Filmbesprechung

Das Vermächtnis eines Medienaktivisten

Der Film „Vergiss Meyn nicht“ erinnert an den Hambi-Filmemacher Steffen Meyn

| Peter Nowak

Im Jahr 2018 demonstrierten Klima-Aktivist*innen im Hambacher Forst gegen den Energiekonzern RWE und dessen Pläne, den Wald für die Erweiterung eines Tagebaus zu roden. Dabei stürzte der Filmstudent Steffen Meyn, der das Geschehen von einem Baumhaus aus filmte, in die Tiefe. Die Filmemacher*innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff kombinierten die Aufnahmen des tödlich verunglückten Filmemachers mit selbst geführten Interviews. Der bewegende Dokumentarfilm ist seit Ende September 2023 in den Programmkinos zu sehen. (GWR-Red.)

Vergiss Meyn nicht, Deutschland 2023 / Dokumentarfilm /102 Minuten / Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff /

Man sieht gleich zu Beginn des Films ein großes schwarzes Loch. Dann werden hektische Polizist*innen eingeblendet, die in einem Waldgebiet zu einer Stelle rennen, wo gerade ein Mensch von einem Baum abgestürzt ist. Es handelt sich um den Studenten der Medienakademie Köln, Steffen Meyn. Im Rahmen eines universitären Projekts drehte er einen Langzeit- Dokumentarfilm über den Protest im Hambacher Forst und starb am 19. September 2018 während der Filmarbeiten bei einem Sturz vom Baum. Für seine Dreharbeiten kaufte er sich eine kleine Kamera, mit der er großflächig filmen konnte.
Als das teure Gerät angekommen ist, hat Meyn die Kamera gleich mal in der studentischen Wohngemeinschaft ausprobiert, in der er mit anderen Kommi-liton*innen lebte. Wir sehen deren etwas belustigte Reaktionen auf die fast kindliche Freude über das neue technische Spielzeug von Meyn. Wir bekommen durch diese Filmsequenzen auch einen Eindruck von dem Milieu, in dem Meyn lebte und sich politisiert hat. An den Türen der Zimmer kleben linksalternative Aufkleber und an den Wänden hängen Antifaplakate. Diese Sequenzen sind hilfreich, um das Verhältnis von Meyn zu den Protesten einzuordnen. Dieses Thema zieht sich durch den ganzen Film. Meyn war nicht der angeblich neutrale, objektive Dokumentarist, der schließlich auch ein bürgerlicher Mythos ist. Der wird aber von der Kunsthochschule reproduziert, wo es über den Studenten heißt:
„Am 19.9.2018 verunglückte er bei Dreharbeiten im Hambacher Forst tödlich.“

Kritischer Medienaktivist

Im Film wird deutlich, dass Meyn große Sympathie für den Widerstand im Hambacher Forst hatte und seine Filmarbeit auch als einen Beitrag verstand, um in der Öffentlichkeit den Kampf bekannt zu machen. Im Film wird gleich mehrmals gezeigt, dass er dem Protest keineswegs unkritisch gegenüberstand. Höhepunkt ist eine Szene, wo er den besetzten Wald mit seinem komfortablen Auto verlässt. Zuvor klappt er noch das Presseschild an der Windschutzscheibe um. Dieser maximalen Distanz zur Besetzung vorausgegangen war eine heftige Auseinandersetzung über den Umgang mit einem Kontaktpolizisten, der die Besetzer*innen zum Aufgeben überreden wollte. Dieses Ansinnen lehnten alle Beteiligten ab. Doch während einige den „Laberbullen“, wie er szeneintern genannt wurde, gewaltfrei aber bestimmt vom Platz wiesen, schlugen einige Männer ihn nieder. Auf Kritik an ihren Handlungen, auch durch andere Besetzer*innen, reagierten diese vermummten Männer aggressiv und mit beleidigenden Worten. Danach hat Meyn in seinem Baumhaus dieses Verhalten kritisiert, bevor er ins Auto stieg und vorerst die Besetzung im Hambacher Forst verließ, alles dokumentiert mit seiner Kamera. Monate später setzt der Film wieder ein, als akute Räumungsgefahr besteht und der junge Fotograf mit seiner Kamera wieder vor Ort ist. Zu dieser Rückkehr ins Camp werden auch die Freundschaften beigetragen haben, die er mittlerweile mit den Besetzer*innen geknüpft hatte. Wir sehen ihn in seiner letzten Szene beim Frühstück im Baumhaus und noch im freundschaftlichen Gespräch mit den anderen Baumhausbewohner*innen, bevor er den verhängnisvollen Schritt auf ein loses Brett tat, der zu dem tödlichen Sturz führte. Dabei betonten verschiedene Besetzer*innen, die in dem Film über ihr Verhältnis zu Meyn sprechen, wie schwer er sich am Anfang mit dem Klettern tat, wie vorsichtig er da herangegangen ist und dass er sogar große Höhenangst gehabt hat. Davon ist in den späteren Szenen im Film allerdings nichts zu merken. Es ist erstaunlich, wie er in großer Höhe sehr professionelle Interviews mit unterschiedlichen Besetzer*innen führte. Er gab hiermit ein Beispiel für eine aktivistische Medienarbeit, die eben nicht mit Kritiklosigkeit gleichzusetzen ist. Im Gegenteil, weil er sich gut auskannte mit den Problemen im Besetzer*innenmilieu, konnte er seine Kritik sehr gezielt anbringen.
Es ist erfreulich, dass die Freund-*innen und Mitstreiter*innen von Meyn diesen Film mit seinem Filmmaterial realisiert haben, als Vermächtnis an einen engagierten Medienaktivisten, der mit seiner Arbeit auch einen guten Einblick in das gewiss nicht widerspruchsfreie Leben in den Baumhäusern gegeben hat. Am Schluss wird weiterer Besetzer*innen gedacht, die inzwischen gestorben sind. Auch über sie hätten wir gerne mehr erfahren.

Wer mehr über die fast 40jähige Geschichte des regionalen Widerstands gegen RWE und Co. im Hambacher Forst erfahren will, sollte unbedingt die Filmtrilogie „Brand“ von Susanne Fasbender ansehen, die hier gestreamt werden kann:
https://brandfilme.org