Der Staat versucht, die Klimagerechtigkeitsbewegung mit massiven Repressionsmaßnahmen einzuschüchtern – von brutaler Polizeigewalt über Präventivgewahrsam bis hin zu Haftstrafen. Ein aktuelles Beispiel sind die Prozesse gegen Aktivist*innen, denen vorgeworfen wird, im November 2021 das Kohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen blockiert zu haben. Silke sprach für die GWR mit Irene, die seit 10. Oktober 2023 deshalb vor Gericht steht. (GWR-Red.)
Graswurzelrevolution: Am 5. November 2021 haben Klima-gerechtigkeitsaktivist*innen das Kohlekraftwerk Neurath blockiert. Kannst du etwas zum Hintergrund und Anlass der Aktion sagen? Wie lief die Aktion ab?
Irene: Parallel lief gerade mal wieder eine der nutzlosen Weltklimakonferenzen. Es sollte Solidarität mit den Menschen im globalen Süden gezeigt werden, die seit langem gegen koloniale Machtstrukturen Widerstand leisten. Also ketteten sich etwa ein Dutzend Menschen in zwei Phasen hintereinander in Betonblöcken, -fässern oder -rohren auf den Gleisen an, um das Kraftwerk von der Kohlezufuhr abzuschneiden. Auch zwei Menschen mit E-Rollis waren dabei, welche die Polizei vor größere Herausforderungen stellten. Erfolgreich, denn das Kraftwerk wurde gedrosselt, ein Block musste ganz heruntergefahren werden. Durch die Aktion konnte das Kohlekraftwerk 22.000 Tonnen CO2 und viele andere Schadstoffe weniger ausstoßen. So war es also möglich, selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und hoffentlich dazu beizutragen, das kapitalistische System zu überwinden, um echte Klimagerechtigkeit angehen zu können.
Die Polizei ging von Anfang an sehr rücksichtslos gegen die Blockierer*innen vor. Gab es Polizeigewalt gegen die Aktivist*innen bei der Räumung und Festnahme?
Wenn in NRWE (1) die Interessen des Kohlekonzerns bedroht sind, geht die Polizei meistens rabiat vor. Bei der Räumung achteten die technischen Einheiten mehr auf Schnelligkeit als auf Vorsicht und verursachten so Brand- und Fleischwunden. Sanitäter*innen waren nicht überall vor Ort, und bei einer Person wurde eine offene Wunde über sieben Stunden nicht versorgt.
Wie war die Situation nach der Festnahme? Wann kamen die Aktivist*innen wieder frei?
Die Polizeigewalt setzte sich auf der Wache fort, als Polizist*innen bei einigen der Personen, die ihre Personalien verweigerten, anfingen, die Hände zu bearbeiten, um den Kleber dort abzubekommen. Außerdem ließen sie nachts das Licht an und ordneten teilweise zunächst Videoüberwachung der Zellen an. Alle, denen keine direkte Ankettung vorgeworfen wurde, wurden spätestens am nächsten Abend entlassen. Etliche Personen kamen erst nach der maximalen Gewahrsamsdauer von sieben Tagen frei – immerhin aber ohne Abgabe ihrer Personalien. Teilweise versuchten die Behörden danach eine Öffentlichkeitsfahndung, um Menschen zu identifizieren. Eine Person wurde darüber denunziert und wird mittlerweile angeklagt.
2022 wurde die erste Anklageschrift verschickt, und Anfang 2023 stand die erste Person wegen Beteiligung an der Blockade vor Gericht. Kannst du etwas zum Prozess und zu dem hohen Urteil sagen?
Insgesamt sind aktuell vier Menschen angeklagt, denen vorgeworfen wird, sich an unterschiedlichen Blockadeorten angekettet zu haben. Der Prozess gegen die erste Person fand von Januar bis April 2023 statt und war begleitet von vielen kleineren Aktionen im Kohlestädtchen Grevenbroich und vor allem einer unbeugsamen Haltung der angeklagten Person. Zum letzten Verhandlungstag tauchte die Person beispielsweise angekettet an eine andere Person auf. Unter dem Motto „angeklagt sind wir alle“ saßen die beiden dann den Tag zusammen auf der Anklagebank. Verlesen wurden auch zahlreiche Beweisanträge zum rechtfertigenden Notstand, also es wurde belegt, dass die Klimakrise existiert, Leben gefährdet und dass die verhandelte Aktion dazu beiträgt, die Gefahren abzuwehren. Die Richterin Dr. Zieschang interessierte das alles nicht. Sie entschied sich dazu, noch über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinauszugehen, und verhängte ein Urteil von neun Monaten Freiheitsstrafe wegen Störung öffentlicher Betriebe – ohne Bewährung, obwohl die Person nicht vorbestraft ist. Begründet wurde das damit, dass die Person sich nicht von der Aktion distanziert habe und dass die Aktion auf einen hohen Schaden angelegt war.
Wie geht ihr als Betroffene und Unterstützer*innen mit der drohenden Haftstrafe um?
Wir hoffen gerade darauf, dass das Landgericht das doch wieder einfängt und niemand von uns in den Knast muss. Zum Vergleich: Am gleichen Tag des ersten BlockNeurath-Urteils wird ein Urteil gegen einen Mann rechtskräftig, der mit dem SUV ein Kind totgefahren hatte, der hat ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung bekommen. Also nicht dass es richtig wäre, den in den Knast zu stecken, das macht aus meiner Sicht niemanden besser. Auf der anderen Seite können wir nicht sicher sein, denn die Repression gegen Klimagerechtigkeitsaktivist*innen nimmt gerade spürbar zu. Das lässt sich an vielen Fällen beobachten, ob bei der Letzten Generation oder den Verfolgungen rund um die verschiedenen Waldbesetzungen. Also versuchen wir das abwechselnd zu verdrängen und uns darauf vorzubereiten. Was uns gerade viel hilft, ist der Zusammenhalt. Die Repression hat uns als Betroffene zusammengeschweißt. Wir wissen, wir stehen das gemeinsam durch, was auch kommen mag.
Gerade schaffen wir es auch ganz gut, die Prozesstage mit Aktionen zu begleiten – um auch in Grevenbroich eine Diskussion über den nötigen Kohleausstieg oder auch den Sinn und Unsinn von Strafe anzufachen. So gab es eine Kletteraktion mit angeregten Diskussionen am ersten warmen Tag in der Innenstadt. Viel Wirbel hat auch ein Camp zu einem Prozesstag verursacht, inklusive der Diskussion der Grevenbroicher*innen im Vorfeld, ob wir alle Vorgärten zerlegen würden. Dann sind da irgendwann gefälschte Schreiben aufgetaucht, in denen die Richterin die Bevölkerung nach ihrer Meinung zum Prozess fragte. Die Prozesse politisch zu nutzen hilft auch, dass es sich nicht doof, sondern sinnvoll anfühlt, da immer wieder hinfahren zu müssen. Insbesondere nach der hohen Verurteilung auch wegen einer politischen Prozessführung finde ich es umso wichtiger, die Aktion zu verteidigen und sich nicht dem Druck des Gerichts zu beugen. Für mich ist es traurig, dass nicht mehr Menschen Prozesse politisch führen, denn das macht auch stärker.
Zu den Strafprozessen kommen ja noch hohe zivilrechtliche Forderungen hinzu.
RWE-Vertreter*innen sagten gegenüber der Presse, dass sie 1,4 Millionen Euro Schadensersatz von uns wollen, haben das bisher aber noch nicht konkret eingefordert. Mir macht das nicht so viel Angst, weil bei uns nicht viel zu holen ist und so RWE wahrscheinlich nicht viel von dem Geld bekommt. Es gibt ein Existenzminimum, was uns nicht weggenommen werden darf, und davon lebe ich dann eben. Ich nehme das mit Humor: Wenig Lohnarbeiten ist auch ganz nett, und mit weniger Geld leben verringert sowieso den CO2-Ausstoß besser als jedes grüne Gerede von Menschen. Ob Konsumverzicht wirklich die Welt rettet, ist dann wieder eine andere Frage, denn natürlich ist unser Wirtschafts- und Herrschaftssystem der Grund der meisten Probleme.
Seit dem 25. September 2023 findet der Prozess gegen dich statt. Wie verlief der erste Prozesstag?
Bereits vor dem Prozess waren viele Menschen da zur Unterstützung und weil es ein Konzert gab, welches parallel zum Prozess weiter lief (und auch im Gerichtssaal noch gut zu hören war). Das war toll, Solidarität erleben macht schwierige Situationen schon viel besser aushaltbar. Drinnen konnten meine Verteidigerinnen und ich auch einige Anträge vorlesen, zum Beispiel dazu, dass ich wollte, dass die Richterin ihre Verbindungen zu RWE offen legt, weil es offensichtlich welche geben muss – die ganze Stadt Grevenbroich ist voll von solchen Verbindungen, vom Sportverein bis zum Nachbarschaftsmagazin. Und die Einlasskontrollen, bei denen Personalien aufgenommen werden, haben wir kritisiert wegen der Einschüchterungswirkung und weil die Daten hinterher oft doch bei den Cops landen. Nach nur 35 Minuten hat die Richterin verfügt, dass wir Anträge nur noch schriftlich einreichen dürfen. So bekommt das Publikum dann gar nicht mehr mit, was passiert. Darauf haben wir mit einem Befangenheitsantrag reagiert. Die Richterin hat den Prozess vertagt, ohne auch nur eine*n Zeug*in gehört zu haben.
Was ist am zweiten Prozesstag am 10. Oktober passiert, und wie geht es weiter?
Am zweiten Prozesstag gab es draußen eine Lesung, so unter dem Motto, dass wir dann draußen lesen, was drinnen nicht gelesen werden darf. Tatsächlich konnte drinnen dann aber doch als Einlassung etwas über den Tagebau Garzweiler verlesen werden. Da habe ich lang erklärt, wie die Klagen des BUND gegen den Tagebau verschleppt wurden und wie die Grünen immer wieder umgekippt und am Ende den Tagebau genehmigt haben – also dass es nicht hilft, sich an Gerichte und Parteien zu wenden für das Erzielen von Fortschritten. Dann haben wir noch den damaligen Kraftwerksleiter vernommen, der hat uns einige interessante Fragen zum Kraftwerksbetrieb beantwortet. Schließlich haben wir uns noch darum gestritten, ob wir eine Stellungnahme verlesen dürfen. Wir haben uns durchgesetzt, weil es viel länger gedauert hätte, darum zu streiten, als das zu verlesen. Da ging es dann um den Schadstoffausstoß des Kraftwerks von Feinstaub bis zu Quecksilber (zu dem der Kraftwerksleiter nicht viel sagen konnte) und dessen tödliche und gesundheitsschädliche Auswirkungen. Kurz danach wurde der Termin auch schon wieder vertagt – auf den 30. Oktober 2023, und vermutlich geht es danach auch noch mal wieder weiter im November.
Außerdem wird am 27. Oktober auch über die Berufung bei der ersten Person verhandelt, da bin ich fast aufgeregter als bei meinem eigenen Prozess. Denn da geht es dann schon um die Frage, ob wir am Ende im Knast landen oder nicht. Und natürlich mag ich Freiheit, nicht nur weil ich Anarchistin bin.
Vielen Dank für das Interview – und euch allen viel Kraft für die laufenden Prozesse!
(1) NRWE ist ein Wortspiel, das auf die große Macht des Energiekonzerns RWE im Land Nordrhein-Westfalen (NRW) verweist.
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