...sagte sinngemäß Heinrich Heine bereits 1821 in seinem Toleranzdrama „Almansor“ (1). Was schon die alten Griechen versuchten: unbequemes Wissen physisch zu vernichten, feiert auch im 21. Jahrhundert noch fröhliche Urständ.
Einige wenige Daten verdeutlichen, wie beliebt Büchervernichtung war und ist:
- Am 6.7.1415 wird der böhmische Reformator Jan Hus in Konstanz zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Zuvor führt man ihn am Friedhof jener Kirche vorbei, wo zur selben Stunde seine Bücher in Anwesenheit des Klerus und des johlenden Volkes verbrannt werden. In den darauf folgenden, nach ihm benannten Hussitenkriegen (1419–34) sterben mehrere tausend Menschen.
- 1793 und 94 ordnet der französische Revolutionär Robespierre die Verbrennung religiöser Bibliotheken und aller Literatur an, die das Königtum verherrlicht. Die Forschung geht von 200.000 bis 300.000 Toten aus: Ihre Köpfe fallen unter der Guillotine oder in den Vendéekriegen. (2)
- Am 10.5.1933 lassen die Nazis unliebsame Bücher verbrennen. Zigmillionen Menschen fallen dem Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 zum Opfer. (3)
- Seit August 2020 verbrennt der dänisch-schwedische Nazi Rasmus Paludan, Gründer der Partei „Strammer Kurs“ („Stram Kurs“), immer wieder öffentlich den Koran.
- 5.8.2023: Die dänisch-iranische Künstlerin Firoozeh Bazrafkan zieht sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Woman * Life * Freedom“ an, zerraspelt in einer Performance vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen einen Koran und presst die Reste in eine grüne Urne. (4) Die Reibe sei Symbol für die unterdrückten Frauen im Iran. Sie würde sich nicht von einer Handvoll Rechter abhalten lassen, den Islam ebenfalls auf diese Weise zu kritisieren.
Die Liste lässt sich leider erweitern. Denn schon seit Beginn der Herrschaft von Menschen über Menschen ist der Versuch, unangenehme Meinungen zu vernichten, statt sie zu widerlegen, en vogue. Mit den Schriften fängt es an, und wenn man nur genug Macht hat, kann man den Andersdenkenden auch zum Widerruf zwingen und / oder physisch vernichten.
Jan Hus hat trotz Folter nicht widerrufen. Also setzt man ihm eine Papierkrone aufs Haupt, mit drei Teufeln bemalt, und stößt die Fackel in den Holzstoß. Das Feuer brennt so lange, bis auch nicht das kleinste Knöchelchen mehr von ihm übrig ist: Man will verhindern, dass die Umstehenden Reliquien einsammeln. Aber hat die Verfolgung der Hussiten verhindert, dass ihre Schriften die Jahrhunderte überdauert haben? Nein.
Auch Maximilien de Robespierre gelingt es trotz Terrorherrschaft und Erklärung der allgemeinen Männerrechte nicht, Katholizismus und Königtum im 19. Jahrhundert auszulöschen. Auf die Revolution folgt die Restauration, und der letzte französische Kaiser dankt erst 1870 ab.
Etwas erfolgreicher sind da schon die Nazis 1933. In einer Aktion „Wider den undeutschen Geist“ werden in 22 Universitätsstädten öffentlich zehntausende von jüdischen, marxistischen, anarchistischen, pazifistischen und antifaschistischen Büchern verbrannt. Ihre Autor*innen gehen ins Exil oder werden ermordet. Und wer kennt heute noch Christa Maria Brück, Gina Kaus, Irmgard Keun oder Rahel Sanzara?
Aber es müssen nicht immer die Regierenden sein, die Bücher vernichten lassen. Schon in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments heißt es, dass die frisch zum Christentum Bekehrten freiwillig ihre „Zauberbücher“ zusammengetragen und öffentlich verbrannt hätten. (5) Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es dann z.B. an Schulen ähnliche Aktionen gegen „Schundliteratur“ wie Comics, die Zeitschrift „Bravo“, gegen obszöne oder sonstwie „unmoralische“ Literatur und Beatles-Schallplatten. Der Fantasie, was alles wohl unerwünscht sein könnte, sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Und wenn man die Webseite der American Library Association (6) öffnet, sieht man gleich zu Beginn einen Aufruf, Bücher eben nicht aus den US-amerikanischen Bibliotheken zu verbannen. Die Zahl der Versuche, Bücher zu verbieten, ist dabei von 156 im Jahre 2020, über 729 in 2021 auf 1269 im Jahre 2022 gestiegen. Besonders beliebt: LGBTQIA+-Inhalte!
Dass der rechtsradikale Däne Rasmus Paludan (so rechts, dass er selbst von der Partei Nye Borgelige, die in etwa dem neonazistischen „Flügel“ der AfD entspricht, rausgeschmissen wurde), immer wieder Korane verbrennt, wundert uns nicht.
Der hochintelligente Rechtsanwalt verteidigte bereits 2017 einen Mann, der wegen Koranverbrennung auf Basis des Blasphemie-Paragraphen angezeigt worden war: die erste diesbezügliche Verhandlung seit 46 Jahren. Das dänische Strafrecht sah damals vor:
„Wer sich öffentlich über die religiösen Lehren oder Gottesdienste einer in diesem Land rechtmäßig bestehenden Religionsgemeinschaft lustig macht oder sie verspottet, wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 4 Monaten bestraft.“
Paludans Verteidigung war so gut, dass der Paragraph noch im selben Jahr abgeschafft wurde. Waraufhin er dann selbst zu Koranverbrennungen schritt.
2020 versucht die schwedische Regierung noch, ein Einreiseverbot gegen ihn durchzusetzen – vergeblich. 2022 und 2023 verbrennt er immer wieder öffentlich Korane, was zu teilweise gewalttätigen Gegendemonstrationen führt. Seine ultrarechte Splitterpartei „Strammer Kurs“ fordert das Verbot des Islam in Dänemark und die Abschiebung aller Einwohner*innen, die keine ethnischen Dän*innen sind. Sie hat bei der Folketingsvalg 2019 (entspricht unserer Bundestagswahl) 1,8 % der Stimmen erhalten (wobei Dänemark nur eine 2 %-Hürde hat). Einreisen nach Deutschland und Groß-Britannien sind ihm verboten worden, und auch der Besuch des Folkemøde (Volkstreffen) auf Bornholm im Juni 2023 wird ihm seitens der Polizei erfolgreich untersagt. Die Veranstaltung ist eine Art Demokratietreffen mit vielen Workshops, auf der sich sämtliche Parteien Dänemarks präsentieren. Aber: Die Polizei fürchtet für Paludans Sicherheit ebenso wie für die Sicherheit von allen anderen Be-sucher*innen und versagt ihm den Aufenthalt in mehreren Kilometern Umkreis. Paludan tobt.
Auch der irakische Christ Salwan Momika, der 2023 in Schweden wiederholt Korane verbrannt und das Land damit in eine diplomatische Krise gestürzt hat, kann getrost dem rechtsextremen Flügel zugerechnet werden. (7)
Aber wie sieht es mit der dänisch-iranischen Künstlerin Firoozeh Bazrafkan aus? Im Radiointerview mit dr.dk (8) verbreitet sie kein rechtsextremes Gedankengut. Werden dadurch ihre Koranvernichtungen akzeptabler?
Seit 2007 macht sie in Århus und Kopenhagen Performances, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen. Die mit vier Jahren nach Dänemark gekommene Künstlerin will von hier aus für die Rechte iranischer Frauen und gegen den Islam kämpfen. Und nein, sie sei nicht rechts, sagt sie im Interview. Sie sei nur für eine absolute Ausdrucks-, Presse- und Meinungsfreiheit und findet es z. B. unerträglich, wenn die kompletten Namen von Attentätern (so z. B. von demjenigen, der 2013 einen Anschlag auf den ursprünglich marxistischen, später rechtspopulistischen Historiker und Journalisten Lars Hedegaard verübt hat) in der Presse nicht genannt werden dürfen. Auf ihrer eigenen Webseite outet sie sich allerdings indirekt als Schahbefürworterin – der Iran sei damals, zur Zeit der Schah-Diktatur, auf dem besten Weg zur Demokratie gewesen.
In Dänemark gibt es mittlerweile dermaßen viele Koranverbrennungen, dass die Regierung Ende August 2023 nun wegen dieser „unsympathischen Handlungen“ (O-Ton Justizminister Peter Hummelgaard) einen Gesetzesvorschlag eingebracht hat, der die „ungebührliche“ Behandlung von Büchern und ähnlichen Dingen, die einer Glaubensgemeinschaft heilig sind, mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestrafen soll. (9) Womit der Blasphemieparagraph dann über die Hintertür (und mit noch höheren Strafen) wieder eingeführt wird. Wir dürfen gespannt sein, ob der Vorschlag eine Mehrheit findet.
Aber hilft so ein Gesetz gegen die Rechten? Nein, sie können sich nur nicht mehr so unverhohlen äußern.
Und helfen Aktionen wie die von Firoozeh gegen die Meinung anderer bzw. deren Glauben? Nein. Sie verhärten nur die Fronten. Wenn ich also eine politische Künstlerin oder ein politischer Aktivist bin und es doch eigentlich mein Ziel ist, die Welt zu verändern, dann sollte ich es mit Mitteln tun, die andere überzeugen: z. B. mit gewaltfreier Kommunikation (10) oder anderen Arten der friedlichen Diskussion – also mit Empathie einerseits und Argumenten andererseits. Ich werde keinen Nazi überzeugen, wenn ich ein Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“ aus seinem Bücherschrank zerre und vor seinen Augen verbrenne. Es ist nur ein Akt meiner unkontrollierten Wut, der ihn stattdessen in seiner Meinung verstärken wird, dass alle Anarchist*innen eh ausgerottet gehören. Und Koranverbrennungen? Die führen zu Verbrennungen der dänischen Flagge, zu Botschaftsschließungen, zu Angriffen auf eventuell völlig Unbeteiligte, die nur zufällig auch Dän*innen sind oder so aussehen. Gewalt gegen heilige und unheilige Bücher erzeugt lediglich Gewalt und kein besseres Verständnis. Sie ist das falsche Mittel im Kampf gegen falsche Überzeugungen.
Deshalb: Lasst uns aufhören oder gar nicht erst anfangen mit der Vernichtung von Büchern unter dem Mantel der Kunstfreiheit! Es bringt nix, sondern schadet nur!
(1) wörtlich: „...dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Heinrich Heine, Schriften 1817-1840, S. 284f, Sämtliche Schriften in 12 Bänden, Band 1, hrsg. von Klaus Briegleb, Ullstein Werkausgaben, Frankfurt/M. © 1976 Carl Hanser Verlag, München, Wien
(2) https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/vollanzeige.html?FId=840061
(3) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1110101/umfrage/gesamtanzahl-der-nationalsozialistischen-opfer/
(4) Hier der Link zur Performance: https://
firoozehb.com/press-release-august-5-2023/
(5) Apostelgeschichte des Lukas, 19,19
(6) https://www.ala.org/advocacy/bbooks/book-ban-data
(7) https://www.tagesschau.de/ausland/
europa/salwan-momika-100.html
(8) https://www.dr.dk/lyd/p1/kulturen-
pa-p1/kulturen-2023-08-31/03:02
(9) https://www.justitsministeriet.dk/wp-content/uploads/2023/08/Lovforslag.pdf
(10) wie der von Marshall Rosenberg
(https://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_B._Rosenberg), die entwickelt wurde, damit Juden wie er mit Nazis reden können.