorausgesetzt, Ihr seid Abonnent:innen. Falls das noch nicht der Fall ist, abonniert bitte jetzt. (1) Die Zukunft dieses seit 1972 erscheinenden Organs gewaltfrei-anarchistischer und anderer sozialer Bewegungen ist in Zeiten von Inflation und Prekarisierung unsicher. Anders als andere Printmedien, finanziert sich die GWR fast ausschließlich über Eure Abos und Spenden (siehe Seite 24). Dadurch können wir unabhängig berichten, solidarisch, von unten, aus der Sicht von antikapitalistischen Bewegungsaktivist:innen aus aller Welt.
Also, wenn bisher Euer Lieblingscafé oder Eure Stammkneipe noch kein GWR-Abo hat und weder Euer liebster Buchladen noch der örtliche Bahnhofskiosk die GWR verkauft, schlagt ihnen bitte vor, sie zu abonnieren oder in den Vertrieb zu nehmen. Wir bemühen uns, mehr Menschen zu erreichen, aber für ein kleines Bewegungsorgan ohne Werbeetat ist das schwierig.

Graswurzelrevolution meets Bundeswehr im ZDF

Auch mit der Hoffnung, die GWR und graswurzelrevolutionäre Positionen bekannter zu machen, habe ich eine Einladung des ZDFs angenommen und als antimilitaristischer Anarchist mit einem Bundeswehr-Hauptmann in einer „Sag’s mir / unbubble“-Sendung des ZDF über die Bundeswehr diskutiert. Von der vierstündigen Aufzeichnung wurden Ende Juli 2023 leider nur 22 Minuten im ZDF und auf ZDF kultur ausgestrahlt. Die Sendung findet Ihr in der ZDF-Mediathek unter dem Titel „‘Es gibt keine gute Armee’ | Pazifist trifft Bundeswehr Offizier | Sag’s mir | unbubble“. Auf YouTube wurde sie in den ersten Wochen zusätzlich von 177.000 Menschen angeguckt und von 1.550 Leuten unterschiedlichst (!) kommentiert (2). Gefreut haben wir uns beispielsweise über Konstantin Weckers Reaktion, der nach dem Gucken der ZDF-Sendung begeistert in der GWR-Redaktion angerufen und persönlich 100 GWRs für seine Tournee bestellt hat. Amüsant und sehenswert ist das 70minütige „React“ zur „Sag’s mir“-Sendung, das das anarchistische Dortmunder Podcast-Kollektiv Uebertage am 2. August produziert hat (3). In den Sommermonaten war die GWR auch Thema oder Teil der Berichterstattung in anderen deutschen (4) und internationalen (5) Medien. Prima.

Solidarität mit Olga, Yurii und allen Antimilitarist:innen weltweit!

Die Graswurzelrevolution ist seit über 50 Jahren Teil der War Resisters’ International (WRI) und viele unserer Autor:innen kommen aus aller Welt. Im Moment machen wir uns große Sorgen um unsere Freund:innen in Russland, für die die Luft in Putins Autokratie von Tag zu Tag dünner wird. Aber auch in der „lupenreinen Demokratie“ Ukraine wird das politische Leben immer mehr vom Militarismus bestimmt.
So wurde der ukrainische Friedensaktivist Yurii Sheliazhenko am 15. August in Kiew zu Hausarrest verurteilt, um seine antimilitaristischen Aktivitäten zu unterbinden (siehe Seite 20). Die belarussische Menschenrechtsverteidigerin Olga Karatch lebt im Exil in Litauen und schreibt regelmäßig auch in der GWR. Nachdem die litauischen Behörden ihr jetzt Asyl verweigert haben, beteiligen wir uns an der internationalen Kampagne #protection4olga, um Schutz und Asyl für die Leiterin der Organisation „Unser Haus“ zu fordern. Bitte beteiligt Euch an der Soli-Kampagne (siehe Artikel auf dieser Seite).

GWR 481 mit vier Schwerpunkt-Themen

Der internationale Antimilitarismus ist immer ein wichtiger Teil der Graswurzelrevolution. Diesmal berichten wir z.B. über den Widerstand der Gruppe Feminist Anti-War Resistance (FAR) aus Russland gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine (Seite 12), über militaristische „Anarchisten“ (Seite 15) und den Kriegsdienstzwang in der Schweiz (Seite 17). Unter dem Titel „Ein ‚neuartiger Mut‘ innerhalb des türkischen Antimilitarismus“ präsentieren wir Euch einen Vorabdruck aus der Autobiografie der gewaltfreien Anarchistin und Feministin Pınar Selek. Ihr Buch erscheint im Oktober 2023 unter dem Titel „Die Unverschämte“ im Verlag Graswurzelrevolution. (6) Die im französischen Exil lebende Antimilitaristin wird seit 25 Jahren vom autokratischen türkischen Regime verfolgt. (7) Der nächste Prozess gegen sie findet am 29. September in Istanbul statt. (8)

Der deutsche Kolonialismus und seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden lange geleugnet. Dabei wurde in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia, an den Herero und Nama der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts verübt. In dieser GWR beleuchten wir mit einem Schwerpunkt die deutsche Politik des Verdrängens und des „grünen“ Neo-Kolonialismus in Zeiten der „Energiekrise“ (S. 1, 6 ff.).

Am 11. September werden die Massenmedien wieder der fast 3000 bei den Terroranschlägen 2001 in New York getöteten Menschen gedenken. Wir möchten in dieser GWR auch an den weitgehend vergessen gemachten 11. September 1973 erinnern, dem in Chile Zigtausende zum Opfer gefallen sind (S. 3 ff.). Vor 50 Jahren putschte dort mit Hilfe der USA das Militär. Unzählige Linke wurden verhaftet, gefoltert und ermordet.

Ein vierter Schwerpunkt dieser Ausgabe sind die Diskussionen um die im Sommer 2023 abgehaltenen anarchistischen Kongresse in St. Imier und Chemnitz (S.13 ff.). Vier der fünf Beiträge dieses Schwerpunkts beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die Geschehnisse und Probleme auf dem anarchistischen Kongress in der Schweiz, an dem sich vom 19. bis 23. Juli 5.000 Anarchist:innen beteiligt haben. Einen weiteren Diskussionsbeitrag dazu haben wir für Euch unter dem Titel „Anarchy 2023 in Saint-Imier“ auf graswurzel.net gestellt. (9)

Schockierend ist der Bericht über die Polizeigewalt in Frankreich (S. 1 und 9), während der Artikel über den Widerstand gegen den französischen Atomstaat in Bure (S. 10) Hoffnung auf weitere Bausteine einer solidarischen Gesellschaft macht. Den zweiten Teil des Interviews mit Organisatorinnen des Sozialen Frauenkongresses in Polen findet Ihr auf Seite 11. Auf Seite 20 erinnern wir an Wolfram Treiber (27.1.1954 – 4.6.2023), auf Seite 21 geht es um Polizeigewalt gegen die schwerbehinderte Aktivistin und GWR-Mitherausgeberin Cécile Lecomte. Alex Kempfle berichtet auf Seite 22 über seine Erlebnisse in der GWR-Redaktion. Sein Artikel kann als Ermutigung für zukünftige GWR-Praktikant:innen gelesen werden. Rosalia Krenn macht mit ihrer Glosse auf Seite 22 die SPÖ zum Thema. Als Vorgeschmack auf die Libertären Buchseiten, die im Oktober als Supplement der GWR 482 erscheinen werden, findet Ihr in dieser Ausgabe einige Rezensionen, außerdem Leser:innenbriefe (S. 23) und einen Ausblick auf den World Congress for Climate Justice in Mailand (S. 24).

We did it again

Von 358 nominierten Verlagen werden am 22. September in Berlin 64 Verlage mit dem Deutschen Verlagspreis 2023 ausgezeichnet. Zum zweiten Mal nacheinander geht dieser renommierte Preis auch an den Verlag Graswurzelrevolution. (10) Das hat angesichts der Erwähnung des 50 Jahre Graswurzelrevolution-Kongresses 2022 im neuen Verfassungsschutzbericht einen leicht ironischen Klang. Es freut uns trotzdem. Ausgezeichnete An-archist:innen!

Viel Spaß beim Lesen, Anarchie und Glück,

Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)