„Die Freiheit wird nicht kommen | Freiheit wird sich rausgenommen“ (1)
Im Moment prasseln die Nachworte auf Bert Papenfuß nur so runter wie große Hagelkörner... Ich wünschte, ihm wäre so viel Aufmerksamkeit zu seinen Lebzeiten für seine literarische Arbeit und für die Vernetzung von Künstler:innen zu Teil geworden, wie jetzt nach seinem Tod. Das einzig positive ist, dass er jetzt wieder mit Freund:innen wie Bernd Kramer u.a. zusammen einen Trinken kann (sofern es da was zu saufen gibt, wo sie jetzt sind...)
Papenfuß war ein Berserker der deutschen Lyrik, politisch unangenehm, unangepasst (hüben wie drüben). Der Gedanke der Faulheit faszinierte ihn, aber trotz aller Sauferei war er einer der produktivsten und kommunikativsten Dichter und Macher, die ich kenne. Seine Produktion umfasst ca. 40 Publikationen, zahlreiche Beiträge in Zeitschriften, Anthologien und Dokumentationen – bei allem Schlendrian ein „Held der Arbeit“.
Und als (Mit-)Herausgeber einiger Zeitschriftenprojekte und (Mit-)Initiator diverser Literaturgruppen und -festivals, erwies er sich als ein Mensch, der offen für vieles war und gerade auch nach dem Mauerfall keine Berührungsängst hatte. Papenfuß war ein Netzwerker, ohne unbedingt das Internet zu benutzen, und ein „Projektmanager“ im besten Sinne.
Die Fetzen seiner biographischen Daten werden immer wieder kolportiert: 1956 geboren im mecklenburgischen Stavenhagen, Ausbildung zum Elekronikfacharbeiter (Ton- und Beleuchtungstechniker). Sein Vater, ein NVA-Offizier, hatte schnell Krach mit seinem widerspenstigen Sohn, der den Kriegsdienst verweigerte und sich zu den Bausoldaten einziehen ließ. Die einzige Alternative in der DDR war ansonsten Knast für die Totalverweigerer.
Seit 1980 war er freischaffender Schriftsteller, der mit zahlreichen Künstler:innen aus Malerei, Musik und Literatur zusammenarbeitete. Ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Herausgeber von Zeitschriften, wie z.B. den „Sklaven“, und Gastronom, wie etwa dem Café Burger, bis es von der gemütlichen Dichter-Klause zum Touristenmagnet mutierte. Gerhard Wolf von Janus press, die nach dem Mauerfall erstmals eine fünfbändige Textsammlung herausgaben, schreibt im Klappentext im Band „hetze“ (Berlin 1998): „Papenfuß schimpft, krakeelt, schnoddert und schabernackt, daß es eine Lust ist – Sprachrausch und Wortverbiegungen, Wortbeugungen, Wortneuschöpfungen, alles, um den Sinn und Unsinn dieser Zeit in die Zeilen zu kriegen.“
Die Form des Schreibens war auf alle möglichen Arten recht experimentell. (2) Und wenn es Literaturkritiker:innen gibt, die Anmerkungen in einem Roman für unerträglich halten, dann würden sie wohl bei den Anmerkungen, die Papenfuß seinen Gedichten zu Lesestoff, Verwicklungen und Zitaten anbrachte, wohl ausrasten. Kaum ein Buch der Sekundärliteratur über den Prenzlauer Berg und seine Rolle als subkulturelle Anlaufstelle in der DDR kommt an den Namen Papenfuß vorbei, und dennoch war er weder ein Sprecher dieser Szene und schon gar kein Anführer.
Für Papenfuß, der sich schon zu DDR-Zeiten als Anarchist bezeichnete, war die Wende nichts anderes als Vom-Regen-in-die-Traufe kommen. Den Verheißungen des Westens traute er nicht und seinen Lebensstil – möglichst nur so viel Arbeiten, dass es zu einem einfachen Leben reicht – verfolgte er auch weiterhin, bis der Prenzlauer Berg gentrifiziert wurde und die zahlreichen sozialen Verknüpfungen sich langsam zu lösen begannen. Aber Papenfuß selbst „hing“ nicht am Prenzlauer Berg, am Mythos schon gar nicht, und überraschender Weise nannte er als Alternative zu Berlin nicht New York oder Paris oder London, sondern eher Chicago.
Und „das Spiel“ der westdeutschen Szene bekam er auch erst spät mit, dass ihm vorgeworfen wurde Nationalbolschewist zu sein, oder ein ewiggestriger DDR-Romantiker, von Rechten verprügelt, von Linken diffarmiert, machte er einfach weiter als ein Verteidiger von Freiheit, die man eben von niemanden geschenkt bekommen kann, sondern sich erkämpfen, bzw. nehmen muss.
Das letzte Buch zu Lebzeiten ist ebenfalls etwas politisch-literarisches aus der Prenzlauer Berg-Szene Berlin: Bert Papenfuß (Hrsg.), Sÿstemrelevanz & Lumpenïntelligenz. Schriften aus dem Vorlaß von Sepp Fernstaub. (3) Mit Texten, Gedichten, Gesprächscollagen über Zeitmaschinen, William Godwins Buch „Caleb“, Proudhon und anderes. Die Lesereise konnte nicht mehr realisiert werden, da die Krebserkrankung schon weit fortgeschritten war.
Ich kannte Bert Papenfuß seit Anfang 1990. Er war ein solidarischer, hilfsbereiter und freundlicher Mensch, selbst wenn sein Erscheinungsbild manchmal etwas Düsteres hatte. Er wusste Menschen immer wieder für neue Projekte zu begeistern. Er hinterlässt keine Lücke, sondern einen Krater. Ganz abgesehen von seiner Stimme (im doppelten Sinn) in der deutschen Literatur.
(1) Das Gedicht „Es gibt keine Freiheit“ gehört mit zu seinen bekanntesten und stärksten. Erschienen in: Bert Papenfuß, Rumbalotte Continua. 2. Folge [von sieben], Karin Kramer Verlag Berlin 2005
(2) Einen umfangreichen Text von Papenfuß selbst gibt es in dem Buch: Barbara Felsmann / Annett Gröschner (Hg.), Durchgangszimmer Prenzlauer Berg – Eine Berliner Künstlersozialgeschichte in Selbstauskünften. Lukas Verlag Berlin 1999, S. 316 ff.
(3) Quiqueg Verlag Berlin 2020. Sepp Fernstaub ist ein Pseudonym von Papenfuß.