Im Rahmen der Internationalen Aktionswoche zur Abschaffung der Atomwaffen vom 21. bis 26. September 2023 veranstalteten Friedensaktivist*innen der Kampagne „Büchel ist überall – atomwaffenfrei. jetzt“ eine Performance vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg.
„Justitia, hör mich an! Atomwaffen sind illegal – kümmere dich!“, rief eine der Kläger*innen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 22. September der schlummernden Göttin der Gerechtigkeit zu. Fünf Mitkläger*innen schlossen sich an. Sie beschworen das Völkerrecht und das Friedensgebot im Grundgesetz der Bundesrepublik, zertrampelten eine Atomwaffen-Attrappe und forderten die schließlich erweckte „Justitia“ zum Handeln „für das Leben!“ auf. 25 Zu-schauer*innen applaudierten.
Am Vortag hatte Lies Welker, die 20. Klägerin gegen die Stationierung von 20 US-Atombomben in Büchel in der Eifel, ihre Beschwerde beim Verfassungsgericht eingereicht. Gegen die Urteile der Vorinstanzen (schuldig wegen „Hausfriedensbruch“ auf dem Stationierungsgelände in Büchel) setzt sich Welker mit ihrer Verfassungsbeschwerde zur Wehr: „ Das Bundesverfassungsgericht sollte anerkennen, dass wir uns in einer Notstandslage befinden. Wir haben zum Mittel des gewaltfreien Ungehorsams gegriffen, um öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass die staatlichen Institutionen sich nicht um die Beseitigung der Atombomben und die von ihnen ausgehenden Gefahren kümmern; dass darüber hinaus in Büchel schon jetzt die Menschenrechte verletzt werden. Keines der Gerichte war bisher bereit, sich mit unserer Zielsetzung zu befassen. Als seien wir auf irgendein Grundstück gegangen und nicht auf ein Gelände, auf dem für den Atomkrieg geübt wird. Diese Urteile können keinen Bestand haben.“
Die bisherigen 19 Klagen in Sachen „Nukleare Teilhabe“ nach Verurteilungen und teilweise Haft aufgrund von Go-Ins in Büchel hatte das Verfassungsgericht schlicht nicht angenommen. Darum riefen sechs zivil Ungehorsame die nächste Instanz an – den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Strasbourg. Da dessen Reaktion sich reichlich lange hinzieht, wiederholten sie dort am 25. September ihre Vorführung „Justitia aufwecken!“
Zwischen den beiden Aktionsorten gab es eine Friedens-Fahrradtour mit einer Kundgebung in Offenburg, die die örtliche Gruppe der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen) organisiert hatte. Als eine von 845 deutschen Mitgliedsstädten der „Mayors for Peace“ (Bürgermeister für den Frieden) entsandte die badische Stadt Martina Köllner, Leiterin des Fachbereichs Familien, Schule und Soziales, zur Begrüßung der Friedensaktivist*innen.
Alle Beschwerdeführer*innen beim Bundesverfassungsgericht hatten sich an Go-Ins auf den Fliegerhorst Büchel beteiligt, um auf den Skandal der dort eingebunkerten US-amerikanischen B-61-Atombomben aufmerksam zu machen. Einigen war es auch gelungen, die dort täglich stattfindenden Atomkriegsübungen der Bundeswehr durch die zeitweilige Besetzung der Startbahn zu behindern. „We shall overcome“ sangen sie und streuten Saatbomben ins Flugfeld, bevor die von der Bundeswehr herbeigerufene Polizei sie festnahm. Es folgten jeweils Anklagen wegen angeblichen „Hausfriedensbruchs“, obwohl es dort kein Haus und erst recht keinen Frieden gab. Strafen zwischen 30 und 230 Tagessätzen wurden verhängt.
Zehn „Täter*innen“ zogen seit 1997 der Zahlung „Mahnwachen hinter Gittern“ vor. Einer von ihnen, der US-Amerikaner John LaForge, erklärte seine Beschwerde beim EGMR gegen seine Verurteilung durch drei deutsche Gerichte aufgrund seiner Bücheler Protestaktion mit den Worten: „Die Gerichte haben meine Rechtfertigungsgründe nicht geprüft. Das Go-In auf den Atomwaffenstationierungsplatz beim Luftwaffengeschwader 33 der Bundeswehr in Büchel hat zur Verbrechensverhütung gedient!“
Die Grundlage für die Stationierung von US-Atombomben in der Bundesrepublik Deutschland bildet die sogenannte Nukleare Teilhabe. Sie sieht vor, dass deutsche Bundeswehr-Piloten diese Massenvernichtungswaffen im Kriegsfall möglicherweise einsetzen. Derzeit werden die Atombomben „modernisiert“ – ausdrücklich, um sie besser einsetzbar zu machen. Die Friedensaktivist*innen auf Tour wiesen in Karlsruhe, Offenburg und Strasbourg auf die immens gestiegene Gefahr eines Atomkriegs durch den aktuell in der Ukraine tobenden Krieg hin.
John LaForge und seine Mitstreiter*innen in Karlsruhe und Strasbourg wurden von zwölf Radler*innen der Friedensfahrradtour begleitet. Der Kölner Liedermacher Gerd Schinkel unterstützte sie mit eigens verfassten Songs zur Gitarre. Nach der Melodie von „Le Deserteur“ (Boris Vian) sang er:
„Justitia, nun mach! Fang endlich an zu handeln,
zum Besseren zu wandeln, was man nicht dulden kann.
Friedensgerechtigkeit heißt, alle können leben –
du könntest Hoffnung geben – jetzt ist es an der Zeit.“
Ariane Dettloff ist Mitglied der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegs-dienstgegner*innen) und Mitklägerin beim BVerfG und EGMR.