Das Leben und Werk des deutsch-jüdischen „Edelanarchisten“ Erich Mühsam (1878–1934) ist – u.a. Dank der ihm gewidmeten Gesellschaft und der jahrzehntelangen publizistischen Arbeit von Chris Hirte (Biographie, „Tagebücher“, „Werke“) – sehr gut erforscht. Dennoch gab es lange Zeit einen blinden Fleck, nämlich die Notizbücher Mühsams, die seine Lebenspartnerin Zenzl Mühsam 1936 in die Sowjetunion verkaufte und von denen lediglich Mikrofilmkopien in der Akademie der Künste in Berlin existieren. Sie waren bislang ein weitgehend blinder Fleck in der Forschung zu seinem Leben und Werk. Nun hat die Gustav Landauer Initiative (GLI) diese, soweit sie noch vorhanden sind (ein Teil scheint verschollen zu sein), transkribiert und in Form von zwei Broschüren herausgegeben. Sie umfassen den Zeitraum von 1926–1928 (Band 1) bzw. 1929–1933 (Band 2). Neben den transkribierten Einträgen gibt es ein sehr kompetentes Vorwort, eine editorische Einordnung sowie Textauszüge aus der kommunistischen sowie anarchistischen Presse zu Erich Mühsam.
In der editorischen Vorbemerkung heißt es: „Die Notizbücher scheinen für Erich Mühsam nach Lust und Laune als Notizen zur Erinnerung geführt worden sein, manche wichtige Ereignisse in seinem öffentlichen Auftreten sind nicht verzeichnet.“ Dennoch ist es ein wichtiges Fundstück, wenn man über die Zusammentreffen von Mühsam mit anderen Personen aus dem anarchistischen und sozialistischen Spektrum liest und damit auch den Alltag von ihm ein Stück weit besser rekonstruieren kann. Zur Illustration der Einträge sind Reproduktionen von Werbeanzeigen zu seinen Vorträgen und eigene Beiträge aus der anarchistischen (z.B. aus „Mitteilungsblatt der Arbeitsbörse Groß-Berlin“, „Der Syndikalist“) und kommunistischen Presse („Der Rote Helfer“, „Die Rote Fahne“) sowie Cover von Broschüren ergänzt.
Insgesamt ist es ein wichtiger Beitrag für die Forschung zu Erich Mühsam, der die bestehenden Forschungsressourcen um ein gutes Stück ergänzt. Die Zielgruppe dieser Publikation ist dabei allerdings ein kleiner Kreis von Erich Mühsam-Forschenden und -Fans. Anarchistische Bibliotheken und Archive sollten die beiden Broschüren auf jeden Fall ins Programm aufnehmen.
P.S.: Daneben gibt es auch noch die sehr schöne und lesenswerte Kollage „Artur Streiter – ‚Wir bauen eine Welt von Unten‘ – eine Kollage von Marcus Leicher“ in limitierter, handsignierter Fassung bei der GLI.