Die biologische Vielfalt erhalten!

Wissenschaftler:innen aus dem Bereich der Ökologie der Gesundheit (disease ecology) sehen die Covid-19-Pandemie als einen Weckruf

| Peter Oehler

Marie-Monique Robin: Pandemien oder Biodiversität, Edition Contra-Bass, Hamburg 2023, 304 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-943446-66-1.

Die Journalistin Marie-Monique Robin hat Interviews mit 62 Wissenschaftler:innen geführt. Sie gehören zu einer weltweiten Community, die der Meinung ist, dass wir unser Verhältnis zur Natur überdenken müssen, weil wir ansonsten in eine Ära chronischen Lockdowns geraten werden.
Ansatzpunkt ist die Erhaltung der Biodiversität, also der biologischen Vielfalt, die aus zwei Gründen für die Menschen so wichtig ist. Zum einen, um das Auftreten von neuen Infektionskrankheiten („emerging virus“) zu verhindern. Hierfür ist der sogenannte Verdünnungseffekt verantwortlich. Kritisch sind kompetente Wirte, das sind Tiere, die Viren in sich tragen, die für sie selbst unkritisch sind, und sie an andere Tiere oder an Menschen weitergeben können.
Der Verdünnungseffekt besagt, 1.) dass die Ausbreitung von Viren und Parasiten reguliert wird, wenn es neben den kompetenten eine Vielzahl von nicht kompetenten Wirten gibt, 2.) dass Räuber(tiere) die Population der kompetenten Wirte begrenzen.
Wenn sich die Biodiversität aufgrund menschlicher Aktivitäten verringert, sind aber die großen Räuber und die Pflanzenfresser die ersten Opfer, was die Proliferation der Fledermäuse und der „Nagetiere nach sich zieht, die dreiviertel der zoonotischen Viren beherbergen.“ (S. 116) Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Haustiere, denn sie dienen als eine epidemische Brücke zwischen Wildtieren und Menschen. Das Hausschwein ist als Zwischenwirt dafür ideal.
Zum anderen stärkt der Kontakt des Menschen mit einer artenreichen Umwelt sein Immunsystem. Denn damit schützt er sich selbst vor „emerging viruses“. Hier spricht man von der „Hypothese der Biodiversität“, dass nämlich „der Kontakt mit der natürlichen Umwelt das menschliche Mikrobiom bereichert, das immunitäre Gleichgewicht fördert und vor Allergien und entzündlichen Störungen schützt.“ (S. 148) Das ist z.B. der Grund, warum die meisten Menschen in Afrika keine Allergien haben.
Im Buch klingt immer wieder die Sozial-Ökologie an, zu der auch gehört, die Armut zu bekämpfen. Denn die „globale Gesundheit ist unmöglich, solange man nicht die Frage der sozialen Ungleichheiten löst“ (S. 259). Erwähnt werden indigene Völker, die früher unterschiedliche „Öko-Zonen“ belebt haben und „die es verstanden hatten, sich an ihre Charakteristika und ökologische Zwänge anzupassen.“ (S. 236) Und zwar, indem sie die dort verfügbaren „Ressourcen […] gebrauchen, ohne sie zu erschöpfen“ (S. 238)
Das sollte für alle menschlichen Aktivitäten gelten: „Gemeinsam müssen wir unsere Produktionsweise und unser Konsumverhalten hinterfragen, damit sie dem Imperativ der ökologischen Solidarität entsprechen.“ (S. 263)
Kritisiert werden rein technologische Ansätze zur Bekämpfung von Epidemien und Pandemien, die aber meistens vom Mainstream (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft) gewählt werden: Einen Impfstoff bzw. ein Medikament zu entwickeln. Dazu zählt auch die Charakterisierung aller Viren im Rahmen des „Global Virome Projects“. Hierein fließt sehr viel Geld, das dann dafür fehlt, Maßnahmen zu ergreifen, „um die ökologischen Faktoren für das Auftreten von Infektionskrankheiten zu verringern“ (S. 288).
Wichtig wird von den Wissenschaftler:innen, die im Buch erwähnt werden, ein Wechsel des ökonomischen Paradigmas gesehen. Dazu gehört, Schluss zu machen mit industrieller Viehzucht, Monokulturen, der Entwaldung (insbesondere der Tropenwälder), und sich einzuschränken bei der Globalisierung, der Verstädterung, beim Straßenbau, bei Staudämmen und Minen bzw. ganz allgemein bei den menschlichen Aktivitäten, die Druck ausüben auf die Biodiversität. Also mehr oder weniger alles altbekannte Forderungen von Umweltschützer:innen. Aber neu ist dabei die Argumentation, dass wir damit auch unsere menschliche Gesundheit schützen.
In diesem Buch wird nicht behauptet, dass das Covid-19-Virus aus einem Laboratorium zufällig entwichen ist. Aber es wird bemängelt, dass dabei „’die Geheimhaltungskultur der Hochsicherheits-Laboratorien für Virologie, der Mangel an Transparenz und die Interessenskonflikte‘, […] mächtige Bremsen für die Offenlegung der Wahrheit darstellen“. (S. 283) Und so erscheint „die Hypothese eines zufälligen Entweichens eines modifizierten Virus aus dem [Virologie-Institut vom Typ] P4 in Wuhan die ‚plausibelste‘ Erklärung der Pandemie, die seit 2020 die Welt erschüttert.“ (S. 287)