Erica Chenoweth, Maria J. Stephan: Why civil resistance works. The strategic logic of nonviolent conflict. Columbia University Press, New York 2012, 320 S., 27 Euro, ISBN 9780231156837
Fernsehen bildet. „Immer, wenn der Fernseher an ist, gehe ich in ein anderes Zimmer und lese“, schrieb Groucho Marx vor Jahrzehnten. Früher Fernsehen, heute TikTok, Youtube, Facebook. Gleichzeitig Verblödungsmaschine und emanzipatorisches Potential.
Wer bewußt gesellschaftlich aktiv ist, wird sich zwei Fragen bestimmt schon ‚mal gestellt haben: Wie funktioniert Gesellschaft? Und: Wie soll ich handeln?
k/eine Antwort
Eine Antwort auf die erste Frage ist bisher noch nicht gefunden. Teilprozesse sind hier und da vielleicht verstanden, aber eine umfassende treffende Beschreibung fehlt. Einige „Theorien“ spiegeln eher die Sehnsüchte ihrer Verfasser:innen und ihre Erklärungskraft ist gleich null. Dieses Wunschdenken kann visionär und motivierend sein, aber es ist kein haltbares wissenschaftliches Konstrukt.
Eine Antwort auf die zweite Frage liefern Frau Chenoweth und Frau Stephan. Jedenfalls wenn es um die Frage nach dem Erfolg von gewaltlosem zivilen Widerstand geht. Ihre zentrale Frage lautet, warum gewaltfreier Widerstand in manchen Fällen erfolgreich war, während ihr gewaltvoller Gegenpart versagte.
Erfahrungen sammeln, sichten, auswerten
Die Autorinnen stellen sich einer großen Herausforderung, um eine Antwort zu finden: Sie sammeln Daten aus über 100 Jahren Geschichte, sie untersuchen diese Daten auf Gemeinsamkeiten und ziehen so ihre Schlussfolgerungen.
Dabei verwenden sie mehrere Datenquellen, legen große Sorgfalt an den Tag und stellen sich der Diskussion und der Überprüfung durch Dritte. Diese Vorgehensweise weckt Vertrauen in die Haltbarkeit der Ergebnisse.
Moralfreies Ergebnis
Chenoweth und Stephan argumentieren empirisch, also ausgehend von festgehaltenen Erfahrungen in Form sehr vieler Daten, über Jahre hinweg gesammelt. Insbesondere brauchen sie keine moralische Begründung, und das hat entscheidende Vorteile: Erstens ist keine Grundlegung für Moral nötig – kein „Gott“, kein diskursiver Konsens oder irgendetwas anderes, dessen Verteidigung unmöglich ist oder schwerfällt. Zweitens sind die Autorinnen nicht angreifbar, weil sie eine bestimmte Gesinnung vertreten – sie legen Fakten auf den Tisch, jenseits von innerer Haltung und Einstellung. Schließlich ermöglicht diese Neutralität eine breite gemeinsame Basis für gesellschaftsrelevante Aktionen über moralische Grenzen hinweg.
„Butter bei die Fische“
Wesentliches Ergebnis von Chenoweth und Stephan ist, dass Gewaltlosigkeit öfter als andere Formen des Widerstandes zum Ziel führt. Gewaltfreiheit ermöglicht die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten im Aufbegehren gegen ein repressives System: Humor darf mitspielen, die körperliche Einstiegshürde ist niedrig und es gibt ein großes Spektrum an Aktionsformen.
Mut zum Lesen, Mut zum Handeln
Das Buch ist detailversessen, theorielastig und bisher nur auf Englisch erhältlich. Es gibt ein kommentiertes Inhaltsverzeichnis und ausführliche Literaturhinweise. Die Autorinnen beschreiben viele Fallbeispiele und erläutern ihre theoretischen Einsichten daran. Es ist ein Musterbeispiel für gute soziologische Arbeit. Keine leichte Lektüre für die Entspannung nach Feierabend. Ich möchte anregen, dass du es selbst liest – vielleicht in einem Arbeitskreis?
Wenn Du denkst, „das alles bringt doch nichts“, dann lass den Mut nicht sinken! Das Buch ist kein Handbuch zum zivilen Widerstand, aber es erweitert Verständnis und macht Hoffnung.