Das Dritte Reich als „größter Bordellbetreiber Europas“

Bordelle in deutschen Konzentrationslagern. Teil 2: Der „Sonderbau“

| Anne S. Respondek

Als Auftakt einer GWR-Artikelserie über Frauen, die von den Nazis zur Prostitution gezwungen wurden, erschien im Februar 2024 in der Graswurzelrevolution Nr. 486 Anne S. Respondeks 
Text über nationalsozialistische Prostitutionspolitik. Daran knüpft der folgende Beitrag an. Die Serie soll in den kommenden Ausgaben der Graswurzelrevolution fortgesetzt werden. (GWR-Red.)

Sexualität unterlag im Konzentrationslager einer geschlechtsspezifischen Konnotation – Frauen und Mädchen waren einer anderen Art des Terrors ausgesetzt als ihre männlichen Mithäftlinge. Zwar existierte auch unter männlichen KZ-Gefangenen sexueller Missbrauch, z. B. durch Funktionshäftlinge, die sich wiederholt an sehr jungen Männern vergingen (die sogenannten „Pipel“). Aber weibliche Häftlinge wurden regelmäßig mit einer Vielzahl sexueller Übergriffe konfrontiert. Die Bewachung erfolgte eben nicht konsequent durch weibliches SS-Personal, sondern sie wurden, z. B. auf Transport, bei der Verbringung zur Zwangsarbeit, bei der Ankunft im KZ, immer wieder männlichen SS-Wachen gegenübergestellt. Bereits bei der Ankunft im Lager setzte oft der erste Schock durch die Hinnahme erzwungener Nacktheit ein. Allein während der Aufnahmeprozedur kam es vielfach zu Beschimpfungen, Beschämungen, Schlägen und ungewollten Berührungen nackter Frauen und Mädchen durch die SS. Erzwungene Nacktheit existierte im KZ abseits der Aufnahmeprozedur auch bewusst als Strafe und Demütigung, z. B. bei Appellen oder während der Prügelstrafe. Viele Frauen erlebten durch den Schock der Verbringung ins Lager, die Mangelernährung und das Elend ein Ausbleiben ihrer Menstruation. Die Frauen, deren Zyklus nicht aussetzte, hatten keine Monatshygiene zur Hand und waren den Schikanen und Demütigungen ausgesetzt. Eine ehemalige KZ-Gefangene berichtete: „Den Frauen rann das Blut die Schenkel runter, sie konnten sich nicht helfen und so weiter (…) und ich bin zur Blockältesten gegangen, weil ich was gebraucht hätte und sie hat zu mir gesagt: ‚Halt die Hand drunter.‘“ (1) Auch das ist sexualisierte Gewalt.
Im KZ wurden die Schamgrenzen weiblicher Gefangener permanent überschritten. Hemmungsloser Voyeurismus und verbale Erniedrigungen durch das SS-Personal waren alltäglich. Zur Vielfalt der ausgeübten sexuellen Gewalt zählten auch: das Scheren der Kopfhaare mit dem Ziel, die Weiblichkeit der Frauen zu verletzen, Zwangssterilisationen, medizinische, vor allem gynäkologische Versuche, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen und auch die Zwangsprostitution in den KZ-Bordellen.

Die Errichtung der KZ-Bordelle, also der Bordelle für männliche KZ-Gefangene, muss auch im Hinblick des Systems KZ als Herrschafts- und Terrorinstrument gesehen und in seiner wirtschaftlichen Bedeutung für den NS-Staat betrachtet werden. Denn allein die Implementierung von Konzentrationslagern ermöglichte der SS die wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Mit dem Programm „Vernichtung durch Arbeit“ wurde deutlich, dass der NS-Staat die „Volksfeinde“ eben auch als Arbeitskräfte ansah, deren wirtschaftliche Ausbeutung dem Nationalsozialismus dienen sollte. Damit stellte sich natürlich die Frage, wie die KZ-Gefangenen am besten auszubeuten seien. Bereits 1942 hatten Wirtschaftsvertreter, u.a. die IG Farben, auf die Einführung eines Belohnungssystems für Häftlinge gedrängt. Dieses sollte die Häftlinge zu noch mehr Arbeit „motivieren“ und auf ihre Interessen „Fressen, Freiheit, Frauen“ eingehen. Auch der Reichsführer SS Heinrich Himmler äußerte sich schon im Jahr 1942 zur Einführung eines Prämiensystems für männliche KZ-Häftlinge: „Für notwendig halte ich allerdings, daß in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden. Ebenso muß ein gewisser kleiner Akkordlohn da sein. Wenn diese beiden Bedingungen gegeben sind, wird die Arbeitsleistung enorm steigen.“ (2)
Da die immer brutalere Behandlung der KZ-Häftlinge keine weitere Arbeitssteigerung hervorbrachte, wurde 1943 vom Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, ein ausgeklügeltes Prämiensystem in Kraft gesetzt. Dieses galt für „Häftlinge, die sich durch Fleiß, Umsichtigkeit, gute Führung und besondere Arbeitsleistung auszeichnen“ (3) und gewährte fünfstufig „1. Hafterleichterung, 2. Verpflegungszulagen, 3. Geldprämien, 4. Tabakwarenbezug, 5. Bordellbesuch“ (4), wobei der Bordellbesuch für männliche KZ-Häftlinge die höchste Stufe des Prämiensystems darstellte, der nur Häftlingen mit hervorragenden Arbeitsleistungen gewährt werden sollte. Zwei Reichsmark sollte der Bordellbesuch kosten, 45 Pfennig davon sollte die gemeinhin als „Bordellinsassin“ bezeichnete Frau erhalten.
Neben der Steigerung der Ausbeutung männlicher Häftlinge durch die in Aussicht gestellte Motivation, eine Frau, wie es in den Dokumenten heißt, „geschlechtlich zu gebrauchen“, wird auch deutlich, dass die SS diese Bordelle nutzte, um die Intimsphäre und das Sexualleben ihrer Gefangenen zu kontrollieren und zu überwachen. Das ganze nationalsozialistische Bordellsystem, von Bordellen für KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bis hin zu Bordellen für SS, Wehrmacht und Polizei, machte den Anspruch auf totale Kontrolle der Menschen und die Annullierung ihrer Privatsphäre durch das NS-System deutlich. Auch die Sexualität sollte zukünftig den NS-„Rasse“-Regularien unterliegen und zudem gesundheitlich überwacht sein.

Bordelle, in denen sich männliche KZ-Häftlinge als Freier betätigen konnten – und damit zu Tätern an ihren weiblichen Mitgefangenen wurden – existierten ab 1942 in Mauthausen und Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora. In Mauthausen, Gusen und Auschwitz lagen die Bordelle in direkter Nähe zum Lagertor oder am Appellplatz, in Buchenwald hingegen errichtete man es in einem abgelegenen Winkel des KZ. Grund dafür war ein Schreiben des SS-Obersturmbannführers Arthur Liebehenschel vom Wirtschaftsverwaltungshauptamt, in welchem er den Kommandanten vierer Konzentrationslager erklärte, ihm sei „bei der Besichtigung bereits fertiggestellter Sonderbauten aufgefallen, daß diese nicht besonders günstig liegen. Der Hauptamtschef hat angeordnet, daß bei der Errichtung weiterer Sonderbauten darauf zu achten ist, daß diese ihrer Zweckbestimmung gemäß etwas abseits liegen und nicht von allen möglichen Leuten begafft werden können.“ (5)

Alle Konzentrationslager sollten „sauber“ aussehen. Nichts Aufsehenerregendes wie Krematorien oder Bordelle sollte bei Begehungen erkennbar sein. Dafür spricht auch das Schreiben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Waffen-SS, Glücks, an die Lagerkommandanten, in welchem er anordnete: „Bei Lagerbesichtigungen sind die Bordelle und Verbrennungsanlagen nicht zu zeigen. Zu den Besichtigungsteilnehmern darf über diese Einrichtungen auch nicht gesprochen werden. Hierfür ist die ausdrückliche Genehmigung des Reichsführer-SS erforderlich (…).“ (6)
Auch der Name der KZ-Bordelle – „Sonderbauten“ – verweist auf das Bedürfnis der SS, die Bedeutung dieser Einrichtungen zu verstecken und zu verschweigen. Begriffe des Nationalsozialismus, in denen das Wortteil „Sonder-“ verwendet wurde, dienten dazu, die eigentliche Bedeutung des Geschehens zu verschleiern – so waren „Sonderkommandos“ in den KZ z. B. dafür zuständig, Gaskammern und Krematorien in Betrieb zu halten und „Sonderbehandlungen“ bezeichneten euphemistisch die Erschießung von Menschen. Und auch der „Sonderbau“ sollte isoliert und versteckt sein – denn dort, wo die SS ihre Herrschaft über Leben und Tod und die totale Kontrolle über jegliche menschliche Intimsphäre auslebte, sollte es am besten gar keine störende Zeugenschaft geben.
Nicht nur Zeuginnen, sondern Opfer der Zwangsprostitution durch die SS – aber auch Opfer ihrer sich an ihnen als Freier betätigenden männlichen Mitgefangenen – waren die Frauen in diesen „Sonderbauten“. Wo sie herkamen und wie sie für die „Sonderbauten“ selektiert wurden, soll Thema der 3. Folge dieser Artikelreihe über KZ-Bordelle sein. Teil 3 erscheint voraussichtlich im April in der GWR 488.

(1) So ein ehemaliger weiblicher Häftling in Amesberger, Helga /Auer, Karin, Die Bedeutung des Faktors Geschlecht für die Situation von Frauen während der nationalsozialistischen Verfolgung, in: dies., Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, Wien 2010, S. 81 f.
(2) BA, Brief Himmler an Pohl vom 23. März 1942, NS 19/2065, hier zitiert nach Alakus, Baris / Kniefacz, Katharina / Vorberg, Robert (Hg.), Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Wien, 2007, S. 126
(3) Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge / Prämien-Vorschrift von Pohl, gültig ab dem 15. Mai 1943, Archiv der Gedenkstätte Dachau, Dok. 6249
(4) Ebd.
(5) Schreiben Liebehenschels an die Kommandanten der KL Sachsenhausen, Dachau, Neuengamme und Auschwitz vom 15. Juni 1943, Archiv der Gedenkstätte Dachau, Dok. 1581
(6) Glücks an die Lagerkommandanten in einem Schreiben vom 10. November 1943, Archiv der Gedenkstätte Dachau, Dok. 6308

Anne S. Respondek ist Historikerin mit Schwerpunkt auf sexuelle Gewalt im Krieg. Sie erforscht die Bordelle in den Konzentrationslagern und die Bordelle der Wehrmacht und SS. Momentan promoviert sie an der TU Dresden mit dem Dissertationsprojekt „Wehrmachtsbordelle im Osten Europas“.
Diese Serie ist eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung ihrer Bachelorarbeit „Arbeitskommando Sonderbau – Über die Häftlingsbordelle in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern“, erhältlich u. a. hier:
https://www.diplomarbeiten24.de/document/416204
Ihre Masterarbeit über Wehrmachtsbordelle wurde als Buch veröffentlicht, erhältlich hier:
https://www.marta-press.de/themen/nationalsozialismus/19/gerne-will-ich-wieder-ins-bordell-gehen...
Anne S. Respondek betreibt die Seite https://wehrmachtsbordelle.de/, auf der viele ihrer Texte zum Themenkomplex Prostitution im Nationalsozialismus, KZ-Bordelle, Wehrmachtsbordelle, sexuelle Gewalt in Kriegen kostenlos aufrufbar sind.