Kampf um Lützerath. Broschüre über den Widerstand an der Kante. 50 DIN-A4-Seiten mit Fotos, Berichten, Einschätzungen, Polemiken und Analysen von Aktivist*innen. exil, Münster 2023, 3 Euro. Bestellungen an: exil@systemausfall.org ; https://exil.noblogs.org/
Die reichlich und sehr eindrücklich bebilderte Broschüre „Kampf um Lützerath“ ist eine notwendige, inhaltliche Ergänzung zu den erfolgreichen Kämpfen rund um das Dorf im Rheinischen Braunkohlerevier im Januar 2023. Sie liefert eine analytisch unverzichtbare Einordnung deutscher und grüner Energiepolitik. Sie lässt auch für die, die dabei waren, einen aufbauenden Rückblick auf die Ereignisse in und um Lützerath zu. Gleichzeitig ist sie aber leider übertrieben besserwisserisch und damit auch lähmend für eine Klimabewegung.
Wie nicht anders zu erwarten, bekommt die grüne Partei – vollkommen zu Recht – ihr Fett ab. Wie die Auseinandersetzungen um die deutsche Beteiligung am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 und die Hartz-IV-Gesetze 2005 zeigen, spielt diese Partei eine gewichtige Rolle bei der Durchsetzung gesellschaftlich umstrittener Themen und der daraus resultierenden Gewalt des Staates. Auf dem Feld der Energiepolitik holen die Grünen „die letzten Reserven aus dem fossilen Kapitalismus heraus und bereiten einen grünen Kapitalismus vor“ (S. 46). Das Fatale hieran ist, dass sich die Partei in ihrer „moralischen Überlegenheit als Kernstück grüner Ideologie“ (S. 25) weiterhin als Teil der Bewegung ansieht. Dass das noch nicht alle verinnerlicht haben, ist nachvollziehbar, aber es wird ja zunehmend deutlicher, insbesondere im Nachgang zu den Ereignissen in Lützerath. Denn, das scheint aus meiner Sicht der Kernsatz der Broschüre: „Die auf kapitalistischem Wachstum und neokolonialer Ausbeutung beruhende grüne Transformation wird die Katastrophe anheizen und sich von globaler Klimagerechtigkeit weiter entfernen“ (S. 26). Neben dieser analytischen Schärfe besticht die hervorragende Fotoauswahl und auch das erhellende Interview mit dem „Mönch“ (S. 37ff).
Umso ärgerlicher erscheint die zum x-ten Mal nachgebetete Militanzdebatte, die geradezu symptomatisch für linksradikale Bewegungen in der Folge von starken Auseinandersetzungen mit staatlicher Gewalt zu sein scheint. Hier sollen naiv „alte Rechnungen mit den Cops beglichen“ werden (S. 45). Die „allgemeine Schwäche linksradikaler Aktionsfähigkeit“, ein gerne bis zur Unendlichkeit wiedergekäuter Kernbestand der Rhetorik der Gruppe „exil“, einer Abspaltung der Interventionistischen Linken, wird hier in absurder Art und Weise wieder aufgewärmt. In avantgardistischem Denken von Linken, die die Weisheit scheinbar mit Löffeln gefressen haben, wird die empowernde Erfahrung und die Entschlusskraft der Demo unsolidarisch kritisiert. Die „ungenutzten Möglichkeiten“ und die „letzte Entschiedenheit werden genaustens analysiert, weil bei der Demo wohl die „nötige Militanz“ fehlte, um auch die letzte Polizeikette wegzufegen. Auch hier wird eine entscheidende Erkenntnis der außerparlamentarischen Bewegung (insbesondere der Anti-Atom-Bewegung) ignoriert, dass wir auch mit einem mehr an Militanz niemals dem staatlichen Machtapparat in Sachen Gewalt etwas entgegen zu setzen haben (siehe hierzu die Hintergründe von Christ*innen an der Tagebaukante (S. 11) und Erfahrungsberichte von der Räumung (S. 17)). In der „Steigerung des Erleidens“ erkennt die „Bezugsgruppe Lotzer“ eine „extreme Pazifizierung linker Bewegungen“ (S. 8). Das Ganze gipfelt in der absurden Forderung nach einer „militanten Aufrüstung“ der Bewegung (S. 8). Um auch das noch zu toppen, wird den basisdemokratischen Plena der Bewegung ein passivierender Moment mit „zeitaufwendigen und oft genug pseudodemokratischen Verfahren“ (S. 9) attestiert. Spontanität und Wut würden abgewürgt.
Ja, das unterscheidet gewaltfreie Aktionsformen vom pseudorevolutionären militanten Aktionismus und dem wiederholten Versuch, die Schlacht gegen den Staat mit Gewalt gewinnen zu wollen. Hierbei soll abschließend aus dem Interview mit dem „Mönch“ zustimmend zitiert werden: „die materielle Sabotage von Maschinen als Ziel zu definieren. Dabei sollte man so weit wie möglich versuchen, menschliche Konfrontation zu vermeiden“ (S. 40).
Ein revolutionäres Lächeln wird siegen, nicht die gewalttätige, wutzerfressene Fratze!