Kolumne

so süß wie maschinenöl 02: Arbeit, Ökonomie und Alltag

Schaumschläger, Aufschneider und Scharlatane

Die Kunst des Hochstapelns und der Pleite-Flughafen Hahn

| Elmar Wigand

Beitragmaschöl
Grafik: Roy Brick

Immer wieder Rheinland-Pfalz. Was ist da los? Jetzt hat das Land den insolventen Flughafen Hahn an eine ominöse Holding verkauft, hinter der offenbar ein 15-jähriger Trickbetrüger steckt. (1) Kaum eine Nachricht hat mich in den letzten Wochen derart beeindruckt wie das Schelmenstück von Ardem K. Der Münchner Schüler schaffte es mit einer erfundenen Fluglinie namens Bavarian Airlines nicht nur rund eine halbe Million Euro an Investorengeldern an Land zu ziehen, in der BILD als Start-up-Hero gefeiert zu werden und bei RTL als neuer Konkurrent der Lufthansa aufzutreten, nein, er mietete stundenweise ein Büro im Düsseldorfer Stadttor und kaufte am Ende mit einer obskuren Swift Conjoy dem Insolvenzverwalter des Landes Rheinland-Pfalz auch noch den ehemaligen Ryanair-Flughafen bei Frankfurt ab. Hahn ist seit 2016 pleite. (2)
Dass die bürgerlichen Ökonomen ihre eigene Wirtschaft nicht kennen dürfen, ist ein Satz der in dieser Kolumne vermutlich öfters zu lesen sein wird. Ich habe ihn bei Paul Mattick aufgeschnappt. (3) Sie dürfen die Wirtschaft nicht verstehen, um ihr eigenes Seelenheil nicht zu gefährden, sonst würden sie verrückt werden oder desertieren.
Wenn es um Hochstapler und Trickbetrügerinnen geht, tappt beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung komplett im Dunklen. Dort schreibt Sarah Pines: „Hochstapler sind unbeliebt. Sie sind charakterlos, kriminell und kaum je Helden. Sie leben außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, verachten deren Normen und Werte, sind meist bindungslos und ohne Kinder.“ (4) Völliger Bullshit. (Und was soll uns der groteske Hinweis auf die Kinderlosigkeit sagen?!) Hochstapler sind sympathisch. Genau deshalb taugen sie als Helden von Bestsellern und Kultfilmen. Als da wären „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann, „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith und „Catch me if you can“ von Stephen Spielberg. (5) Hochstapler sind keine Robin Hoods, also keine absoluten Sympathieträger, die nach moralischen Prinzipien handeln und für universelle Werte wie Gerechtigkeit kämpfen. Sie nehmen nicht den Reichen, um den Armen zu geben. (6) Hochstapler sind nur relativ sympathisch. Sie bereichern sich selbst. Aber sie sind Underdogs, die nach oben wollen, die das System austricksen, es mit eigenen Waffen schlagen und die den dummen, ignoranten Bonzen, Geldsäcken, Repräsentant*innen und Entscheidungsträger*innen einen Spiegel vorhalten. Diese stehen am Ende nackt da wie der Kaiser in Andersons Märchen, dessen Kleider nur Hirngespinste waren.
Anstatt sich über die Psyche der Hochstapler*innen Gedanken zu machen, ist die Frage doch: Warum lassen sich Geldgeber so gern betrügen? Was ist an einem System womöglich schadhaft, das solche Kapriolen begünstigt? Ist Kapitalismus nicht prinzipiell Betrug? Ist die Marktwirtschaft womöglich nur ein Hirngespinst? Stattdessen pathologisiert die bürgerliche Presse von Spiegel bis Welt die Figur des Hochstaplers und sucht die Schuld in deren Psyche. (7)

Im konkreten Fall lag der ursprüngliche Größenwahn hier: Nach der Liberalisierung des Flugverkehrs im Jahr 1992 wurde die EU mit hoch subventionierten Regionalflughäfen überzogen, die niemals profitabel sein konnten und jetzt als Bauruinen in der Landschaft stehen. Hahn, Paderborn, Ludwigshafen, Parchim. Überflüssig und pleite. Nur zwei der 14 deutschen Regionalflughäfen gelten als überlebensfähig. (8) Das sind keine Einzelfälle und Ausrutscher einer freien Marktwirtschaft, deren Gesetze ja angeblich selbstregulierend sind. Eine ähnliche Struktur zeigt sich bei überdimensionierten Müllverbrennungsanlagen, Formel 1-Rennstrecken wie dem Nürburgring (Rheinland-Pfalz!) etc.

Ardem K. wurde bei dem Versuch aus Deutschland zu fliehen, von der Bundespolizei mit falschen Papieren festgesetzt. Er dürfte nicht strafmündig sein und braucht sich bei seinem Talent um seine Zukunft vermutlich keine Sorgen zu machen. (9) Die deutsch-russische Hochstaplerin Anna Sorokin, die die High Society von New York von 2013 bis 2017 um mehrere Hunderttausend Dollar erleichterte, konnte die Rechte an ihren Erzählungen umgehend an Netflix verkaufen.

Bloß die 400 Angestellten des Flughafens Hahn, die um ihre berufliche Zukunft bangen, gucken in die Röhre. Als Lohnabhängige bleiben sie in der Berichterstattung stets Randfiguren. Wie leibeigene Bauern im Mittelalter sind sie lebendes Inventar (nach Marx variables Kapital) und werden ungefragt mit der Immobile verkauft an Pleitegeier, Möchtegerne, Schaumschläger, Aufschneider und Scharlatane.

(1) Bernd Kramer: Frankfurt-Hahn - Was ein Teenager mit dem geplatzten Flughafendeal zu tun haben könnte, SZ, 28.9.2023, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/flughafen-hahn-bavarian-airlines-betrugsfall-15-jaehriger-1.6259926
(2) Georg Räth, Sebastian Steinbach: Polizei greift Teenie-Gründer am Flughafen auf – die absurde Geschichte des Adem Karagöz, Gründerszene, 7.3.2023, https://www.businessinsider.de/gruenderszene/business/adem-karagoez-bavarian-airlines-15-jahre-alt/
(3) Ist der Gedankengang ursprünglich von Marx oder Engels? Ich habe mehrere Stunden erfolglos recherchiert. Wer mir sagen kann, woher das Zitat im Original stammt, bekommt eine gute Flasche Rotwein von mir. (Gilt nur für die ersten drei Einsendungen.)
(4) Sarah Pines: So, wie ich bin, seid ihr alle! – Hochstapler versprechen alles, was wir uns wünschen. Und wir lassen uns gern von ihnen betrügen, NZZ, 20.5.2019, https://www.nzz.ch/feuilleton/hochstapler-sie-sagen-uns-was-wir-glauben-wollen-ld.1482261
(5) Der Film basiert auf der wahren Geschichte des Hochstaplers und Scheckbetrügers Frank Abagnale. Mit dem Autoren Jeff Nathanson hat er an dem meisterhaften Hollywood-Drehbuch gearbeitet.
(6) Bei genauerer Betrachtung ist Robin Hood sogar das Gegenteil eines Hochstaplers. Ein Adliger, der sich mit den niedersten Ständen gemein macht, der in den Guerillakrieg zieht, um die Herrschaft zu stürzen oder zumindest in einem autonomen Gebiet zu leben, in dem völlige Gleichheit herrscht.
(7) Das Manöver ist nah am Sündenbock-Prinzip gebaut. Am Immobilien-Crash von 2008 sollen angeblich auch Bernie Madoff und die Lehmann-Bank Schuld gewesen sein, nicht die Stupids from Dusseldorf (WestLB, IKB etc.), die der Deutschen Bank bis zum Gehtnichtmehr Schrottimmobilien abgekauft haben.
(8) Brigitte Scholtes: Wie viele Flughäfen braucht Deutschland?, Deutsche Welle, 21.10.2021, https://www.dw.com/de/wie-viele-flugh%C3%A4fen-braucht-deutschland/a-59579344
(9) Sein türkischer Nachname wird von der Springerpresse übrigens voll ausgeschrieben, obwohl seine Privatsphäre als Minderjähriger m. E. besonders geschützt werden müsste. Die SZ kürzt ihn ab.

 

Der Text kann hier auch angehört werden.

Anmerkung der GWR: Nachdem Oskar Lubin seine GWR-Kolumne „stichworte zum postanarchismus“ nach 37 Folgen eingestellt hat, erscheint seit GWR 482 unter der Rubrik „so süß wie maschinenöl“ in der Graswurzelrevolution eine monatliche Kolumne von Elmar Wigand zu den thematischen Schwerpunkten Arbeitsunrecht, Wirtschaftsdemokratie und Union Busting. Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Er moderiert mit Jessica Reisner den Podcast arbeitsunrecht FM.
Kontakt zum Autor:
https://arbeitsunrecht.de/presse

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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